Rechte Ausschreitungen in Brasilien: Bolsonaro-Fans stürmen Kongress
Anhänger des abgewählten rechten Präsidenten besetzen stundenlang Regierungsgebäude in Brasília. Internationale Unterstützung für Präsident Lula.
Auf Videoaufnahmen örtlicher Medien war am Sonntag zu sehen, wie mehrere Tausend Menschen in beiden Gebäuden in der Hauptstadt Brasília Fenster und Möbel zerstörten. Ihre Zahl wurde auf etwa 3.000 geschätzt.
Die Polizei in Brasília war auf den Ansturm der militanten Bolsonaro-Anhänger nicht vorbereitet. Sie versuchte vergeblich, die Menschen mit Wasserwerfern aufzuhalten. Schreiende und mit Stöcken bewaffnete Demonstranten umstellten einen Polizisten einer Reiterstaffel und stießen ihn vom Pferd.
Die Demonstrant:innen überwanden Polizeiabsperrungen im Regierungsviertel. Auf den Bildern war zudem zu sehen, wie Demonstranten auch den nahe gelegenen Präsidentenpalast Planalto stürmten. Mehrere Dutzend Demonstrant:innen liefen die Rampe zum Kongressgebäude hinauf, um das Dach des Gebäudes zu besetzen, wie ein AFP-Fotograf beobachtete. Männer mit Brasilienflaggen liefen durch Flure und Büros, wie am Sonntag im Fernsehsender TV Globo zu sehen war.
Auf sozialen Medien wurden Bilder verbreitet, die auf eine Plünderung des Gerichtsgebäudes durch die in Gelb und Grün gekleideten Angreifer hindeuteten. Später teilte das Oberste Gericht mit, die Sicherheitskräfte hätten die Kontrolle über das Gebäude wiedererlangt. Einige Demonstranten seien im Parkhaus festgenommen worden. Eine Stellungnahme von Bolsonaro lag zunächst nicht vor.
Später verbreitete Bilder zeigten bewaffnete Polizeikräfte in Konfrontation mit den Demonstrant:innen vor und in den Regierungsgebäuden.
Lula macht Bolsonaro verantwortlich
Staatschef Luiz Inácio Lula da Silva hat den Angriff von radikalen Anhängern seines Vorgängers verurteilt. Er bezeichnete die Vorgänge in Brasília als Barbarei. Auf Twitter bezeichnete Lula die Menschen, die in den Kongress und den Präsidentenpalast eingedrungen seien als Faschisten. „Alle Vandalen werden gefunden und bestraft“, sagte der Staatschef am Sonntag. „Wir werden auch herausfinden, wer sie finanziert hat.“
Lula warf Bolsonaro vor, für die Ausschreitungen verantwortlich zu sein. Der ehemalige Präsident habe in mehreren Reden dazu aufgerufen.
Lula war zum Zeitpunkt der Attacke nicht in Brasília. Er war in die Stadt Araraquara im Bundesstaat São Paulo gereist, um sich über die Folgen der schweren Unwetter in der Region zu informieren. Erst am späten Sonntagabend reiste Lula zurück nach Brasília und schaute sich die Schäden in den Gebäuden an.
Per Dekret ordnete Lula an, dass die Bundesregierung die Verantwortung für die öffentliche Sicherheit in Brasília übernimmt.
Bolsonaro weist Kritik zurück
In einer Reaktion am Sonntagabend wies Bolsonaro Lulas Vorwurf von sich, wonach er seine Unterstützer zum Aufstand ermuntert habe. Zugleich deutete Bolsonaro an, dass er die Aktion seiner Anhänger missbilligt. Friedlicher Protest sei Teil der Demokratie, doch Vandalismus und das Eindringen in öffentliche Gebäude seien „Ausnahmen von der Regel“, schrieb er auf Twitter.
Heftige Kritik an der Regionalregierung
Die Chefin von Lulas regierender Arbeiterpartei (PT) hatte bereits kurz nach Beginn der Ausschreitungen schwere Vorwürfe gegen die Verantwortlichen in der Hauptstadt Brasília erhoben. „Die Regierung des Bundesbezirks war unverantwortlich angesichts der Invasion in Brasília und im Nationalkongress“, schrieb Gleisi Hoffmann am Sonntag auf Twitter. „Das war ein angekündigtes Verbrechen gegen die Demokratie, gegen den Willen der Wähler und für andere Interessen. Der Gouverneur und sein Sicherheitsminister, ein Anhänger von Bolsonaro, sind für alles verantwortlich, was passiert.“
Kurz darauf ist der Sicherheitschef der Hauptstadt Brasília, Anderson Torres, entlassen worden. „Ich habe die Entlassung des Sicherheitsministers des Bundesdistrikts beschlossen und gleichzeitig alle Sicherheitskräfte auf die Straße geschickt, um die Verantwortlichen festzunehmen und zu bestrafen“, schrieb der Gouverneur des Bundesbezirks, Ibaneis Rocha, auf Twitter. „Ich bin in Brasília, um die Demonstrationen zu beobachten und alle Maßnahmen zu ergreifen, um die antidemokratischen Ausschreitungen im Regierungsviertel einzudämmen.“
Erinnerung an den Sturm auf das US-Kapitol
Die Ereignisse erinnerten an die Erstürmung des US-Kapitols fast auf den Tag genau vor zwei Jahren am 6. Januar 2021 durch Anhänger des ehemaligen Präsidenten Donald Trump. Auch der hatte nach seiner Abwahl zu Protesten aufgerufen, bei denen das Parlamenstgebäude gestürmt worden war.
Der linke Politiker Lula hatte vor einer Woche seinen Amtseid abgelegt. Lula hatte die Stichwahl Ende Oktober äußerst knapp gegen Bolsonaro gewonnen.
Der Rechtspopulist Bolsonaro hatten den Sieg nicht anerkannt und das Land 48 Stunden vor dem Ende seiner Amtszeit verlassen. Vor seinem Abflug nach Florida wandte er sich an seine Anhänger und rief sie zum Kampf gegen Lula auf. Sie haben seit der Stichwahl gegen deren Ausgang protestiert und einen Militärputsch gefordert, um eine Amtsübernahme von Lula zu verhindern. Dieser ist zum dritten Mal im Amt. Er war bereits von 2003 bis 2010 Staatsoberhaupt.
Die Kluft zwischen beiden Lagern in der Gesellschaft ist so tief wie nie seit der Rückkehr des Landes zur Demokratie 1985. Beide Politiker machten sich im Wahlkampf gegenseitig massive Vorwürfe etwa wegen Korruption und haben damit zur Polarisierung der Gesellschaft beigetragen. Lula war 2018 wegen Bestechlichkeit verurteilt worden und hatte eineinhalb Jahre im Gefängnis verbracht. 2021 wurden die Urteile gegen ihn aufgehoben. Seine Zeit im Gefängnis habe seinen Sinn für soziale Gerechtigkeit verstärkt, sagten Vertraute.
Solidarität aus den Nachbarstaaten
Vertreter anderer linksgerichteter Regierungen in Lateinamerika sagten Lula umgehend ihre Unterstützung zu. Der Präsident Kolumbiens, Gustavo Petro, versicherte auf Twitter Lula und den Brasilianern seine Solidarität. Der Faschismus habe beschlossen, einen Staatsstreich zu begehen, so Petro weiter. Er rief zu einer Dringlichkeitssitzung der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) auf.
Auch der argentinische Präsident Alberto Fernandez sprach von einem Putschversuch und bot Unterstützung an. Lulas Regierung habe Chiles volle Unterstützung angesichts des „feigen, abscheulichen Angriffs auf die Demokratie“, schrieb Präsident Gabriel Boric auf Twitter. Der mexikanische Außenminister Marcelo Ebrard schrieb ebenfalls über den Kurznachrichtendienst, sein Land stelle sich gegen jeden Angriff auf demokratische Institutionen.
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) war am Sonntagabend einer der ersten deutschen Politiker, die die Lage in Brasília kommentierten. Er hoffe sehr, „dass Polizei & Einsatzkräfte die Rechtsradikalen bald zurückdrängen können“, schrieb Özdemir auf Twitter und fügte hinzu: „Egal wo, am Ende wollen Rechtsradikale & Faschisten immer das eine: Demokratie zerstören.“
Später verurteilte auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock die Erstürmung der Gebäude „Was in (der Hauptstadt) Brasília passierte, war ein feiger und gewalttätiger Angriff auf die Demokratie“, schrieb Baerbock am Montag auf Twitter. „Unsere ganze Solidarität gilt dem brasilianischen Volk, seinen demokratischen Institutionen und Präsident Luiz Inácio Lula da Silva.“
UN-Generalsekretär António Guterres hat den Sturm auf Regierungsinstitutionen in der brasilianischen Hauptstadt verurteilt. Er sei aber zuversichtlich, dass der Wille des Volkes und die Institutionen des Landes respektiert würden, teilte Guterres auf Twitter mit.
Der britische Außenminister James Cleverly versicherte dem brasilianischen Präsidenten Inácio Lula da Silva die Unterstützung seines Landes. „Die gewaltsamen Versuche, die Demokratie in Brasilien zu untergraben, sind nicht zu rechtfertigen“, twitterte er.
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