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Raus aus der Warteschleife

Wenn die psychische Gesundheit leidet, muss professionelle Hilfe her. Doch die Suche nach einem Therapieplatz dauert oft lange. Wie kann eine bessere Versorgung gelingen?

Von Simon Barmann

Wer mit einem psychischen Leiden nach einem Therapieplatz sucht, braucht Geduld. Rund vier Monate warten Pa­ti­en­t*in­nen im Schnitt, bis sie eine Therapie beginnen können, zeigen aktuelle Zahlen. In ländlichen Regionen und bei Kindern und Jugendlichen dauert es oftmals noch länger. Betroffenen bleibt dann nichts anderes übrig, als seitenlange Listen nach einem Therapieplatz abzutelefonieren. Die ohnehin schon große Hürde, eine psychische Erkrankung behandeln zu lassen, steigt damit zusätzlich.

Das ergibt auch eine Auswertung, die das Deutsche Ärzteblatt veröffentlichte. Demnach erhält nur jeder zehnte Mensch mit Depression eine leitliniengerechte Psychotherapie. Obwohl auch die Zahl der Psy­cho­the­ra­peu­t*in­nen konstant steigt, werden die Klagen über die mangelnde Versorgungslage nicht leiser. Durch die große Psychotherapiereform von 2017 wurden in den vergangenen Jahren Bürokratie abgebaut, Flexibilität gestärkt und unterrepräsentierte Therapieformen gefördert. Die dort beschlossenen Neuerungen werden zwar überwiegend positiv bewertet, dennoch hat sich die Wartezeit auf eine Psychotherapie seitdem nicht verändert, mit schweren Konsequenzen für die Betroffenen

Mehr als jede vierte Person in Deutschland leidet an einer psychischen Erkrankung – und das hat weitreichende Folgen. Denn Betroffene leben meist kürzer und leiden häufiger an weiteren körperlichen Krankheiten. Neben der verringerten Lebensqualität führt das auch zu einem wirtschaftlichen Schaden, Schätzungen nach liegt der bei rund 150 Milliarden Euro, umgerechnet fünf Prozent des jährlichen deutschen Bruttoinlandsprodukts.

Ein zentrales Problem sind fehlende Kassensitze. Ende vergangenen Jahres gab es 35.000 Psychotherapeut*innen, die mit einer Zulassung Kas­sen­pa­ti­en­t*in­nen in einer Praxis behandeln durften. Weil etwa die Hälfte aber nur einen halben Sitz hat – sich also eine Praxis teilt – ist die Zahl der Praxen geringer. Die weiteren 15.000 The­ra­peu­t*in­nen ohne Zulassung können nur private Behandlungen anbieten. Zwar nehmen die Kassensitze zu, aber weitaus weniger als etwa die Bundespsychotherapeutenkammer fordert.

Lange verpönt, aber sie hilft genauso gut – die Gruppentherapie Foto: Wolfgang Kunz/Fotofinder

Für den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), das höchste Selbstverwaltungsorgan im Gesundheitswesen, ist weniger die Anzahl der Sitze das Problem als ihre Verteilung. Städte seien überversorgt, während Sitze im ländlichen Raum oft unbesetzt blieben. Und auch der individuelle Bedarf vor Ort – etwa in Bezug auf Krankheitsbilder – müsse betrachtet werden.

Grundsätzlich gilt: Für eine gute psychotherapeutische Versorgung braucht es nicht unbedingt ein neues System. Schon jetzt zeigen einige Beispiele, wie Betroffenen besser geholfen werden könnte.

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