Raubkunst in der DDR: Heiße Waren, kalte Quellen
Das Deutsche Zentrum für Kulturgutverlust stellt in Berlin erste Forschungsergebnisse zum Kunstraub in der SBZ und DDR vor.
![](https://taz.de/picture/3425436/14/29526141.jpeg)
Einer der wenigen, die sich offensiv gegen den planmäßigen Kunstraub in Ostdeutschland vom Kriegsende bis zur Wiedervereinigung stemmte, war der Berliner Bibliothekar und Paläograf Hans Lülfing. 1957 war Lülfing Direktor der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek geworden. Als im Januar 1962 das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) unter dem Decknamen „Licht“ in Banken und ehemaligen Finanzinstituten den Inhalt Tausender seit dem Zweiten Weltkrieg unberührt gebliebener Schließfächer und Tresore konfiszierte, setzte Lülfing etwas Unglaubliches durch.
Wenigstens historische Handschriften landeten in der Bibliothek unter den Linden. Mehr als 1.000 andere Objekte, darunter Antiquitäten, Aktien, Schmuck, Kunstwerke, Porzellan und Besteck, wurde dagegen ohne Einverständnis der Eigentümer von DDR-Behörden ins Ausland verkauft.
Thomas Widera vom Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung in Dresden erzählt bei einer Pressekonferenz des Deutschen Zentrums für Kulturgutverluste im Deutschen Historischen Museum am Dienstagvormittag sehr plastisch vom Ausmaß und der Skrupellosigkeit des staatlichen Kunstraubs in der SBZ und der DDR. „Das MfS hat bei der Aktion ‚Licht‘ die Provenienz vollständig verunklart“, sagt er.
Die Aktion „Licht“ war nur ein Beispiel
Vermutlich wurden vor allem die Hinweise auf ehemalige jüdische Eigentümer gezielt vernichtet – die DDR hatte schließlich den Antifaschismus zur Staatsdoktrin erhoben. Es hätte mehr als seltsam ausgesehen, wenn dieses Land ganz offiziell Kulturgüter von Faschismusopfern in den Westen vertickt hätte.
Das öffentliche Interesse an der Herkunft und Rückgabe von NS-Raubkunst und Kulturtransfers aus kolonialer Zeit ist derzeit riesig – durch den Fall Gurlitt, die Forderung des französischen Präsidenten Macron, das künstlerische Erbe Afrikas zu restituieren, und die Debatten übers Humboldt Forum. Insofern verwundert es nicht, dass das Auditorium gut besetzt ist, wenn das Zentrum für Kulturgutverluste erste Forschungsergebnisse zum Kunstraub in der SBZ und DDR vorstellt.
2015 von Monika Grütters in erster Linie zur Erforschung von NS-Raubkunst gegründet, kümmert sich das Magdeburger Institut seit 2017 auch um Kulturgutverluste während der Kolonialzeit und in der SBZ und DDR. Denn die sogenannte Stasi-Aktion „Licht“ war nur ein Beispiel, wie in der DDR Privatpersonen enteignet wurden. Kulturobjekte wurden auch von Menschen, die in den Westen gegangen sind, ohne Entschädigung eingezogen. Durch Plünderungen während der Bodenreform 1945 bis 1946 kam es ebenfalls zu Verlusten. Ein Teil der enteigneten Objekte ist in Museen in ganz Deutschland gewandert, ein anderer an private westdeutsche Händler und Sammler verkauft worden.
Neben Thomas Widera berichtet vor allem Alexander Sachse vom Museumsverband Brandenburg eindrücklich von seinem Pilotprojekt, in dem es um kritische Provenienzen in brandenburgischen Museen geht. Vier davon wurden untersucht: ein Museum in Eberswalde, eines in Strausberg, eines in Neuruppin und eines in Frankfurt (Oder).
Die ambivalente Rolle der Museumsangestellten
Das Fazit: Auch wenn sich manches Stück heute noch in westdeutschen Museen, Bibliotheken und Privatsammlungen befinden wird, dürften es vor allem ostdeutsche Museen sein, in denen sich sehr viel mehr Objekte mit kritischer Provenienz befinden als vermutet.
Die Museumsangestellten, so Sachse, nahmen in der DDR eine ambivalente Rolle ein. Viele ließen sich etwa in der Rolle des Gutachters an Enteignungen von Privatpersonen beteiligen, viele versuchten auf diese Weise aber auch, Objekte zu bewahren. In den vier untersuchten Museen waren es zwischen 200 und 1.500 Objekte – also zwischen 1 und 8 Prozent der Sammlung –, deren Herkunft schwierig ist. Auf Nachfrage bestätigt Sachse, dass er diese Zahlen für repräsentativ hält.
Es ist erstaunlich, wie wenig dieses Kapitel der deutschen Geschichte 30 Jahre nach dem Mauerfall aufgearbeitet ist. Die Provenienz vieler Objekte wird nicht nur aufgrund der gezielten Vernebelung durch die DDR-Behörden kaum mehr geklärt werden können, so Gilbert Lupfer, wissenschaftlicher Vorstand des Zentrums Kulturgutverluste: Viele Antragsfristen für Rückforderungen bei den Ämtern seien längst verjährt.
Anders als bei der NS-Raubkunst gebe es für den staatlichen Kunstraub der DDR zudem keine Washingtoner Erklärung zur Wiedergutmachungspolitik. Außerdem vermuten viele ehemalige DDR-Flüchtlinge bis heute nicht, dass ihre privaten Kulturgegenstände in einem Museum gelandet sein könnten.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!