piwik no script img

Reaktion auf Silvesterausschreitungen„Wenn einschränken, dann jetzt“

Grünen-Fraktionschefin Silke Gebel drängt auf ein Böllerverbot und will Anhörungen mit Polizei, Feuerwehr und Krankenhäusern im Abgeordnetenhaus.

Grünen-Fraktionschefin Silke Gebel drängt zur Eile, um zu Beschränkungen beim Böllern zu kommen Foto: dpa
Interview von Stefan Alberti

taz: Frau Gebel, Sie sind eine von denen, die seit vielen Jahren ein Böllerverbot fordern – bislang vergeblich. Wird jetzt nach den erschreckenden Bildern von Silvester etwas draus?

Silke Gebel: Als ich 2013 das Thema als ganz frische Abgeordnete forciert habe, habe ich noch in der Morgenpost die Kopfnote 6 bekommen. Jetzt aber sagt sogar die B.Z., dass wir unbedingt ein Böllerverbot brauchen. Da hat sich tatsächlich was gedreht. Meine Erfahrung ist aber: Wenn wir das Böllern einschränken wollen, dann müssen wir das jetzt im Januar machen.

Die Debatte geht nach den Angriffen auf Feuerwehrleute und Polizisten allerdings gerade in die Richtung Jugendgewalt. Droht da das Thema Böllerverbot nicht gleich wieder in den Hintergrund zu geraten?

Es gibt tatsächlich diejenigen, wie zum Beispiel CDU-Chef Kai Wegner, die einfach nur das Recht der Stärkeren verteidigen wollen. Frei nach dem Motto: Je größer das Geschoss, desto größer die Freiheit. Das machen sie in der Verkehrspolitik, das machen sie jetzt eben auch hier beim Böllern an Silvester.

Im Interview: 

Silke Gebel

Die 39-jährige gebürtige Schwäbin ist seit 2016 Co-Chefin der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus.

Was meinen Sie mit „Recht des Stärkeren“? Wegner fordert, friedlich knallende Familien nicht mit einem Böllerverbot für die Aggressivität anderer zu bestrafen.

Schauen Sie doch mal in die Bilanz, die das Unfallkrankenhaus Berlin jetzt getwittert hat: Da mussten bei Kindern Gliedmaße, also Finger, amputiert werden. Das sind genau die Schwächeren, die wir mit einem Böllerverbot schützen wollen. Für die Familien, mit denen Wegner argumentiert, setzen wir Grüne uns dafür ein, dass es eben zentrale Feuerwerke gibt, die sich die Familien dann auch unbesorgt anschauen können – und alle anderen auch, die Spaß an Feuerwerk haben. Vielleicht kann es auch den einen oder anderen Abbrennplatz für Knaller geben – aber eben auch weit genug weg von allen vulnerablen Gruppen.

Mit dieser Haltung machen Sie sich nicht nur Freunde.

Es ist doch ganz einfach: Wenn wir keine Böller an Silvester in diesem Ausmaße haben, dann gibt es auch einfach nicht diese Ausschreitungen, weil es niemanden gibt, der Böller schmeißen kann.

Manche scheinen eher zu meinen, angesichts von Angriffen mit Stangen und Steinen auf Feuerwehrleute seien Böller das geringste Problem

Wir haben ja in den letzten zwei Jahren gesehen, wie friedlich Silvester ablaufen kann, wenn es eben nicht diese Unmengen an Böllern gibt. Dann kann die Polizei auch viel besser Herrin der Lage sein und Ausschreitungen viel besser im Griff behalten.

Was soll aus Ihrer Sicht nun konkret im Abgeordnetenhaus passieren, um möglichst schnell zu einem Böllerverbot zu kommen?

Wir werden jetzt auf jeden Fall Anhörungen auf den Weg bringen und im Innenausschuss Polizei und Feuerwehr zu Wort kommen lassen. Gut wäre auch, im Gesundheitsausschuss noch mal die Krankenhäuser anzuhören. Wir haben als Berlin außerdem eine Bundesratsinitiative, mit der wir ein bundesweites Verkaufsverbot von Böllern erreichen wollen. Das wird jetzt forciert werden müssen. Da rufe ich auch alle anderen Bundesländer auf, dem zuzustimmen.

Diese Initiative ist ja nicht gerade neu.

Die haben wir schon 2019 in den Bundesrat eingebracht. Allerdings war es bislang schwierig, eine Mehrheit zu bekommen. Aber wenn man sich jetzt mal in ganz Deutschland umschaut, dann gibt es ja schon eine erschreckende Bilanz, nicht nur in Berlin. Außerdem müssen wir schnell weitere Böllerverbotszonen für Silvester 2023 festlegen.

Das klingt so, als ob Sie noch nicht davon ausgehen, dass es bis dahin ein bundesweites Böllerverbot gibt.

Die Erfahrung der Böllerdiskussion lehrt, dass man zweigleisig fahren kann. Die FDP hat ja schon gesagt, dass ihr Verständnis von Freiheit ist, dass alle Leute wild um sich böllern dürfen. Insofern haben ich wenig Hoffnung, dass die Ampelregierung sich zu einem Verkaufsverbot durchringen kann.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Ein zentrales Feuerwerk ist halt nicht mit der privaten Pyrotechnik zu vergleichen - zumal zu fragen wäre, wie viele zentrale Feuerwerke sie den genau abschießen wollen würde; schließlich besteht Berlin aus 96 Ortsteilen.

    Und die Vandalen holen sich ihren Stoff dann halt in Polen.

  • Für solche, die andere Menschen - darunter auch Rettungskräfte und Polizisten - mit Böllern und Raketen traktieren, hat man genügend deftige und zutreffende Bezeichnungen gefunden.

    Doch wie bezeichnet man Menschen, die zwar total erbost über solches Verhalten sind, aber gleichzeitig um des reinen Vergnügens willens und trotz besseren Wissens es gedankenlos oder stur ignorierend in Kauf nehmen, daß Tausende Menschen - insbesondere ältere Menschen und chronisch Kranke - zu Silvester durch Schreck, Streß und Feinstaubzusatzbelastung zum Teil erhebliche zusätzliche Gesundheitsschäden erleiden und nicht wenige in der Folge auch sterben?

    Jetzt intensive Maßnahmen gegen solche zu fordern, die sich total daneben benehmen, ist reine Schaumschlägerei, wenn gleichzeitig das Grundproblem nicht beseitigt wird. Vermutlich gäbe es schon längst ein Böllerverbot, wenn da nicht die riesigen zusätzlichen Steuereinnahmen wären, die jedes Jahr neu zu Silvester generiert werden.

    • @wxyz:

      Und genau deshalb bin ich für ein absolutes Böller-, und Feuerwerksverbot für Privatmenschen.



      Die Umweltbelastung, alte und kranke Menschen, Tiere und kleine Kinder, für alle diese Lebewesen ist Feuerwerk und Böllerei eine Qual.

    • @wxyz:

      Ein Böllerverbot in Berlin bringt gar nichts!



      Die fahren dann nach Polen um die Böller einkaufen, welche noch viel lauter und gefährlicher sind, und kümmern sich einen Dreck um ein Verbot.



      Verbote die nicht durchsetzbar sind taugen nichts.