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Recht auf SchwangerschaftsabbruchRote Bete gegen „Lebensschützer“

40 Tage am Stück demonstrierten Abtreibungsgegner in Frankfurt am Main – und das ausgerechnet vor der Beratungsstelle von Pro Familia.

Zu Saft gepresst – ein Hilfsmittel im Protest gegen sogenannte Lebensschützer: Rote Bete Foto: foodism360/Unsplash

Frankfurt/Main taz | Ein Platz im Frankfurter Westend an einem Vormittag im März: Ein Dutzend Frauen und drei Männer haben sich auch heute eingefunden, um „für das Leben zu beten“. Im Schneegestöber lassen sie Rosenkränze durch ihre Handschuhe gleiten, murmeln Gebete, ab und an erklingt ein frommes Lied. Um den Hals tragen sie Schilder. Auf einem ist ein ungeborener Fötus abgebildet, vermeintlich aus der 10. Schwangerschaftswoche, an dem Hände, Füße und ein kleines Gesicht zu sehen sind. Die Demonstrant*innen setzen erkennbar auf Emotion.

„Niederträchtig und gemein“ nennt Beatrix Baumann, Vorstandssprecherin der Frankfurter Grünen, die „Mahnwachen“, mit denen seit Aschermittwoch militante Abtreibungsgegner*innen Tag für Tag gegen das Recht auf Abtreibung demonstrieren – und das ausgerechnet vor der Beratungsstelle von Pro Familia. Bis zum Ende der Fastenzeit an diesem Donnerstag protestieren sie vor der Einrichtung, in der unter anderem Frauen, die vor einem Schwangerschaftsabbruch stehen, ihr gesetzlich vorgeschriebenes Beratungsgespräch absolvieren.

Die Fundamentalist*innen stehen aber nicht allein in der Kälte: Ein überparteiliches „Bündnis für Frauenrechte“ organisiert seit Aschermittwoch täglich eine Gegendemonstration.

Thorsten Herget, im Zivilberuf Erzieher, kommt jeden Tag. Er hält es für ein Unding, dass die „Mahnwachen“ vor der Beratungsstelle stattfinden dürfen. „Die Frauen sind doch ohnehin in einer schwierigen Lebenskrise,“ sagt er der taz. Immerhin hat das Ordnungsamt, anders als im Vorjahr, den selbsternannten Lebensschützer*innen aufgetragen, Abstand zum Eingang von Pro Familia einzuhalten. Trotzdem seien die Gebete und Gesänge in den Beratungsräumen zu hören, berichten Berater*innen.

Mit Pippi gegen Abtreibungsgegner*innen

Herget hält sich bewusst nicht an die Regeln. Diesmal hat er sich eine Regenbogenfahne umgehängt und stört die Betenden mit ironischen Parolen. Wenn sie singen, pfeift er die Melodie der aufsässigen Pippi Langstrumpf. Einmal habe er sogar aus Protest vor den „Mahnwächter*innen“ Rote-Bete-Saft in den Schnee gegossen und sei prompt in Polizeigewahrsam genommen worden, berichtet er feixend der taz. „Religion ist heilbar“, steht in roten Lettern auf dem Pflaster.

Frauenrechtler*innen (vorne) protestieren gegen die Anti-Abtreibungs-Mahnwachen (hinten) Foto: Christoph Schmidt-Lunau

Die Stadtgesellschaft wissen die Demonstrierenden des Gegenbündnisses hinter sich. Eine Mehrheit der Stadtverordnetenversammlung hatte sich am vergangenen Donnerstag die Forderung des Bündnisses zu eigen gemacht, den „Mahnwächter*innen“ einen anderen Ort zuzuweisen und sie von der Beratungsstelle von Pro Familia zu verbannen. Nur Frankfurts Ordnungsdezernent Markus Frank (CDU) sah dafür zwar rechtlich zunächst keinen Spielraum.

Ebenfalls gegen die „Mahnwachen“ aktiv ist eine Gruppe von Frauenärzt*innen aus ganz Hessen, unter ihnen viele, die einen Solidaritätsaufruf für ihre Gießener Kollegin Kristina Hänel gestartet hatten. Die war im November wegen angeblicher Werbung für Abtreibung nach Paragraf 219a zu einer Geldstrafe von 6000 Euro verurteilt worden. Die Kolleg*innen unterstützen Hänel ebenso, wie die Kasseler Ärzt*innen Nora Szász und Natascha Nicklaus, die im Februar angeklagt wurden, die ihren Prozess also noch vor sich haben.

Ermittlungen wegen taz-Titel

Besonders irritiert hatte in Hessen zuletzt, dass sogar Ärzt*innen ins Fadenkreuz der Ermittler gerieten, die sich lediglich auf dem taz-Titel vom 18. November unter der Schlagzeile „Wir machen Schwangerschaftsabbrüche“ mit ihrer Kolleg*in Hänel solidarisiert hatten.

Während dieser Auftritt in vielen anderen Bundesländern als Meinungsäußerung bewertet wurde, nahmen die hessischen Strafverfolgungsbehörden in mindestens drei Fällen Ermittlungen auf. Zwei Ärzt*innen aus Offenbach wurden aufgefordert, zu entsprechenden Strafanzeigen Stellung zu beziehen. Die schalteten ebenso einen Anwalt ein wie eine längst pensionierte Ärzt*in aus Marburg, die eine Vorladung zu Polizei erhalten hatte.

Immerhin konnte ihre ebenfalls pensionierte Kollegin Ursula Maaßen aus Kassel der taz am Dienstag berichten, die für sie zuständige Staatsanwältin habe das Verfahren inzwischen eingestellt. Die taz hatte in diesem Zusammenhang die hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) gebeten, zu den sich in Hessen häufenden Ermittlungen wegen des Paragraf 219a Stellung zu beziehen. Die Ministerin lehnte das ab, „mit Rücksicht auf die Unabhängigkeit der Justiz.“

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4 Kommentare

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  • Finde die selbsternannten Lebensschätzer ziemlich gaga und bin völlig für die Abschaffung des Paragrapgen 219, aber: Auch für Sie gilt das Demontrationsrecht - und natürlich ist ein Pro Famila-Standort ein geeigneter Ort um gegen Abtreibung zu demonstrieren.

  • Ich kann mir vorstellen, dass es Menschen gibt, die es unethisch finden abzutreiben, wie es Menschen gibt, die es unethisch finden, Schnitzel zu essen. Das ist denen unbenommen. Wir haben Weltanschauungsfreiheit in Deutschland. Wie kann man nur so borniert sein.

    • @Ansgar Reb:

      Dann haben Sie sicher nichts dagegen, wenn ein Vegetarier direkt neben Ihrem Teller mit Schnitzel protestiert und Ihnen beim Essen Bilder vom Schlachthaus zeigt.

      • @Artur Möff:

        Ja, warum nicht. Sicherlich kann ein Restaurantbesitzer nichts dagegen sagen, wenn auf dem Platz vor seinem Restaurant die Fleischgegner protestieren.