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Rapper Mädness ist kein GangsterUnangestrengt und locker fließend

Zwischen Apfelwein und Rap war nicht nur der berufliche Weg von Mädness ungewöhnlich. Auf seinem neuen Album „Mäd Löve“ setzt er auf Gefühl.

Mädness wieder als Rapper: Er spricht von Gefühlen statt von Autos Foto: Robert Winter

Es braucht nicht lange, bis man merkt: Dieser Rapper entspricht nicht dem Bild, das man sich gemeinhin von Rappern macht. Es dauert keine 20 Sekunden, da ist das klar, da werden die Zeilen gerappt: „Immer noch keinen Sinn für Materielles/Das Gelaber darüber ermüdet mich.“ Acht Sekunden später: „Scheiß mal auf’s Geld!“ Noch eine halbe Minute darauf: „Rapper haben wenig Erfahrung mit Frauen und Angst vor Gefühlen.“ So sieht er aus, der Einstieg in „Mäd Löve“, das neue Album von Mädness.

Nein, den gängigen Klischees entspricht Mädness wirklich nicht. Da spricht einer von Gefühlen statt von Autos. Er erzählt von Frauen, nicht von Sexualobjekten. Und er hat einen ironischen Abstand zu sich selbst statt einen Panzer aus Muskeln, Maulheldentum und Männlichkeit. Eins allerdings hat Mädness dann doch: einen Migrationshintergrund.

Denn dass Marco Döll im Hessischen groß geworden ist, dass er in Darmstadt gelebt hat, bevor er nach Berlin zog, das kann man hören in seinen unangestrengt und locker fließenden Reimen und in seinem Rap-Stil, der nie abgehackt ist, keine Ansammlung von Ausrufezeichen, sondern eher ein sanft fließender Singsang.

Früher schimmerte der Hessische Dialekt nicht nur durch. Früher hatte Mädness schon ziemlichen Erfolg im Underground-Hip-Hop, war eine allseits geachtete Koryphäe des Freestyle-Rap, arbeitete zusammen mit Olli Banjo, veröffentlichte mehrere Alben, durfte beim Splash vor dem Wu-Tang Clan auftreten und das wichtigste deutsche Hip-Hop-Festival sogar einmal moderieren, eine Art Ritterschlag in der Szene.

Apfelwein statt Hip-Hop

Trotzdem verschwand der Rapper Mädness zu Beginn der Zehnerjahre aus dem Rap, hatte „mit dem Hip-Hop abgeschlossen“, und baute stattdessen lieber mit einem Freund eine kleine Brauerei auf. Schnell kam zum Bier – natürlich, wir sind immer noch in Hessen – Apfelwein dazu, schließlich noch Baseball-Kappen, Hoodies, Strickmützen. Name der Firma: „Gude“, die hessische Übersetzung für „Prost“.

Das Album

Mädness: „Mäd Löve“, (Mädness/Groove Attack)

„De Gude“ ist auch der Spitzname von Döll, und der Gute erinnerte sich irgendwann wieder an die Rap-Karriere, schmiss den Geschäftsführer-Job hin, landete mit „Maggo“ gleich wieder einen Underground-Hit, zog nach Berlin und nahm mit seinem ebenfalls rappenden Bruder Fabian, der unter dem gemeinsamen Familiennamen Döll bekannt geworden war, ein Album auf.

Auf „Ich und mein Bruder“ verarbeiteten sie unter anderem den Tod ihres Vaters, kümmerten sich kaum um die üblichen Rap-Erfolgsrezepte, stiegen aber trotzdem auf Platz 21 der deutschen Charts ein und landeten in den Bestenlisten der deutschen Hip-Hop-Medien.

Gleiches galt dann auch für „OG“, das 2019 erschienene erste Soloalbum von Mädness nach der Pause. Dass die Abkürzung nicht für „Original Gangster“ stand, sondern für „Original Gude“, signalisierte die Abkehr von allen Klischees. Eine Einschätzung, die der Videoclip zum Titelsong, in dem Mädness in Schlabberbademantel und Strickmütze Schlittschuh fährt, ebenso bestätigt wie die Selbstcharakterisierung aus dem Song „Mässisch“: „Südländischer Touch, Alman mit Hessenschnute“ beziehungsweise „Irgendwo zwischen Dandy, Dittsche und Big Lebowski“.

Verstrahlt und altersmilde

Dieses Konzept vom schon ein wenig tuddeligen, ganz bestimmt verstrahlten, auch altersmilden Typen, der sich nach all den Jahren im Rapgeschäft sehr viel mehr erlauben darf, perfektioniert Mädness nun weiter mit „Mäd Löve“.

Von der Cover-Gestaltung in einer grellbunten Ästhetik zwischen Flower-Power und Jeff-Koons-Kitsch über die fast schon kindliche Freude an Umlauten im Titel bis zu den Themen und ihrer musikalischen Umsetzung bricht Mädness nahezu mit jedem weiteren Schritt eines der Gesetze, die zu gelten scheinen, wenn man im Rap hierzulande eigentlich Erfolg haben will.

In „Handbremse“ aktualisiert Mädness die alte Frage vom sinnhaften Leben mitten im turbogeilen Kapitalismus für die Instagram-Generation und fragt sich, wie man noch aussteigen kann, wenn das Hamsterrad rotiert. Ansonsten geht es schon mal ums Finanzamt, aber auch ums Dasein als solches, um Selbstgeißelung, um Depressionen und um Alkoholismus.

„Wir haben recht behalten“ ist ein Hohelied auf „die Niederlagen und auf die schlechten Zeiten, auf das Scheitern, auf das Ständig-auf-die-Fresse-Fallen“, und was man daraus fürs Leben lernen kann. In „Mittelfinger“ zeigt er denselben allen Rassisten, Nationalisten, Sexisten und Antisemiten. In „Mantra“ schließlich empfiehlt Mädness doch tatsächlich: „Sei ein guter Mensch!“ und „Pflege den Kontakt zur Verwandtschaft!“

Party dürfen andere machen

So kontemplativ wie die Texte ist denn auch die Musik. Auf die Zwölf geht es so gut wie gar nicht, Party dürfen andere feiern. Stattdessen sind Soft-Rock-Anleihen ebenso möglich wie klassische Hip-Hop-Beats, New-Age-Geflöte und Yacht-Pop.

In einem Stück wie „Was hab ich getan?“ benutzt Mädness ein Sample, das mit seiner beständig rotierenden Soulstimme und den hörbar rauschenden Flohmarktkratzern klingt wie eine Verbeugung vor dem Oldschool-Rap, aber auch nur ganz kurz vor der Karikatur haltmacht.

Und „Boot“, das wundervolle Duett mit Mine, hat endgültig nicht mehr viel zu tun mit Rap, sondern ist ein moderner Popsong, der liebevoll das Ende einer Beziehung beleuchtet, und in dem die beiden Zeilen singen, die man seit dem Ende von Freundeskreis im deutschen Hip-Hop lange suchen konnte: „Eine Liebe braucht immer zwo/Eine Krise braucht den Dialog.“ Im dazugehörigen Videoclip balancieren sich Mädness und Mine mit Gläsern auf dem Kopf durch eine Mini-Romcom, in der viel Glas zu Bruch geht. Aber Scherben bringen ja angeblich Glück, und das kann Mädness gut gebrauchen auf seinem Weg zum unwahrscheinlichen Rap-Star.

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