Raubkunst in Berlin: Postkoloniale Leerstellen
Das Humboldt Forum lenkt ein: Die Benin-Bronzen werden wohl nicht gezeigt. Der Intendant geht von Rückgaben an Nigeria aus.
Noch zur digitalen Eröffnung des Humboldt Forums Mitte Dezember hatte Dorgerloh auf die Frage nach kritischen Stimmen im Allgemeinen und Nigerias jüngst erneut geäußerten Anspruch auf die Benin-Bronzen im Besonderen frech erwidert, dass „uns die Leute die Bude einrennen werden“. Nun scheint er zurückzurudern – sehr zur Freude langjähriger Anti-Humboldt-AktivistInnen. „Es ist ein großer Tag im jahrzehntelangen Kampf um die Restitution von Kulturschätzen aus kolonialen Zusammenhängen“, sagen Mnyaka Sururu Mboro und Christian Kopp von Berlin Postkolonial der taz. „Doch wir dürfen nicht bei den Benin-Bronzen stehen bleiben: Noch lagern Zehntausende geraubte Kunstwerke und Tausende Gebeine Kolonisierter in deutschen Sammlungen.“
In den letzten Monaten ist einfach zu viel passiert, das kann auch das Humboldt Forum nicht beiseitelassen. Erst am vergangenen Freitag hat sich die Kunsthistorikern Bénédicte Savoy, die zu den schärfsten Kritikerinnen des Humboldt Forums gehört, wieder gegen eine Präsentation der Benin-Bronzen in Berlin ausgesprochen. „Eigentlich sollte das Schloss 2019 eröffnet werden, und damals wäre eine Präsentation gerade noch denkbar gewesen“, sagte Savoy. „Aber mit jedem Monat, mit jedem Tag sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass die Bronzen gezeigt werden können, ohne sich zu blamieren“, so die in Berlin und Paris lehrende Professorin, die 2018 mit Felwine Sarr einen Bericht über die Restitution afrikanischer Kulturgüter für den französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron erarbeitet hatte.
Hinzu kommt, dass in den letzten Tagen Andreas Görgen, der im Auswärtigen Amt für Kultur zuständig ist, in Nigeria war, um dort über die Rückgabe der Bronzen zu verhandeln. Einem Bericht in der nigerianischen Presse zufolge ist die Gründung einer regierungsunabhängigen Stiftung geplant, an welche die Bronzen zurückgegeben werden sollen. In Benin-Stadt soll ein Museum entstehen, das die Bronzen zeigen wird.
„Zu einem aufrichtigen Umgang mit der Kolonialgeschichte gehört auch die Frage der Rückgabe von Kulturgütern. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit“, sagte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) zum Austausch des Auswärtigen Amtes mit Nigeria zum Zwecke einer Museumskooperation. Dafür habe das Amt sich mit Bund, Ländern und Gemeinden in den Eckpunkten klare Ziele gesetzt und man stelle sich der Aufgabe, mit den internationalen Partnern dafür notwendige Voraussetzungen zu schaffen. „Im Fall der Benin-Bronzen arbeiten wir mit den Beteiligten in Nigeria und in Deutschland daran, einen gemeinsamen Rahmen aufzubauen, vor allem in der Museumskooperation mit dem geplanten Museum of West African Art EMOWAA in Benin-City“, sagte Maas.
Leerstellen oder Leihgaben
Die Bronzen gehören derzeit formal der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK). Sie hätte deshalb über ihre Rückgabe zu entscheiden, hat sich aber lang mit dem Thema schwergetan. Inzwischen geht auch die Stiftung von Rückgaben aus. Hermann Parzinger, Präsident der SPK, sagte zuletzt der dpa, es müsse „zu Rückgaben kommen, da bin ich ganz sicher“. Auf Nachfrage sagte SPK-Sprecherin Stefanie Heinlein zur taz: „Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz führt aktive Gespräche mit den zuständigen Akteuren in Nigeria, um eine Lösung für die Benin-Bronzen in der Sammlung des Ethnologischen Museums zu finden.“ Dies geschehe etwa in der Benin Dialogue Group, in der europäische und afrikanischen Partner über diese Fragen sprechen. Im Mai komme das Gremium erneut zusammen.
Auf den Vorschlag von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) in der Zeit, dass „in den Ausstellungsräumen im Humboldt Forum Leerstellen bleiben“ könnten, sagt Heinlein allerdings: „Zu keinem Zeitpunkt war die Rede davon, dass im Humboldt Forum nur noch Repliken gezeigt werden sollen.“
Noch sind keine Rückgaben beschlossen, betont Humboldt-Intendant Dorgerloh. Dennoch würden „die Konsequenzen für die Ausstellung“ aktuell mit den „Partnern in Nigeria“ diskutiert. In Rücksprache mit Letzteren sei auch denkbar, vor Rückgabe der Originale mithilfe moderner Technik exakte Kopien von Bronzen für das Humboldt Forum anzufertigen. Auf jeden Fall würden die Konzepte für die bisher geplante Ausstellung der Bronzen weiter überarbeitet. Sicher sei, dass auch die Unrechtskontexte kolonialer Zeiten thematisiert werden.
Auf Twitter wird die Entwicklung am Dienstag teils enthusiastisch kommentiert. „What a day!“, schreibt die in Berlin lebende deutsch-englische Schriftstellerin und Antirassismus-Aktivistin Sharon Dodua Otoo unter dem Hashtag #Beninbronzen. Der Grünen-Abgeordnete Sebastian Walter findet: „Endlich – der zivilgesellschaftliche Druck hat gewirkt! An den #BeninBronzen klebt Blut. Sie im #HumboldtForum auszustellen, wäre ein fatales Zeichen für eine geschichtsvergessene Fortschreibung kolonialer Kontinuitäten gewesen.“
Vorbild für andere Museen
Die Ethnologin Viola König, ehemalige Direktorin des Ethnologischen Museums in Dahlem, fängt schon an zu träumen: „Best case scenario: Restitution Benin Bronzen und Eröffnung ethnologischer Ausstellungen im #HumboldtForum und Durchimpfung gegen Corona fallen zusammen.“ Einige AktivistInnen fordern bereits Konsequenzen für andere Museen, etwa das Rautenstrauch-Joest in Köln. Insgesamt soll es in mindestens zehn deutschen Museen Benin-Bronzen geben.
Sollte Berlin tatsächlich Bronzen zurückgeben, hätte das enorme Konsequenzen für diese Museen. Denn die Bronzen, von denen sich in Deutschland mehr als 1.000 – davon rund 530 im Ethnologischen Museum Berlin – befinden, gehören zu den bekanntesten und wertvollsten afrikanischen Kunstwerken. Sie sind in den letzten Jahren zu Symbolen im Streit um Rückgaben von kolonialer Raubkunst geworden. Die meisten von ihnen wurden 1897 bei einem militärischen Rache-Feldzug der Briten aus Benin-Stadt im heutigen Nigeria geraubt, bei dem Soldaten weite Teile der Stadt verwüsteten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nachtcafé für Obdachlose
Störende Armut
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus