Reaktionen auf Schweizer Abstimmung: Abschottung und Platzangst
Die spinnen, die Schweizer: Die Reaktionen auf die Abstimmung zur Zuwanderung reichen von Bestürzung in der EU bis zur Freude bei den Rechten.
BERLIN taz | Mit sehr knapper Mehrheit hat die Volksabstimmung in der Schweiz für die Begrenzung der Zuwanderung entschieden. Dieses Ergebnis sorgt europaweit für aufgeregte Debatten. Politiker sprechen über den Zusammenhalt in Europa, über den Aufstieg der Rechtspopulisten und über mögliche Folgen innerhalb der EU. Doch auch abseits der Politik äußern die Menschen Empörung über die Abschottungspolitik der Schweiz.
“Die spinnen, die Schweizer!“, schreibt SPD-Parteivize Ralf Stegner auf Twitter. Damit habe er das Ergebnis der Abstimmung gemeint, erklärt die tagesschau. „Geistige Abschottung kann leicht zur Verblödung führen“, fügt er hinzu.
Viviane Reding, Vizepräsidentin der Europäische Kommission kritisiert, dass die Schweiz nur die Vorteile der Europäischen Union für sich in Anspruch nehmen wolle. „Der gemeinsame Wirtschaftsraum ist kein Schweizer Käse“, erklärt sie gegenüber der Financial Times. Er funktioniere nicht, wenn er durchlöchert sei.
Die belgische Zeitung De Standaard bringt die Empörung Seitens der EU auf den Punkt: „Brüssel bekommt den Mittelfinger gezeigt.„
Der schweizer Politologe Pascal Sciarini erklärt hingegen in der französischen Zeitung Le Monde, das Resultat der Abstimmung sei kein Verdikt gegen Europa, sondern gegen die Zuwanderung. „Würde man die gleiche Abstimmung in anderen Ländern durchführen, riskierte man ein ähnliches Resultat“, sagt Sciarini.
Halina Wawzyniak von der Linken verteidigt jedoch das Prinzip der direkten Demokratie. Auf facebook schrieb sie: „das #volksabstimmung mal unsinn beschließt, ist kein argument gegen das instrument. #schweiz unsinn wird auch von parlamenten beschlossen.“
Auch auf Twitter halten manche die Aufregung für übertrieben. User kieliscalling schreibt: „Warum die Aufregung? Geht es nach der CSU würden wir das gleiche machen. Oder ist es weil wir quasi die Rumänen der #Schweiz sind?“
Die Empörung eignet sich zudem wunderbar für Schlagzeilen. Ein Twitter-User kritisiert, dass ausgerechnet der Spiegel der Schweiz nun Angst vor Fremden vorwerfe – während er selbst Anfang der 90er gegen den „Ansturm der Armen“ polemisierte.
Die Berliner Zeitung verteidigt die Ängste der Schweizer: „Wer sich hierzulande über die Angst vor Überfremdung mokiert, sollte zumindest bedenken, dass in der Schweiz der Ausländeranteil an der gesamten Wohnbevölkerung mit 23 Prozent fast dreimal höher ist als in Deutschland. Und was die Fremdbestimmung betrifft, machen sich die Schweizer zu Recht sorgen.“
Die Ergebnisse der Abstimmung bestätigen diese These jedoch nicht. Gerade diejenigen Kantone mit einem besonders hohen Ausländeranteil haben sich deutlich gegen die Beschränkung der Zuwanderung ausgesprochen. Das zeigt eine Infografik, die der Schweizer Blogger Martin Grandjean erstellt hat.
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Vor allem auf dem Land, wo die Menschen am wenigsten vom so genannten „Dichtestress“ betroffen sind, fand die Initiative am meisten Zustimmung, wie die Aargauer Zeitung berichtet: „Einen so deutlichen Graben zwischen Stadt und Land sowie zwischen Deutsch- und Westschweiz gab es schon lange nicht mehr.“
Die Sartirepartei DIE PARTEI bietet einen Lösungsvorschlag an. „Schweiz raus aus Europa“, fordert sie auf facebook. Die so entstandene Freifläche könne als Parkplatz dienen und böte so mehr „Stellflächen für Zuwanderer“.
Bei Europaskeptikern in Frankreich und Großbritannien löst der Volksentscheid Freude aus. Die Abstimmung stelle eine „positive Umkehr gegenüber den zerstörerischen Dogmen der ‚Grenzenlosigkeit‘ dar“, teilt die rechtsextreme französische Partei Front National laut ZEIT mit. Das Ergebnis werde auch den Willen der Franzosen bestärken, die „Masseneinwanderung zu stoppen und die Kontrolle über ihre Grenzen“ selbst zu übernehmen, heißt es weiter.
Nigel Farage, Vorsitzender der antieuropäischen UKIP aus Großbritannien, sagt: „Das sind wunderbare Nachrichten für die Anhänger von staatlicher Souveränität und Freiheit in ganz Europa.“ Eine „weise und starke Schweiz“ habe sich „gegen die Schikane und die Drohungen der ungewählten Brüsseler Bürokraten erhoben“, erklärt er im Herald Scotland.
Dass das Abstimmungsergebnis für die Rechtspopulisten bei den Europawahlen von Vorteil sein könnte, befürchtet der Tagesspiegel: „Ihre hetzerische Saat geht auf. Mit dem Referendum wird wahrscheinlicher, dass die Anti-Europäer am 25. Mai mit einem Viertel der Abgeordneten die größte Gruppe im Europaparlament stellen.“
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Die Südostschweiz hält das Abstimmungsergebnis für „rational fast nicht erklärbar“. Das nationale Selbstverständnis sei eine „Mischung aus Selbstüberhöhung und Minderwertigkeitskomplexen“. Die Folge seien diffuse Verlustängste, die von geschickten Politikern aus dem rechtsbürgerlichen Lager genutzt würden.
Viele Stimmen warnen davor, dass das Schweizer Ergebnis Einfluss auf den Ausgang der Abstimmung in Großbritannien haben könnte. Der Guardian weist auf die unterschiedlichen Ausgangssituationen hin: „Die Schweiz ist nicht in der EU aber im Schengen-Raum, während Britannien ein EU-Mitglied ist, aber nicht Teil des Schengen-Systems.“ Trotzdem sei die Bewegungsfreiheit der EU-Bürger „eine zentrale Säule des gemeinsamen Wirtschaftsraumes der EU“ und beträfe sowohl die Länder der EU als auch die des Schengenraumes.
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