Rassismus in der Wissenschaft: Beerdigt nach mehr als 160 Jahren
Nach ihrem Tod waren ihre Körper „Forschern“ in die Hände gefallen und lagerten zuletzt in der Uni Leipzig. Nun wurden die drei Roma beigesetzt.
Eine Beerdigung dieser Art hat es in Deutschland noch nicht gegeben. Von den drei Roma, um die es ging, ist wenig bekannt: Die Männer lebten vor mehr als 160 Jahren in Rumänien. Nach ihrem Tod landeten Teile ihrer Knochen in den Händen von sogenannten Rassenforscher:innen. Sie wurden zum Forschungsobjekt gemacht, ihre Schädel mit Nummern versehen und einer sogenannten Schädelsammlung hinzugefügt. Bis zuletzt lagerten sie in der Universität Leipzig. Nicht als individuelle Menschen, sondern als Vertreter einer vermeintlichen Rasse untersuchten die Forscher:innen sie. Welchen Namen die drei Roma hatten, ob es noch Angehörige gibt? Das ist nicht bekannt.
Über ihren drei Särgen aus hellem Holz flackert während der Gedenkfeier eine einzelne Kerze. In der Kapelle hallt Sejdis Stimme durch das Mikrofon, als er sagt, es gehe bei dieser Gedenkfeier nicht nur um die Schicksale dreier Menschen. Was mit ihnen passiert sei, erinnere an eine rassistische Wissenschaft, die nicht nach Erkenntnissen gesucht, sondern Ausgrenzung rechtfertigt habe.
Auf den Ergebnissen der Rassenforschung basierte letztlich auch die systematische Verfolgung und Ermordung von Sinti und Roma durch den deutschen NS-Staat. Die Beerdigung „erinnert uns daran, dass es noch viel aufzuarbeiten gibt“, erklärte Sejdi. Die Gedenkfeier bedeute für Sinti und Roma, „dass unser Schmerz und unser Leid anerkannt wird“.
Universität bittet um Vergebung
Wenig später trat Romani Rose, der Vorsitzende des Zentralrats der Sinti und Roma, ans Redepult. Er kritisierte, dass auch noch nach der NS-Zeit an den Gebeinen geforscht worden sei, „obwohl bekannt war, dass sie sich nicht zur Verfügung gestellt haben“. Rose rief in seiner Reden die Universitäten dazu auf, „ihre Bestände zu überprüfen, und den Menschen, im Sinne unseres christlichen Glaubens, die Würde zurückzugeben“. Bevor sich Rose nach seiner Rede wieder hinsetzt, verneigt er sich vor den Toten.
Ebenfalls auf der Gedenkfeier rekonstruierte der stellvertretende Direktor des Instituts für Anatomie, Martin Gericke, in seiner Rede, was mit den menschlichen Überresten der drei Roma nach ihrem Tod passiert war. Bei einem sei bekannt, dass er etwa 55 Jahre alt wurde, und seine „Gebeine im Jahr 1865 in einem Krankenhaus in Bukarest entwendet wurden“.
Bei einem der anderen Männer sei nur bekannt, dass „seine Gebeine durch Grabraub angeeignet wurden“. Beim dritten sei nur der Herkunftsort, die rumänische Großstadt Oradea, angegeben. Der Anthropologe Emil Ludwig Schmidt, der als Professor in Leipzig lehrte, vermachte 1906 seine Sammlung der Uni. Sie umfasste rund 1.200 Schädel aus mehr als 40 Ländern. Zwischen 1901 und 1945 sei die Sammlung dann „ausgestellt und zur rassistischen Forschung missbraucht“ worden.
Auch der stellvertretende Rektor der Universität Leipzig, Jens Eilers, trat ans Mikrofon. „Wir stehen fassungslos vor dem Versagen dieser Zeit“, sagte er. „Dafür bitten wir als Institution um Vergebung.“
Michael Brand, der Bundesbeauftragte gegen Antiziganismus und für das Leben der Sinti und Roma in Deutschland, bedankte sich im Namen der Bundesregierung für die Veranstaltung. Sie demonstriere „Respekt gegenüber diesen drei Menschen und auch unsere Haltung zur Verteidigung der Menschenwürde und einer zivilisierten Gesellschaft“.
Nach einem rumänisch-orthodoxen Gottesdienst wurden die Särge feierlich in die Erde gelassen. Danach stand Romani Rose sichtlich bewegt neben dem Grab. Es sei „eine würdige Gedenkfeier“ gewesen, sagte er der taz.
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