Rapper aus Brasilien feiert Solidarität: Die Liebe zwischen Gelb und Blau
Wichtigste Stimme des brasilianischen HipHop: Emicida tritt auf seinem Album „AmarElo“ den rechtsradikalen Verwerfungen unter Bolsonaro entgegen.
Die Parade der Karnevalsschulen von Rio de Janeiro ist eine durchaus kommerzielle Veranstaltung. Doch dieses Jahr zeigte sich wieder, dass der Karneval zugleich ein Ort des Widerstands und der Selbstermächtigung ist: Die Sambaschule União da Ilha von der Gouverneursinsel schockierte das Publikum etwa, indem sie bettelnde Kinderdarsteller im Sambodrom defilieren ließ und eine Szene nachstellte, bei der ein Jugendlicher eine Frau im Bus mit einer Waffe bedroht.
Die Botschaft war klar: Das komme dabei raus, wenn die Regierung – wie in Brasilien – die Ausgaben für das Bildungswesen zusammenkürzt.
Sieger des Wettbewerbs wurden allerdings die Unidos do Viradouro aus Niteroí mit einer Hommage an As Ganhadeiras de Itapuã. So nannte sich eine Gruppe versklavter, teils freier Afrobrasilianerinnen in Salvador de Bahia, stolze Frauen, die bereits im 19. Jahrhundert ihren eigenen Geschäften nachgingen und zu Atabaque-Trommeln sangen und tanzten. Ihre Lieder des ursprünglichen „Samba de roda“ werden in Salvador, der schwarzen Hauptstadt Brasiliens, noch heute angestimmt.
Vergiftete Atmosphäre
Es ist also ein Statement, wenn der Rapper Emicida aus São Paulo die internationale Veröffentlichung seines neuen Albums „AmarElo“ auf das Ende des Karnevals legt und seinen Stil „Neo-Samba“ nennt. Die Musik ist das Werk eines gereiften MCs und kommt vom Sound so lieblich daher, dass man es erst einmal für bekömmliche Kost hält.
Doch das täuscht. Auf dem Cover, das an die Gestaltung des programmatischen Albums „Stakes Is High“ der New Yorker Crew De La Soul angelehnt ist, sind drei indigene Kinder zu sehen. Auch das ist ein Statement – in diesen Tagen umso mehr, als Brasiliens rechtsradikaler Präsident Bolsonaro den Corona-Leugner gibt und die ohnehin gefährdeten Indigenen besonders anfällig für Viren sind.
Statt die vergiftete gesellschaftliche Atmosphäre ätzend und polemisch zu kommentieren, wie man es von einem Rapper erwartet, dessen Wortspiel-Künstlername sich aus MC und „Mörder“ („Homicida“) zusammensetzt, feiert der 34-jährige Emicida auf „AmarElo“ aber lieber Mitgefühl, Solidarität und Freundschaft.
Emicida: „AmarElo“ (Sterns/Broken Silence)
Zum Einstieg reflektiert er in „Principia“, unterlegt von einer Agogô-Doppelglocke aus dem Candomblé und den Klängen eines Kirchenchors, über Liebe, Glauben und Positivität; Zum Ende ist die Stimme des progressiven Pastors Henrique Vieira zu hören. Gleich anschließend empfiehlt Emicida Gelassenheit als Überlebensstrategie („A ordem natural das coisas“) und wünscht sich, dass wir uns unserer fragilen Seite öffnen und sensibler werden („Pequenas alegrias da vida adulta“).
Kritik am Waffenfetischismus
Zum Auftakt von „Cananéia, Iguape, Ilha Comprida“ scherzt Emicida dann mit seiner im Hintergrund freudig quietschenden Tochter, bevor er locker über die Entfremdung des Städters von der Natur reimt. Der von einem Chico-Buarque-Klassiker inspirierte Song „9nha“ klingt schließlich nach einer romantischen Ballade. Doch es ist eine Kritik am Waffenfetischismus vieler Jugendlicher – und die Angebetete entpuppt sich in diesem Fall als Knarre.
Emicida hat sich für die elf Songs seines Albums illustre Gäste ins Studio geholt, von Samba-Legende Zeca Pagodinho über Carimbó-Diva Dona Onete aus Belém bis zur Drik Barbosa und MC Tha, zwei Nachwuchsgrößen der Dancefloorszene zwischen HipHop und Rio-Funk. „AmarElo“ ist eine Ode an die Vielfalt der brasilianischen Kultur und steckt voller Referenzen. Der Albumtitel etwa ist einem Poem des Schriftstellers Paulo Leminski entlehnt, der im Portugiesischen nur so dahinschmilzt („Amar é um elo / entre o azul / e o amarelo“), sich im Deutschen aber nach DIN-Norm anhört: „Lieben ist eine Verbindung zwischen Blau und Gelb.“
Licht und Wärme in dunklen Zeiten
Das gleichnamige Titelstück, in dem Emicida von Transgender-Ikone Pabllo Vittar begleitet wird, eröffnet mit einem eingängigen Schmachtrock-Sample des MPB-Sängers Belchior: „Ich habe ziemlich geblutet und geheult wie ein Hund.“ Dann heißt es optimistisch: „Letztes Jahr bin ich ums Leben gekommen, dieses Jahr sterbe ich aber nicht.“
Emicida bleibt die wichtigste Stimme des zeitgenössischen HipHop in Brasilien. Mit dem Label Laboratório Fantasma hat er sich in São Paulo seinen eigenen Indie-Kosmos geschaffen. Und mit „AmarElo“ ist Emicida jetzt ein Album gelungen, das Licht und Wärme in düsteren Zeiten spendet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag