Reaktionen auf Trumps Nato-Aussage: Übers Stöckchen gesprungen
Die Aufregung über die Warnung des ehemaligen US-Präsidenten Trump an Nato-Mitglieder ist fehl am Platz. Der Nuklearschirm der USA wird nicht angetastet.
W as ist nur in die europäischen Politiker gefahren? Da wirft ihnen Donald Trump ein Stöckchen hin, und alle springen drüber. Dabei ist das Stöckchen schon einige Jahre alt. Was Trump bei seinem Wahlkampfauftritt in South Carolina über die Nato und die angeblich säumigen Europäer erzählt hat, war keine Ankündigung, sondern eine schmutzige Anekdote aus seiner ersten Amtszeit. Mit Atomwaffen hatte diese dumme Erzählung nichts, aber auch gar nichts zu tun.
Vielmehr ging es um Trumps Obsession von einer imaginären „Rechnung“, die die Europäer zahlen müssten („pay the bill“) – ein altes, irreführendes und mittlerweile erledigtes Thema, wie die jüngsten Zahlen der Nato zeigen. Deutschland hat massiv aufgerüstet, die meisten anderen Alliierten auch. Dennoch fantasieren Politiker und Politikerinnen eine katastrophale Lage herbei, in der sich Europa mit eigenen Atomwaffen vor Russland schützen muss, weil der Nuklearschirm der USA nicht hält.
Geht’s noch? Von der atomaren Abschreckung hat Trump überhaupt nicht geredet, und die sogenannte nukleare Teilhabe der Europäer in der Nato steht auch nicht infrage. Zudem gibt es bisher keine Anzeichen dafür, dass die Abschreckung nicht funktioniert. Was allerdings nicht funktioniert, ist die Strategie des Westens in der Ukraine, wie die gescheiterte Gegenoffensive im vergangenen Jahr gezeigt hat. Die aktuellen Nato-Beratungen konzentrieren sich denn auch auf die Ukraine.
Trump und die Nuklearstrategie sind nur lästige Nebenkriegsschauplätze. Was also treibt Manfred Weber, Katarina Barley und Christian Lindner dazu, jetzt über eine europäische Atombombe zu reden? Ist es der Versuch, von den wachsenden Problemen in der Ukraine abzulenken? Oder geht es doch irgendwie um Trump und die Angst vor einem unberechenbaren Amerika? Klar ist nur, dass die betroffenen Politiker und Politikerinnen weder sich selbst noch der Sache einen Gefallen tun.
Fehlende Strategie für die Ukraine
Deutschland hat den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet, die SPD hat bei ihrer Wahl atomare Abrüstung in Europa versprochen. Wer jetzt über eine deutsche oder europäische Bombe schwadroniert, bricht das Recht und verspielt Vertrauen. Seriöse Sicherheitspolitiker sollten nicht über Trumps Stöckchen springen oder Endzeitfantasien entwickeln – sondern sagen, wie es weitergeht.
Doch dazu schweigen sich die Verantwortlichen aus. Deutschland und die EU haben keine Strategie für den zunehmend hoffnungslosen Krieg in der Ukraine und keinen Plan für den Umgang mit der wankenden Weltmacht USA. Das sollte uns mehr Sorgen machen als irgendwelche Wahlkampfsprüche von Donald Trump.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen