Recht auf Information über Abtreibung: Vom Nazi- zum SPD-Paragrafen
Schwangerschaftsabbrüche waren in Deutschland immer strafbar, Werbung dafür ist es erst seit 1933. Seitdem wurde die Vorschrift immerhin entschärft.
Werbung für Schwangerschaftsabbruch ist dagegen erst seit 1933 strafbar: „Wer öffentlich seine eigenen oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung von Abtreibungen anbietet, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Dieser Paragraf 220 wurde von den Nazis am 26. Mai 1933 im „Gesetz zur Abänderung strafrechtlicher Vorschriften“ eingeführt. Dabei wurden – im Vorgriff auf eine große NS-Strafreform – rund 20 Normen im Strafgesetzbuch verschärft, auch zum Quälen von Tieren und Kindern, zur (wirtschaftlichen) Untreue und zur Prostitution.
Die Strafvorschrift zum Anbieten von Abtreibungen blieb auch nach dem Ende des Dritten Reiches bestehen. Sie galt den Alliierten nicht als typisches NS-Recht. Modifiziert wurde die Vorschrift erst 1974 von der sozialliberalen Koalition im Zuge der „Fristenlösung“, als Abtreibung bis zur 12. Woche grundsätzlich straffrei gestellt wurde. Dabei blieb die „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“ aber im Wesentlichen strafbar. Begründung der SPD-geführten Koalition: Es soll verhindert werden, „dass der Schwangerschaftsabbruch in der Öffentlichkeit als etwas Normales dargestellt und kommerzialisiert wird“.
Immerhin wurde die Vorschrift etwas entschärft. Strafbar ist die Werbung nur noch, wenn sie wegen eines „Vermögensvorteils“ oder „in grob anstößiger Weise erfolgt“. Das heißt: Der Arzt, der gegen Honorar legal Abtreibungen vornimmt, darf darüber nicht informieren. Andere Ärzte, Beratungsstellen und Behörden dürfen Frauen aber mitteilen, welche Praxen legal Schwangerschaften abbrechen.
Gelegentlich neue Paragrafennummer
Diese sozialliberale Vorschrift gilt bis heute. Sie blieb auch bestehen, nachdem das Bundesverfassungsgericht 1976 die Fristenregelung kippte und als 1993 die heutige Beratungslösung eingeführt wurde. Die Vorschrift erhielt nur gelegentlich eine andere Paragrafennummer, 219a heißt sie seit 1993.
2006 erklärte das Bundesverfassungsgericht: „Wenn die Rechtsordnung Wege zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen durch Ärzte eröffnet, muss es dem Arzt auch ohne negative Folgen für ihn möglich sein, darauf hinzuweisen, dass Patientinnen seine Dienste in Anspruch nehmen können.“ Dabei ging es aber nicht um Paragraf 219 a, sondern um einen Abtreibungsgegner, dem verboten worden war, vor einer Klinik Flugblätter gegen einen Arzt zu verteilen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen