Razzien in Shisha-Bars: Kaum nachvollziehbar
Eine Linken-Anfrage stellt den Nutzen von Razzien gegen „Clankriminalität“ in Frage. Im Kampf gegen Organisierte Kriminalität helfen sie wenig.
Laut den Antworten auf Schraders Anfrage mit der Drucksache 19/10124, die der taz exklusiv vorliegen, gab es seit Ende Juni 2020 in ganz Berlin 250 Schwerpunkteinsätze mit Bezug zur Bekämpfung von „Clankriminalität“, davon fanden 34 in Neukölln statt, dem angeblichen Hotspot der „arabischen Clans“. Die Größe der Einsätze und der beteiligten Behörden und Polizeibeamten schwankt dabei stark, teilweise sind bis zu 150 PolizistInnen im Einsatz und fünf bis sechs Behörden – Bezirksämter, Finanzämter, Hauptzollamt – beteiligt.
Öffentlich werden solche Schwerpunkt- oder Verbundeinsätze von der Politik als wichtiges Element im Kampf gegen „Clankriminalität“ – als einem Zweig der Organisierten Kriminalität – dargestellt. Gefunden wird dort allerdings vorwiegend „Kleinkram“: Ordnungswidrigkeiten wie Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung, das Infektionsschutzgesetz, den Jugend- oder Gesundheitsschutz. Häufig werden auch Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz festgestellt, große Drogenfunde sind jedoch selten. Manchmal werden Waffen konfisziert, häufig Messer, manchmal gibt es manipulierte Spielautomaten oder Funde von unverzolltem Shisha-Tabak.
Angesichts dieser in Relation zum hohen Personalaufwand und der hohen öffentlichen Wahrnehmung mageren „Ausbeute“ wollte Schrader wissen, wie die Auswahl der kontrollierten Geschäfte zustande kommt und vor allem, bei wie vielen im Vorhinein „Anhaltspunkte für Organisierte Kriminalität“ vorliegen. Die Antwort der Innenverwaltung: Dazu würden „aus ermittlungstaktischen Gründen“ keine Angaben gemacht. Grundsätzlich würden die beteiligten Behörden (zumeist Ordnungsämter, Finanzämter oder Zoll) die Geschäfte auswählen, in Einzelfällen aber auch die Polizei.
Man guckt, was man findet
Schrader findet diese Antwort „frech“: Denn inwiefern, fragt er, könne es „ermittlungstaktisch“ schaden, eine Summe von Geschäften zu nennen, die kontrolliert werden, weil man sie im Zusammenhang mit Organisierter Kriminalität sieht? Die ausweichende Antwort, findet er, spreche dafür, dass man eben nicht gezielt vorgehe, sondern „guckt, was man findet“.
Diese „show of force“-Strategie – Abschreckung durch Großeinsätze – habe jedoch die bekannten „Kollateralschäden“ zur Folge, so Schrader: vor allem die öffentliche Stigmatisierung bestimmter Geschäftszweige (Shisha-Bars, Barber-Shops), Gegenden (Sonnenallee) und Bevölkerungsgruppen (arabischsstämmige Menschen). Zudem sei diese Strategie dem eigentlichen Zweck nicht dienlich, sagt er: „Organisierte Kriminalität bekämpft man nicht mit Symbolik und Show, sondern mit gezieltem Vorgehen bei tatsächlichen Verdachtsmomenten.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin