Rassistische Attacke in Frankreich: Zwei Lesarten eines Angriffs
Die kurdische Gemeinde in Frankreich sieht die Türkei hinter den tödlichen Schüssen in Paris. Sie fordert die Freigabe von Geheimdienstdokumenten.
Ziel eines rassistischen Angriffes war die kurdische Gemeinde, die vor allem im Großraum Paris und im Elsass zu finden ist, bislang noch nie. Doch am vergangenen Freitag erschoss ein 69-jähriger Franzose, der nach eigenen Angaben einen „krankhaften Hass“ auf Ausländer:innen hegt, zwei Männer und eine Frau vor dem kurdischen Kulturzentrum Ahmet Kaya in der Rue d’Enghien.
Gegen den pensionierten Lokführer läuft seit Montagabend ein Ermittlungsverfahren wegen Mordes aus rassistischem Motiv sowie wegen versuchten Mordes und unerlaubten Waffenbesitzes. Der Rentner, der seither in Untersuchungshaft sitzt, war in dem Viertel aufgewachsen und kannte daher das kurdische Kulturzentrum.
Laut seinen Eltern hegte er seit einem Überfall auf sein Haus im Jahr 2016, den drei Männer aus der Maghreb-Region verübten, Hass gegen Ausländer:innen. Bereits vor einem Jahr hatte der mutmaßliche Täter ein Zeltlager von Geflüchteten in Paris angegriffen und zwei Männer verletzt. Er saß dafür ein Jahr lang im Gefängnis und kam erst wenige Tage vor seiner Tat unter Auflagen wieder frei. Den in kurdischen Kreisen geäußerten Verdacht, dass ihr Sohn im Gefängnis von Mitarbeitern des türkischen Geheimdienstes manipuliert worden sei, weist seine Mutter in der Zeitung Le Parisien zurück. „Das nervt mich“, sagte die 90-Jährige, die ihren Sohn zuletzt in ihrer Zweizimmerwohnung beherbergte.
Ungeklärtes Attentat vor zehn Jahren
Die kurdische Gemeinde sieht dagegen die Türkei hinter der tödlichen Attacke. Der Dachverband Demokratischer Kurdischer Rat in Frankreich (CDKF) sprach von einem „infamen terroristischen Angriff“ und warf der französischen Regierung Nachsicht mit dem „faschistischen türkischen Regime“ vor. Kurdische Aktivist:innen forderten, die Antiterrorstaatsanwaltschaft einzuschalten. Doch Staatsanwältin Laure Beccuau verweigerte diesen Schritt, da eine Untersuchung von Computer und Telefon des mutmaßlichen Täters keine extremistische Ideologie ergeben habe.
„Es ist viel zu früh, um eine Hypothese zu verfolgen und die andere auszuschließen“, warnt Experte Bakawan, der selbst kurdischer Herkunft ist, im Gespräch mit der taz. Der Wissenschaftler am französischen Institut für Internationale Beziehungen (Ifri) verweist auf ein weiteres Attentat, das zehn Jahre zurück liegt.
Damals waren in der Rue Lafayette unweit des kurdischen Kulturzentrums drei Kurdinnen getötet worden. Hinter der Tat am 9. Januar 2013 wurde der türkische Geheimdienst vermutet, doch der Hauptverdächtige, ein türkischer Nationalist, starb 2017 kurz vor Prozessbeginn. Die Angehörigen der Opfer setzten 2019 neue Vorermittlungen durch, die allerdings durch die Weigerung der Regierung behindert werden, dafür Geheimdienstdokumente freizugeben.
Bakawan bezeichnet Forderungen der kurdischen Gemeinde, die Dokumente offenzulegen, als „legitim“. Ein generelles Misstrauen der Kurd:innen gegen den französischen Staat kann der Soziologe allerdings nicht erkennen. Immerhin habe Präsident Emmanuel Macron Vertreter der syrischen Kurden, die gegen die Terrororganisation „Islamischer Staat“ kämpfen, 2019 im Élysée-Palast empfangen.
Nach dem Angriff in der Rue d’Enghien war es bei zwei Trauerkundgebungen für die Opfer zu Ausschreitungen gekommen. Zahlreiche Demonstrierende schwangen die rot-gelb-grünen Fahnen der kurdischen Arbeiterpartei PKK, die in der EU als Terrororganisation eingestuft ist. Auf einem Plakat wurden zudem der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan als „Mörder“ bezeichnet. Die Türkei warf Frankreich vor, antitürkische Propaganda zu tolerieren und bestellte den französischen Botschafter ein.
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