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Rassistische Polizeigewalt in den USAEndlich wird hingeschaut

Bernd Pickert
Kommentar von Bernd Pickert

Das Verhältnis zwischen Bürger*innen und Staat ist in den USA völlig gestört. Ohne eine Reform der Polizei lässt es sich nicht reparieren.

Atlanta, Georgia: Hier wurde der Schwarze Rayshard Brooks getötet Foto: Steve Schaefer

S chon wieder ist ein Schwarzer in den USA von der Polizei erschossen worden. Schon wieder hat Schwarzes Leben nicht gezählt. Der Hergang der Todesschüsse von Atlanta mag nicht so eindeutig sein wie die Ermordung George Floyds in Minneapolis Ende Mai.

Im Gegenteil: Ein Schwarzer, der sich ein Handgemenge mit der Polizei liefert, dabei einen Elektroschocker klaut, davonrennt, den Taser auf einen Polizisten richtet und dann erschossen wird – das wäre noch vor wenigen Wochen nicht einmal eine Nachricht gewesen. Dabei wäre der Skandal genau der gleiche: Man kann ziemlich sicher sein, dass ein Weißer, der betrunken vor einem Schnellrestaurant in seinem Auto einschläft, nicht von der Polizei erschossen worden wäre.

Es wird also endlich genauer hingeschaut, und dafür spricht auch die Reaktion, nicht nur der Medien, sondern auch der Politik. Die Polizeichefin erklärt ihren Rücktritt, Atlantas Bürgermeisterin setzt durch, dass der verantwortliche Polizist sofort entlassen wird. Da scheint begriffen worden zu sein, dass etwas so im Argen liegt im Verhältnis von Schwarzen Bürger*innen und Polizei, dass sofortiges Handeln nötig ist.

Das aber muss wesentlich weiter und tiefer gehen als bislang. Die Ausbildung der Streifenpolizisten in den USA ist ein Skandal, sie muss viel länger und gründlicher werden, bevor die Uniformierten auf die Bevölkerung losgelassen werden. Racial Profiling muss radikal unterbunden werden. Solange Schwarze Mütter ihren männlichen Kindern detaillierte Verhaltensanweisungen mitgeben müssen, damit sie Pubertät und Jugend überstehen, ohne von der Polizei erschossen zu werden, ist etwas grundsätzlich falsch.

Kontrollen können tödliche Folgen haben

Andererseits aber haben auch Polizisten berechtigte Ängste: In einem Land, das von Waffen in Privatbesitz strotzt wie kein anderes, können Standardkontrollen tödliche Folgen haben, auch für die Polizisten. Neben mangelnder Ausbildung ist auch das ein nicht nur vorgeschobener Grund für die Schießwütigkeit.

Und natürlich geht Gewalt nicht nur von der Polizei aus. In den USA und anderswo ist zu erleben, was es mit einer Nachbarschaft macht, wenn die Gewalt die Straße übernimmt. Die Frage ist, welche Rolle die Polizei eigentlich dabei spielen soll, das einzudämmen. Für Law-and-Order-Primitivlinge wie den US-Präsidenten Donald Trump oder Brasiliens Jair Bolsonaro: die wichtigste, und wenn sie das nicht schafft, soll das Militär ran.

Diese Denke führt nirgends hin, außer zu mehr Gewalt und einem völlig gestörten Verhältnis zwischen Bürger*innen und Staat. Die Alternative: ein neues Zusammenspiel von Bürgerschaft und Polizei. Dazu braucht es die Reform unter der Uniform.

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Bernd Pickert
Auslandsredakteur
Jahrgang 1965, seit 1994 in der taz-Auslandsredaktion. Spezialgebiete USA, Lateinamerika, Menschenrechte. 2000 bis 2012 Mitglied im Vorstand der taz-Genossenschaft, seit Juli 2023 im Moderationsteam des taz-Podcasts Bundestalk. Bluesky: @berndpickert.bsky.social In seiner Freizeit aktiv bei www.geschichte-hat-zukunft.org
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8 Kommentare

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  • Tatsächlich ist die Gefahr, in derselben Situation als Schwarzer von der Polizei erschossen zu werden, nach den Untersuchungen, die ich kenne 25 % geringer als für Weiße. Gleichzeitig ist die Gefahr von der Polizei auf nichttödliche Weise gewaltsam behandelt zu werden für Schwarze 18% höher, nach den Zahlen die ich kenne.



    Das Problem scheint mir daher nicht eigentlich eine Epidemie von Rassismus zu sein, sondern eine Gewaltkultur in einem über und über mit Waffen vollgestopften Land und der Umstand, dass viele Polizisten ihrem Job nicht gewachsen sind. Es gibt eben auch reichlich Fälle, in denen Weiße von der Polizei ermordet werden. Die sind genauso skandalös und zeigen auf, dass etwas mit der Polizei dort zutiefst im argen liegt. Leider finden sie kaum beachtung.

  • „ Man kann ziemlich sicher sein, dass ein Weißer, der betrunken vor einem Schnellrestaurant in seinem Auto einschläft, nicht von der Polizei erschossen worden wäre.“



    Da in absoluten Zahlen gesprochen mehr Weiße von der Polizei erschossen werden als Schwarze, könnte sich ein Redakteur doch mal die Mühe machen und eruieren, wie schwer die jeweiligen Vergehen oder Beschuldigungen der Getöteten waren. Vielleicht gibts das ja schon, dann müsste man nur noch drauf verweisen. Bisher habe ich den Eindruck, dass die Höhe der Wahrscheinlichkeit Opfer von Polizeigewalt zu werden von der Hautfarbe abhängt, Weiße aber grundsätzlich auch und offenbar nicht wenig betroffen sind. Zumal die Schüsse auch abgegeben wurden, mit einem Taser auf die Polizisten geprellt wurde, nicht weil der Getötete im Auto geschlafen hätte. Es ist natürlich offensichtlich, dass die USA ein Problem mit Rassismus und mit Polizeigewalt haben. Das sind zwei verschiedene Probleme, die miteinander zusammenhängen. Aber angesichts der Opferzahlen scheint es mir aussichtslos, bei jedem getöteten Schwarzen Rassismus nachweisen zu können.

    • @Marius:

      "Insgesamt sind im vergangenen Jahr 1.134 Menschen in den USA von Polizisten erschossen worden. Davon waren 577 weiß, 300 schwarz und 193 hispanischer Abstammung. Schwarze und hispanische Menschen machen zusammen weniger als 38 Prozent der US-amerikanischen Gesamtbevölkerung aus.



      Junge schwarze Männer (im Alter von 15 bis 34 Jahren) werden demnach neunmal so oft Opfer von tödlicher Polizeigewalt wie der Durchschnitt der Bevölkerung."



      und es geht weiter: "Etwa 25 Prozent der getöteten Afroamerikaner waren unbewaffnet; bei den getöteten Weißen waren es nur 17 Prozent. "



      Hier ist der Link:www.zeit.de/gesell...statistik-guardian



      Die o.a. Statistiken sind zwar von 2015, aber sie zeigen schon eine deutliche Tendenz auf, die Ihrem Argument widerspricht.

      • @Be different:

        Man könnte auch andere Statistiken anführen: Schwarze und Hispanics (die seltener Erschossen werden, das Gap zwischen Hispanics und Weißen ist kleiner als zwischen Schwarzen und Hispanics) sind eben auch prozentual in den für eine solche Statistik relevanten Bereichen krimineller als Weiße en.wikipedia.org/w...ed_States#Homicide , da wird man dann auch öfters Opfer tödlicher Schüsse. Weiße werden z.B. prozentual auch viel öfters von der Polizei erschossen als Asiaten. www.pnas.org/content/116/34/16793



        Die Wahrscheinlichkeit beim Polizeieinsatz zu sterben ist außerdem am größten, wenn der Verdächtige auf Polizisten seiner eigenen Ethnie trifft.



        www.sueddeutsche.d...walt-usa-1.4539355



        Durch Statistiken kann man Rassismus nicht eindeutig feststellen, weil Statistik eben unvollständig ist. Sie sagt nicht (zumindest nicht die gerade diskutierten), wie sich die Einstellung von Polizisten zu ihrem Job, zu Verdächtigen mit der jeweiligen ethnischen Zusammensetzung des Stadtviertels ändert etc und was weiß ich, was man noch alles erforschen kann.

    • 9G
      96177 (Profil gelöscht)
      @Marius:

      von Ihnen war nichts anderes zu erwarten... "Es ist natürlich offensichtlich..." "Bisher habe ich den Eindruck, dass die Höhe der Wahrscheinlichkeit Opfer von Polizeigewalt zu werden von der Hautfarbe abhängt, Weiße aber grundsätzlich auch und offenbar nicht wenig betroffen sind. ............ Aber angesichts der Opferzahlen scheint es mir aussichtslos, bei jedem getöteten Schwarzen Rassismus nachweisen zu können."

      toll, daß Sie so auf Zack sind und immer gleich parat, einen Kommentar abzuliefern, der den Mittelfinger hebt und Rassismus "natürlich offensichtlich" absolut relativiert - Glückwunsch, Sie haben Ihre Position gefunden. Wird die auch gut bezahlt?

      • @96177 (Profil gelöscht):

        Die Relativierung von Rassismus findet nur in Ihrer Interpretation meiner Aussage statt. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass es schwierig ist, jedes schwarze Opfer von Polizeigewalt als ein Opfer von Rassismus zu interpretieren - zumal, wenn der Getötete mit einer Elektrowaffe auf Polizisten zielt. Bei der Polizeikultur in der USA hätte der tödliche Schuss in diesem Fall auch gut einen Weißen treffen können. Und das tut es ja auch, wie Be different aufführt.



        Mit solch nachlässigen Formulierungen, wie ich sie oben zitiert habe, spielt man übrigens Leuten wie Martin Sellner in die Hände, die leichtes Spiel hätten, eine solche Aussage ideologisch in deren Sinne wirksam zu entkräften.

        • @Marius:

          "Ich möchte nur darauf hinweisen, dass es schwierig ist, jedes schwarze Opfer von Polizeigewalt als ein Opfer von Rassismus zu interpretieren -": Absolut richtig! Es gibt leider viele schwarze Cops, die schwarzen Bürger auch töten.



          Aber das Beispiel von Atlanta, das Sie anschließend anführen, mit der Elektrowaffe, hat definitiv mit Rassismus zu tun! Sie müssen sich das Video vielleicht noch mal anschauen und sich die simple Frage stellen: Wieso müssten die weißen Polizisten dem betrunkenen schwarzen Fahrer überhaupt verhaften, obwohl er sein Auto auf einem Parkplatz geparkt hatte?? Er stellte keine Gefahr mehr für den Verkehr. Man hätte ihm sagen können, dass er das Auto dort stehen lassen sollte und sich von jemand abholen lassen soll oder mit dem Taxi nach Hause fahren oder die Polizisten hätten ihn selbst in ihrem Polizeifahrzeug mitnehmen können und nach Hause gebracht, Polizei, dein Freund und Helfer!!! Alles das wäre möglich gewesen. Es hätte zu keiner Eskalation geführt und der Mann hätte noch gelebt. Er stellte gar keine Gefahr. Aber nein, die wollten unbedingt Macht ausüben, der schwarze Mann demütigen mit Handschellen anlegen und eine Nacht in einer Ausnüchterungszelle.



          Dann eskalierte die Situation.. Inwiefern eine Elektrowaffe eine tödliche Waffe ist und deswegen jemand 3 Kugel in den Rücken verdient hat, muss jetzt gerichtlich geklärt werden.



          Wäre der Fahrer aber eine junge, weiße, hübsche, blonde Frau, wäre die ganze Sache völlig anders gelaufen. Das stimmen Sie mir doch zu, oder?

          • @Be different:

            "Wäre der Fahrer aber eine junge, weiße, hübsche, blonde Frau, wäre die ganze Sache völlig anders gelaufen. Das stimmen Sie mir doch zu, oder?"



            Öhm, dieses Gegenszenario ist natürlich ungültig, da neben dem Faktor Hautfarbe auch der Faktor Geschlecht verändert wurde, was eine vergleichende Interpretation erheblich erschweren würde ;).



            Abgesehen davon habe ich mir nun große Teile der Aufnahme der polizeilichen Bodycam zu dem Vorfall angesehen. Zu sehen sind absolut gemäßigt vorgehende Polizisten, die einen am Steuer eingeschlafenen Mann auffordern, die blockierte Fahrspur zu verlassen und in eine Parklücke zu fahren. Da der Mann offensichtlich als betrunken eingeschätzt wurde, überlegte man folgerichtig wie ein betrunkener Mann im Auto an diese Stelle gekommen ist. Der Verdacht auf Trunkenheit am Steuer lag in der Luft. Man sprach dann eine ganze Weile mit ihm zu den Hintergründen, machte einen Alkoholtest und wollte ihn dann festnehmen. Sichtbar ist, dass all dies ohne Gewaltanwendung geschieht. Im Moment der Festnahme eskaliert die Situation, da der Fahrer womöglich flüchten wollte. Das Handgemenge ist nicht mehr bzw. nur undeutlich zu sehen, wohl aber zu hören, wie die dann abgegebenen Schüsse ebenso.



            Ja, die Schüsse müssen von nun gerichtlich geklärt werden, aber ob Rassismus hier vorliegt, kann ich mir nach dem Video noch weniger vorstellen.



            Vor ein, zwei Wochen wurden auf Twitter zwei Videos von Festnahmen vergleichend gepostet. In einem wurde einer schwarzen Person, beide Hände bereits auf dem Kopf, noch aggressiv in den Rücken getreten und dann brutal in den Würgegriff genommen. In dem anderen fuchtelte eine weiße Person mit dem Messer vor Polizisten herum und die Situation blieb ruhig. Krasse Gegenüberstellung und sicher leicht als Rassismus zu interpretieren.



            Rassismus ist ein bisschen wie Klimawandel. Strukturelle Wirkungen sind leicht nachzuweisen, die konkrete Attribution gestaltet sich manchmal jedoch schwierig. So auch hier, denke ich mal.