Rauch aus Sibirien: Die Erhebung der Toten

Rauchschwaden ziehen von weit her über das Land. Gelöscht wird nicht. Wut und Lethargie lähmen die Menschen in Russland.

Rauschwaden ziehen über einen Wald hinweg

Gelöscht wird nicht, die Feuerwehr lässt sich nicht sehen Foto: imago/Donat Sorokin/TASS

Der Himmel ist trüb. So neblig, sage ich. „Das ist kein Nebel“, sagen sie, „das ist Rauch aus Sibirien.“ Es brennt. Die Feuer sind zig Kilometer entfernt, in der Region Irkutsk, aber man kann, sagen sie, ihre Wirkung sehen bis hierher. Die Regierung weigere sich, zu löschen, weil es ihr zu teuer sei, und egal. Russland in diesem Sommer ist aufgebracht; in Moskau demonstrieren sie wöchentlich gegen die Wahlmanipulation, im Ausland schreiben sie von Putins sinkender Popularität. Und gleichzeitig ist da dieser Gleichmut.

Wut und Lethargie zusammen, vielleicht eine sehr russische Mischung. So lange Jahre der Wut, dass man sich mit Lethargie schützen muss. Ich nenne hier im Text zur Sicherheit nicht die Namen der Leute, mit denen ich spreche, oder ihre Wohnorte, man weiß ja nie.

Die Regierung, sagen sie, habe die Menschen in der Hand, vor allem über den Wohnungskredit, den viele Russen aufgenommen haben. Sie glauben nicht an Wandel. Die Opposition in Moskau, das sei doch nur Theater. „Die gibt es, weil es sie geben darf.“ Wer wirklich gefährlich wird, für den finde der Apparat andere Lösungen.

Putin, der Lieblings-Bond-Bösewicht des Westens, erscheint anders hier, unbedeutender, er ist bloß ein Teil des Systems. „Wenn er stirbt“, sagt eine, unvorstellbar für sie, dass Putin anders verschwinden würde, „wenn er stirbt, dann kommt halt ein anderer.“ Sie wünschen sich vor allem, dass die Oligarchen und die korrupten Beamten entmachtet werden. Wir werden gemolken von denen. Und manchmal sehnen sie sich nach den alten Zeiten zurück. Die Großmutter sagte, zu Sowjetzeiten habe es zwar wenig gegeben, aber das wenige habe man eben gehabt. „Heute sind die Supermärkte voll von Waren, aber wir können nichts davon bezahlen.“ Kapitalismus zum Zuschauen. Getragen mit einer Mischung aus Sarkasmus und Stoizismus, auch Stolz.

Teil der Propaganda-Strategie

Wir treffen auf Militärparaden und Festtage der Marine, gefühlt dauernd, Teil der Propaganda-Strategie. Und viele feiern trotzdem stolz die russische Armee. „Ich liebe mein Land, aber ich hasse den Staat“, zitiert einer, von wem sei das nochmal, Puschkin bestimmt, von dem ist doch alles. Und die Zukunft?

Vor einer echten Revolte, sagt die, die nach Putin noch so einen erwartet, habe sie Angst. Nachher gebe es Krieg wie in der Ukraine. „Wenn wir uns ernsthaft wehren, zertreten sie uns wie die Ameisen.“Nicht jeder ist unzufrieden. Ich kenne Leute, die leben gut hier, in hart erarbeitetem, neuem Wohlstand, für sie funktioniert das System. Viele andere hätten sich zurückgezogen ins Private; die wollten nicht mehr über Politik reden. Nicht mehr wütend sein. Es ist anstrengend, wütend zu sein.

„Wir haben sowieso keine Macht. Wir sind wie Tote.“ Und manchmal brennt es kurz, die Toten erheben sich. Dann ist wieder Ruhe, und Rauch liegt über Sibirien.

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Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum, Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen zum Beispiel im Fußball und übers Reisen. 2018 erschien ihr Buch "Wir sind der Verein" über fangeführte Fußballklubs in Europa. Erzählt von Reisebegegnungen auch auf www.nosunsets.de

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