Razzia im Geheimdienst: Ungarn ließ offenbar EU-Beamte überwachen
Der ungarische Auslandsgeheimdienst ließ offenbar EU-Ermittler beobachten. Diese ermittelten wegen Geschäften von Orbáns Schwiegersohn.
Der Konflikt begann demnach nach der Parlamentswahl 2018. Der mächtige Minister János Lázár verlor die Kontrolle über den Auslandsgeheimdienst an Außenminister Péter Szijjártó. Was als routinemäßige Überprüfung deklariert wurde, entpuppte sich als gezielte Durchsuchungsaktion: Ein etwa 30-köpfiges Kommando verschiedener Sicherheitsbehörden besetzte wochenlang die IH-Zentrale, durchforstete Archive und beschlagnahmte Computer, so der Direkt36-Bericht.
Der Grund für die Razzia ist hochbrisant: Das Team suchte nach Beweisen für die systematische Überwachung von EU-Ermittlern in den Jahren 2015 bis 2018. Unter Lázárs Führung hatte der Geheimdienst offenbar gezielt Mitarbeiter der EU-Antibetrugsbehörde OLAF beschattet. Die Ermittler hatten damals dubiose Ausschreibungen für öffentliche Beleuchtungsprojekte der Firma Elios untersucht. Das Unternehmen gehörte István Tiborcz, dem Schwiegersohn von Premier Viktor Orbán.
Die OLAF-Ermittler wurden demnach bei vier Ungarn-Besuchen zwischen 2015 und 2017 nicht nur abgehört, sondern etwa auch im Auto verfolgt. Die EU-Beamten bemerkten die Observation und spielten zeitweise Katz und Maus mit ihren Verfolgern, wie es heißt.
Überwachung blieb ohne Erfolg
Die gesuchten Dokumente fand das Durchsuchungskommando allerdings nicht. Mutmaßlich weil diese Überwachungsoperationen in sogenannten „White Papers“ außerhalb der regulären Akten vermerkt wurden.
Der Fall weist auf tiefe Gräben innerhalb der ungarischen Machtelite hin. Obwohl die Razzia offiziell vom Außenministerium angeordnet wurde, kam der Befehl wohl aus Orbáns engstem Kreis. Man wollte offenbar herausfinden, welche Informationen der Geheimdienst unter Lázár über die Geschäfte der Orbán-Familie gesammelt hatte.
Die ungarisch-belgische Recherche stützt sich auf zahlreiche Interviews mit Geheimdienstquellen und Regierungspolitikern. Direkt36, 2015 als Zentrum für Investigativjournalismus gegründet, hatte bereits 2021 aufgedeckt, dass der ungarische Staat die umstrittene Pegasus-Spyware einsetzte. Damals wurden Journalisten, Anwälte, Oppositionspolitiker und Beamte ausgespäht. Die aktuellen Vorwürfe und die Razzia kamen nun erstmalig auf. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung.
Orbáns Sprecher äußerte sich auf taz-Anfrage nicht zu den Berichten. Ob die EU auch eigene Ermittlungen und Nachforschungen anstellen werde, beantworteten weder OLAF noch Europäische Kommission, bei der OLAF angesiedelt ist.
Missbrauch von Geheimdiensten
Auch auf die Frage, ob die EU-Institutionen bereits vor den aktuellen Medienberichten Kenntnis der Vorwürfe hatte, beantwortete man nicht. OLAF verwies auf die Vertraulichkeit und betonte gegenüber der taz lediglich die Wichtigkeit, „Untersuchungen zu Betrug, Korruption und anderen illegalen Aktivitäten, die die finanziellen Interessen der EU beeinträchtigen, ungehindert durchführen zu können“.
Klar ist: Der Fall wirft ein Schlaglicht auf die zunehmende Machtkonzentration unter Orbán und den Missbrauch von Geheimdiensten für politische Zwecke. Dass mutmaßlich illegale Überwachungsaktionen ohne Konsequenzen blieben, zeigt die Schwäche des ungarischen Rechtsstaats. Doch auch von der EU würde man sich eine stärkere Reaktion erwarten.
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