Rechte Chatgruppen in der Polizei Berlin: Die Spitze der Eierköppe
Aus einem Verdächtigen werden 62: Ermittlungen wegen rechter Chatgruppen in der Polizei weiten sich aus. Nun sind erneut 2 Gruppen bekannt geworden.
Die internen Ermittlungen werden von der „EG Zentral“ des LKA Berlin geführt, einer fünfköpfige Gruppe, die wegen des strukturellen Rechtsextremismusproblems in der Polizei geschaffen wurde. Weiter hieß es: „Nach erster rechtlicher Würdigung sind die Inhalte nicht strafrechtlich, aber disziplinar- und dienstrechtlich relevant.“ Die Rollen der beteiligten Dienstkräfte seien dabei unterschiedlich und reichten „von aktivem Tun bis zum Dulden entsprechender Inhalte“. Maßnahmen würden derzeit für alle Beteiligten dieser Chatgruppen geprüft, einige seien bereits vollzogen worden. So soll es bereits Versetzungen gegeben haben.
Die Polizeipräsidentin Barbara Slowik ließ sich zitieren mit den Worten: „Die Achtung der Menschenwürde sowie die Verfassungstreue sind Grundfeste unseres Berufs.“ Dienstliches und außerdienstliches Verhalten von Polizist*innen dürfe keinen Zweifel daran aufkommen lassen. Mit der „EG Zentral“ gehe man daher nicht nur politisch motiviertem strafbaren Handeln nach, sondern prüfe auch Sachverhalte unterhalb der Strafbarkeitsschwelle, so Slowik.
Den Anfang nahmen die Ermittlungen innerhalb der Polizei bei Detlef M., einem Polizisten und AfD-Mitglied aus Neukölln. Er ist einer der „Eierköppe“-Gruppe, in der neben vier Polizist*innen auch acht weitere Personen waren. Zuvor hatte M. sich 2016 mehrfach auch mit dem Neuköllner Neonazi Tilo P. ausgetauscht, der damals ebenfalls AfD-Mitglied war und in den Neukölln-Komplex verstrickt ist. Nach einer Durchsuchung bei P. waren die Sicherheitsbehörden auch M. auf die Schliche gekommen. Polizist M. hatte in einem AfD-Telegram-Chat geheime und sensible Polizeiinformationen nach dem islamistischen Terroranschlag am Breitscheidplatz geteilt. Die Ermittlungen deswegen wurden im Juni 2020 bekannt. Ein Verfahren wegen eines Strafbefehls, gegen den Detlef M. Widerspruch eingelegt hatte, stand zuletzt noch aus.
„Nicht nur Einzelfälle“
Der Verdacht gegen Detlef M. führte zu Durchsuchungen in seiner Wohnung und Beschlagnahmung von Geräten. Die Folge davon waren drei weitere beschuldigte Polizisten. Nachdem auch deren Adressen wegen Volksverhetzung und Verwendens von verfassungsfeindlichen Symbolen durchsucht wurden, gibt es nun die 62 Verdächtigen. Ob es bei diesen Polizist*innen wiederum zu Durchsuchungen und Sicherung von Beweismaterial kam, ließ die Polizei auf taz-Anfrage bisher unbeantwortet.
Niklas Schrader, Innenpolitiker der Linken, sagte der taz: „Wenn die Zahl im Zuge der Ermittlungen wie bei einem Schneeballsystem von 4 auf 62 anwächst, ist das ein alarmierendes Zeichen.“ Das müsste insbesondere die Innensenatorin Iris Spranger (SPD) anerkennen, fordert Schrader: „Ich erinnere daran, wie die Innensenatorin einen Ausraster bekommen hat, als wir im Innenausschuss das Problem angesprochen haben. Sie muss anerkennen, dass es nicht nur Einzelfälle sind.“
Schrader forderte eine zügige Aufklärung, auch weil der Innenausschuss zuvor kaum Informationen über die Fälle hatte. Schrader will nun wissen, aus welchen Einheiten die Beschuldigten sind, inwieweit bereits Sanktionen verhängt wurden und ob der Vorgang wiederum weitere Ermittlungen nach sich ziehe. Ebenso müsse über Konsequenzen nachgedacht werden: „Allein durch Versetzungen bekommt man die Situation nicht in den Griff“, sagt Schrader. Auch frage er sich, ob es erneut, wie bei Detlef M., Bezüge zum Neukölln-Komplex gibt.
Auch der grüne Innenpolitiker Vasili Franco kritisierte: „Dass nicht einmal Innenausschussmitglieder informiert wurden, ist kein guter Stil.“ Franco will bei der nächsten innenpolitischen Koalitionsrunde am Donnerstag nachhaken und das Thema auf die Agenda des Innenausschusses setzen. Beamte in Uniform trügen eine besondere Verantwortung, die auch für interne Kommunikation gelte. „Solche Vorfälle beschädigen das Vertrauen in die gesamte Polizei, umso wichtiger ist es, hier eine klare Grenze zu ziehen.“
Mit den neuen, zumindest nach Polizeiangaben rein internen Gruppenchats sind mittlerweile fünf rechte Chatgruppen in der Berliner Polizei bekannt. Im Februar 2020 war bekannt geworden, dass sich 25 Polizist*innen über Jahre rassistische und rechtsextreme Nachrichten geschickt hatten. Im Oktober desselben Jahres kam heraus, dass 26 Polizei-Schüler*innen Hakenkreuze und Tierpornos ausgetauscht hatten. Dann gibt es noch die „Eierköppe“-Gruppe von M. sowie die zwei nun bekannt gewordenen Gruppen. Hinzu kommt wenigstens ein Polizist, der 2019 aus Hessen nach Berlin wechselte und in einer externen rechten Chat-Gruppe aktiv war.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pro und Contra Letzte Generation
Ist die Letzte Generation gescheitert?
Elon Musk torpediert Haushaltseinigung
Schützt die Demokratien vor den Superreichen!
Die Linke im Bundestagswahlkampf
Kleine Partei, großer Anspruch
Studie zum Tempolimit
Es könnte so einfach sein
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht macht BND für Irrtum verantwortlich