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Die MHS-Ranch in Andernach hat sich zu einem Treffpunkt für die Reichsbürger-Szene entwickelt Illustration: Oliver Sperl

Rechte Esoterik auf dem LandReichsbürger sucht Dorf

In der rheinland-pfälzischen Provinz entstehen immer mehr Treffpunkte rechter Selbstverwalter*innen. Nicht alle Gemeinden können damit umgehen.

W er die Andernacher Innenstadt in Rheinland-Pfalz verlässt, ahnt nicht, dass bald die Bundesrepublik Deutschland enden könnte. Kleine Höfe wechseln sich mit grünen Wiesen ab, auf denen Pferde in der Morgensonne grasen. In der Ferne ist der Rhein zu sehen. Doch dann fällt der Blick auf einen Hof, der schon älter aussieht. Ein Minibus mit Rissen in den Fensterscheiben ist dort am Wegesrand geparkt, und überall sind Schilder aufgestellt. Neben dem Durchgang zu einem kleinen Innenhof am Zaun, gleich neben dem großen Holztor mit der Aufschrift „MSH-Ranch“. „Hier gilt Preußisches Staats- und Landrecht“, steht darauf.

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Die Schilder gibt es schon länger. Beachtet hat sie jedoch kaum jemand. Bis im August Matthes Haug auftritt. Rund 70 Menschen wollten in Andernach dem Mann zuhören, den der mutmaßliche Rechtsterrorist Heinrich XIII. Prinz Reuss in seinem Schattenkabinett als Minister für Völkerrecht vorgesehen haben soll. Der Mann, der mit seiner „Patriotischen Union“ laut Bundesgerichtshof höchstwahrscheinlich einen gewaltsamen Umsturz plante.

Anders als viele seiner Ge­sin­nungs­ge­nos­s*in­nen wird Haug bei der bundesweiten Antiterrorrazzia im Dezember 2022 nicht verhaftet. Er soll wohl nicht zum engsten Kern der Verschwörer gehört haben. Stattdessen tourt er weiterhin durchs Land und stellt die Inhalte seines Buchs „Das Deutsche Reich von 1871 bis heute“ vor. Ein Werk voller Verschwörungstheorien und Geschichtsrevisionismus. „Indigene Deutsche“, deren Ahnen sich 110 Jahre zurückverfolgen ließen, hätten das Recht, sich selbst zu verwalten, soll er laut SWR-Berichten auch in Andernach gesagt haben. Das Kaiserreich sei das einzige Deutschland, das bis heute existiere.

Die Zahl der Reichs­bür­ge­r*in­nen in Rheinland-Pfalz wächst

Ende 2022 gehörten in Rheinland-Pfalz laut Verfassungsschutz rund 950 Menschen dem Reichsbürger*innen-Spektrum an, 140 von ihnen galten als gewaltorientiert. Und die Tendenz ist stark steigend. Allein in den vergangenen vier Jahren hat sich die Zahl der gewaltorientierten Reichs­bür­ge­r*in­nen in Rheinland-Pfalz beinahe verdoppelt.

Die einzelnen Gruppierungen sind inhaltlich zersplittert. Was sie aber eint, ist die Ablehnung des herrschenden Systems. Das rheinland-pfälzische Innenministerium geht von einer „nicht zu unterschätzenden Gefahr“ durch die Szene und ihre den Staat ablehnenden An­hän­ge­r*in­nen aus. Die Kleinstadt Andernach ist zu einem wichtigen Treffpunkt der Reichs­bür­ge­r*in­nen geworden. Die Polizei hat die MSH-Ranch im Blick, die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus spricht von einem potenziell gefährlichen Betreiber-Ehepaar.

Eigentlich ist Andernach für seine Lage am Rhein und den höchsten Kaltwassergeysir der Welt bekannt. Jedes Jahr kommen viele Tou­ris­t*in­nen in die Stadt. Der Marienstätter Hof, wie die MSH-Ranch klassisch heißt, ist seit Jahrzehnten in Familienbesitz und wird heute von einem Ehepaar geführt. Geld haben die Be­trei­be­r*in­nen bis zuletzt auch außerhalb der Szene verdient. Zwar hatte die Kneipe zuletzt nicht mehr regelmäßig geöffnet. Aber wenn gerade keine Reichs­bür­ge­r*in­nen zu Besuch waren, traten lokale Bands auf, Vereine kehrten nach Wanderungen dort ein. Ur­lau­be­r*in­nen besuchten mit ihrem Wohnmobil den Hof und blieben zum Frühstück.

Entsprechende Bewertungen sind nach wie vor im Internet zu lesen. Zuletzt sollen zumindest noch drei Pfer­de­be­sit­ze­r*in­nen ihre Tiere im Stall der Ranch untergestellt haben. Es sei halt günstig hier und dass die Coronaregeln nicht so streng waren, habe auch geholfen, erzählt ei­ne*r von ihnen der taz, bittet aber um Anonymität. „Die haben halt ihre Ansichten. Ansonsten sind das ganz normale Leute.“

Es gibt unterschiedliche Angaben dazu, ab wann genau dieser Hof zu einem Treffpunkt der Reichsbürger*innen-Szene wurde. Die Polizei spricht von mindestens fünf Jahren, Sze­ne­ken­ne­r*in­nen zufolge gab es dort schon vor zehn Jahren einschlägige Veranstaltungen. Die An­woh­ne­r*in­nen der benachbarten Höfe möchten mit der taz nicht über ihre Nach­ba­r*in­nen sprechen, erst recht nicht namentlich.

Andernachs Bürgermeister setzt auf die Polizei

An einem viel zu warmen Herbsttag bittet Christian Greiner in den Besprechungsraum des Andernacher Rathauses, einem funktionalen Nachkriegsbau im Zentrum. Hinter ihm zeigt ein großes Foto die Stadt.

Greiner ist seit April Oberbürgermeister der 30.000-Einwohner-Gemeinde. Der 43-jährige Lokalpolitiker der Freien Wähler und vorherige Berufssoldat hatte sich überraschend schon im ersten Wahlgang durchgesetzt. Nun sitzt er in Hemd und Anzug an einem großen Tisch und sagt Sätze wie: „Es ist ein großes Privileg, Oberbürgermeister einer Stadt zu sein, in der andere Urlaub machen.“ Für das Gespräch hat er sich 15 Minuten Zeit genommen.

Illustration: Oliver Sperl

Nach der Veranstaltung mit Matthes Haug habe er Kontakt zur Polizei aufgenommen, sagt Greiner. Er sei zuversichtlich, dass die Behörden ihren Job machen. Politischen Handlungsbedarf sehe er nicht. Auch im Stadtrat sei der Hof kein Thema gewesen. „Ich stelle mich entschlossen gegen jeden Staatsfeind“, sagt Greiner. Doch dass vom Hof eine rechtsextremistische Gefahr ausgehe, sei ihm neu. Einen entsprechenden Hinweis habe er nie erhalten. Dann muss er weiter. Der nächste Termin.

„Das ist eine klar von Rechten betriebene Immobilie“, sagt Christoph Feick über die MSH-Ranch in Andernach. Er arbeitet in der zuständigen Regionalstelle der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus. Eine mit Landes- und Bundesmitteln finanzierte Einrichtung, die all diejenigen unterstützt, die sich gegen die Extremisten wenden wollen. „Man muss die Dinge bearbeiten, sonst setzen sie sich fest. Davon sind wir überzeugt“, sagt Feick. Häufig lassen sich die politisch Verantwortlichen davon jedoch nicht so einfach überzeugen oder es scheitert, wie in Andernach, schon die Kontaktaufnahme.

Umso schöner ist es für Feick, wenn es ausgerechnet über ein 500-Einwohner-Dorf eine ganz andere Geschichte zu erzählen gibt. „Mehren ist in dieser Hinsicht schon ein Erfolg“, sagt er.

Wer von Andernach nach Mehren fährt, muss erst über den Rhein und dann nach einer halben Stunde die Bundesstraße verlassen. An den kleinen Nebenstraßen liegen die Kühe nun direkt am Wegesrand, in den Orten wird die Fachwerkdichte größer. In Mehren selbst hat sogar die Dorfkirche Fachwerkverzierungen, um sie herum stehen Häuser, die teilweise aus dem 16. Jahrhundert stammen. Der einzig größere Arbeitgeber ist das Seniorenzentrum, in dem zugleich jeder fünfte Mehrener lebt.

Das Thema spaltet die Dorfgemeinschaft

Thomas Schnabel empfängt seinen Gast im Feuerwehrgerätehaus der Gemeinde. Der ehrenamtliche Bürgermeister ist selbst Pendler, arbeitet bei einem Zulieferer für die Automobilindustrie gleich hinter der Grenze zu Nordrhein-Westfalen. An diesem Tag hat er Spätschicht und morgens Zeit. Vor rund einem Jahr musste der parteilose 55-Jährige plötzlich zum Rechtsextremismus­experten werden. „So ist das halt“, sagt Schnabel dazu. Er habe schließlich verstehen wollen, mit wem er es in seinem Ort zu tun hat.

Schnabels Problem ist etwas, auf das Mehren eigentlich immer stolz war. In dem Dorf gibt es noch einen Gasthof, der zumindest an vier Tagen in der Woche geöffnet ist. Doch an dem erfreuen sich nicht nur die Mehrener. Die AfD und die als Reaktion auf die Coronamaßnahmen entstandene Partei Die Basis treffen sich dort bis heute regelmäßig.

Und irgendwann wurden auch Reichs­bür­ge­r*in­nen und rechte Eso­te­ri­ke­r*in­nen auf den Veranstaltungsort aufmerksam. Die Folgen spürt Schnabel bis heute. „Das Thema spaltet die Dorfgemeinschaft“, sagt er. Die einen wollen nur ihre Ruhe haben, die anderen seitdem nicht ruhen, bis sich die Situation gelöst hat.

Im August 2022 meldet sich der für Mehren zuständige Altenkirchener Polizeichef bei Schnabel. Ob der etwas von einer Reichsbürgerversammlung im Ort wisse? Der Neonazi Frank Krämer, ­Ex-Gitarrist der Rechtsrockband Stahlgewitter, plane dort wohl etwas. Schnabel hört sich im Ort um und stößt schnell auf die Wirtin des Gasthofs. Die zeigt zwar erst keine Einsicht, wird dann aber doch hellhörig, als sie die Worte „Polizei“ und „Verfassungsschutz“ hört. „Ich war guter Dinge, dass wir das damit aus der Welt geschaffen haben“, sagt er.

Doch es kommt anders. Im März 2023 wird er auf den Artikel eines antifaschistischen Recherchekollektivs aufmerksam gemacht. Es haben weitere Veranstaltungen stattgefunden. Rechte Eso­te­ri­ke­r*in­nen verbreiteten dabei im Gasthof antisemitische Verschwörungsmythen. Zudem soll es auch hier einen Auftritt von Matthes Haug gegeben haben. Das Problem ist nicht aus der Welt.

200 Menschen haben in Mehren gegen die AfD protestiert

Anders als in Andernach ist die Gasthofbetreiberin in Mehren nicht gesichert dem Reichsbürger*innen-Spektrum zuzuordnen. Sie ist zwar im Ort als überzeugte Impfgegnerin und Basis-Unterstützerin bekannt, doch darüber hinaus bislang nicht aufgefallen.

„Ich gehe nach wie vor davon aus, dass sie das nicht bewusst gemacht hat“, sagt Schnabel. „Sie ist weder rechtsradikal noch fremdenfeindlich.“ Kerstin Spahr, die im Ort eine Bürgerinitiative gegen Rechts gegründet hat, sieht das anders. „Ich würde mir keine Reichsbürger einladen, um mit denen Kaffee zu trinken“, sagt sie. Die Wirtin selbst reagiert nicht auf Anfragen zu dem Thema.

An einem Freitagabend im Oktober steht Kerstin Spahr im evangelischen Gemeindehaus in Mehren. Dort tritt an diesem Abend Matthias Pöhl­mann auf, der Sektenexperte der evangelischen Kirche in Bayern. Er ist hier, weil Spahr sein Buch „Rechte Esoterik“ gelesen und ihn nach Mehren eingeladen hat. Die freiberufliche Psychotherapeutin hat lange in Köln gelebt und ist dann mit ihrer Familie zurück in ihr Mehrener Elternhaus gezogen. Sie trägt Brille, einen langen schwarzen Pullover und spricht im Gang mit zwei anderen Frauen. „Wir haben einiges mobilisiert“, sagt sie. An diesem Abend sind rund 60 Menschen gekommen.

Alles, was in den vergangenen Monaten in Mehren und der Region als Reaktion auf die Treffen von Reichs­bür­ge­r*in­nen und rechten Eso­te­ri­ke­r*in­nen geschehen ist, hat etwas mit Spahr zu tun. „Als ich von den Treffen erfahren habe, bin ich sofort auf die Barrikaden gegangen“, sagt sie.

Spahr gründet erst eine Whatsapp-Gruppe, dann eine Initiative. Sie organisiert eine Demonstration mit über 200 Teilnehmer*innen, die gegen ein AfD-Treffen in dem Gasthof protestieren. Und sie setzt sich beim Bürgermeister erfolgreich dafür ein, dass in dem Gasthof keine Veranstaltungen der Gemeinde mehr stattfinden. „Ich würde hier lieber friedlich und in Ruhe leben, aber das ist leider nicht möglich“, sagt Spahr.

Illustration: Oliver Sperl

Wer sich engagiert, gerät ins Visier

Dass so ein Engagement gefährlich sein kann, zeigt eine aktuelle Veröffentlichung der Rechercheplattform Correctiv. Demnach verfügen in Rheinland-Pfalz 93 mutmaßliche Rechts­ex­tre­mis­t*in­nen über eine waffenrechtliche Erlaubnis, 26 davon leben im Bereich des für Mehren und Andernach zuständigen Polizeipräsidiums Koblenz.

Zwar erklärt das Innenministerium hierzu, dass sich nach ihren Erkenntnissen keine dieser Personen dem Reichsbürger*innen-Spektrum zuordnen lässt. Jedoch verfügen von den 950 Szene­anhängern im Land weiterhin 11 Personen über eine waffenrechtliche Erlaubnis, 87 weiteren sei diese bereits entzogen worden. „Die Landesregierung verfolgt eine Null-Toleranz-Linie“, heißt es dazu. Jedoch lasse sich nicht jede Erkenntnis der Sicherheitsbehörden gerichtsfest belegen.

Auch Kerstin Spahr musste erleben, was es heißt, sich die Rechten zum Feind zu machen. In einem Zeitungsbericht über die Mehrener Demonstration wird ihr Name genannt. Kurz darauf erhält sie erste Päckchen mit Kleidungsstücken, die sie nicht bestellt hat. Jacken, Pullis, Schuhe in „AfD-Blau“. Sie wird bei Wohltätigkeitsvereinen und ein zweites Mal bei der GEZ angemeldet. Jemand versucht in ihrem Namen Geld von einem Konto abzubuchen.

Erst als sie sich von einem der Vereine die handschriftlich ausgefüllte Anmeldekarte schicken lässt und das überall im Dorf verbreitet, ist Ruhe. „Ich hatte eine Schriftprobe, vielleicht sogar DNA. Das ist denen dann zu heiß geworden“, sagt sie. Sie weiß aber auch, dass sich nach wie vor nicht alle in Mehren über ihr Engagement freuen. Heute ist ihr Haus nach allen Seiten hin mit Überwachungskameras ausgestattet.

Kritik kommt auch von einer CDU-Bundestagsabgeordneten

Es gibt mehrere Gründe, warum die rheinland-pfälzische Provinz für die Szene so interessant ist. Die Mieten und Kaufpreise sind vergleichsweise gering, Nordrhein-Westfalen und die Rhein-Main-Region dennoch nah.

Das Problembewusstsein ist hier, so zumindest die Hoffnung, nicht so stark ausgeprägt wie in den Großstädten. Es gibt mehrere Stützpunkte der Rechts­ex­tre­mis­t*in­nen in der Region. In Hachenburg im Westerwald trifft sich regelmäßig die Neonazi-Partei Der dritte Weg, an der Ahr versammeln sich rechte Esoteriker*innen, die die dortige Flutkatastrophe für ein Erweckungserlebnis des deutschen Volks halten.

Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus tut viel, um die betroffenen Gemeinden zu informieren. Auch in Andernach sei eine entsprechende Einschätzung weit verbreitet worden, heißt es aus der Beratungsstelle. Darin ist von einer Mischszene aus rechten Esoteriker*innen, Reichsbürger*innen, rechtsextremen De­mo­kra­tie­fein­d*in­nen und Ver­schwö­rungs­ideo­lo­g*in­nen die Rede, die den Marienstätter Hof nutzten.

Dazu werden konkrete Möglichkeiten genannt, wie den Be­trei­be­r*in­nen mit rechtsstaatlichen Mitteln der Alltag erschwert werden kann: Steuerprüfungen, Meldeauflagen, Abwasserrecht. „Alle hatten die Möglichkeit, sich zu melden“, sagt Feick.

Dass die Stadtverwaltung Kenntnis von diesem Schreiben hat, kann Oberbürgermeister Christian Greiner im Gespräch weder bestätigen noch verneinen. Gemeldet hat sich zumindest die Andernacher CDU-Bundestagsabgeordnete Mechthild Heil. Sie kritisiert die Haltung der Stadt. „So richtig kümmert sich keiner darum“, sagt sie zum Reichsbürger-Hof in Andernach. „Das ist ein typisches Verhalten von Verwaltungen. Mir gefällt das nicht.“

Die Ranch hat finanzielle Probleme

Dass die Stadt so defensiv reagiert, könnte mit der Hoffnung zu tun haben, dass sich das Problem von allein erledigt. Denn die Hof­be­trei­be­r*in­nen sind zahlungsunfähig, ein entsprechendes Insolvenzverfahren läuft vor dem Amtsgericht Mayen. Nach den Berichten über den Haug-Auftritt dürften noch mehr Einnahmequellen außerhalb der Szene wegfallen, die wirtschaftliche Situation dürfte sich weiter verschlechtern. Seit Anfang Oktober liegt die Zustimmung der Gläubiger zur Veräußerung des Grundbesitzes vor.

Der Hof steht für 140.000 Euro zum Verkauf. Auch einen Interessenten habe es laut Mechthild Heil bereits gegeben, der habe aber wieder zurückgezogen. „Keiner will den Hof haben, weil jeder Angst hat“, sagt sie. Oberbürgermeister Greiner verweist bei allen Fragen zu dem Thema auf den Datenschutz. Aus dem Umfeld der Stadtverwaltung heißt es allerdings, dass sich die Be­trei­be­r*in­nen vorbereitet hätten. Sie sind offiziell bereits abgemeldet – nach Russland. In der Praxis leben sie jedoch weiterhin auf dem Hof. Eine schriftliche Anfrage an die MSH-Ranch bleibt unbeantwortet.

Die Mobile Beratung zeigt den Gemeinden Wege auf, um gegen die Ansiedlung von Reichs­bür­ge­r*in­nen vorzugehen

Im Gemeindehaus in Mehren bezeichnet Matthias Pöhlmann in seinem Vortrag die Esoterik als „trojanisches Pferd“ für rechtsextremes Denken. „Das ist eine Szene, die man wirklich nicht unterschätzen sollte“, sagt er. Kerstin Spahr sitzt in der zweiten Reihe und hört ihm aufmerksam zu. Eine ihrer Mitstreiterinnen macht mit ihrem Tablet eifrig Fotos von der Präsentation.

Pöhlmanns Thesen von der Esoterik als Einstiegsdroge für den Rechtsextremismus sind auch für den Fall Andernach interessant. Auf der Internetseite der MSH-Ranch lässt sich heute noch ein 22 Jahre alter Artikel aus der Rhein-Zeitung abrufen. Darin geht es um einen Tierheilpraktiker, der die Pferde des Hofes mit „aktiviertem Wasser“ geheilt haben soll.

Verschwörungsideologie und Esoterik gehören zusammen

Der Wissenschaft standen die Be­trei­be­r*in­nen schon damals offenbar skeptisch gegenüber. „Verschwörungsideologien und Esoterik bilden oft ein Zwillingspaar“, sagt Pöhlmann. Beides seien geschlossene Systeme, die alternative Wahrheiten verbreiten. Esoterik würde in der rechten Szene bewusst genutzt, um demokratische Institutionen zu delegitimieren.

Das gilt auch für Matthes Haug, den eifrigen Vortragsreisenden. Ein Mann, der öffentlich erklärt, dass die Welt auf die Endphase eines Zehntausende Jahre langen Kampfes zwischen Gut und Böse zuläuft. „Haug ist ein Reichsbürger­ideologe, der die Bundesrepublik nicht für einen legitimen Staat hält“, sagt Pöhlmann.

Die Anhänger von Heinrich XIII. Prinz Reuss, den Haug bis heute in seinen Vorträgen lobt, hielte ihr Hass zusammen. „Wenn Feindbilder so mächtig werden, kann Gewalt irgendwann als legitimes Mittel zur Durchsetzung eigener Ziele betrachtet werden“, sagt Pöhlmann. Es sei eine Szene, die man wegen ihrer Skurrilität lange unterschätzt habe.

Das Problem auszusitzen wird nicht helfen, davon ist Christian Feick von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus überzeugt. Gerade in Andernach. „Wir sehen im Fall der MSH-Ranch nicht, dass das Problem kleiner wird, sondern dass sich dort verschanzt wird, mit einem nach außen immer aggressiver werdenden Auftreten“, sagt er. Auch Bedrohungen habe es bereits gegeben. Noch deute nichts darauf hin, dass die Behörden aktiv werden oder die Be­trei­be­r*in­nen freiwillig ausziehen. Bis dahin ist der Hof Teil einer Parallelgesellschaft, in der manche vom Umsturz träumen.

In Mehren wird Kerstin Spahr weitermachen. Noch treffen sich AfD und Basis regelmäßig im dortigen Gasthof. Gerade erst hat sie wieder eine Demonstration dagegen organisiert. Und sollte sich das irgendwann einmal ändern, gibt es immer noch die vielen AfD-Wähler*innen und einigen Reichsbürger*innen, die in der Region leben. „Eigentlich möchte ich die Rechten überall weghaben, aber ich fange erst mal klein an“, sagt sie. Angst verspüre sie dabei keine. „Sollen sie doch kommen, ich warte nur darauf.“

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1 Kommentar

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  • waren das noch Zeiten, als man Andernach nur deshalb kannte, weil dort Charles Bukowski geboren wurde....