Ramadan und Corona in der Türkei: Bitter statt süß
Während des diesjährigen Zuckerfestes gilt eine komplette Ausgangssperre. Nur Senioren dürfen in Dörfer reisen – mit Sondergenehmigung.
Nichts davon, was sonst das zweit wichtigste Fest im Leben der Muslime ausmacht, findet in diesem Jahr statt. Gerade um die großen Treffen nach dem langen Fasten zu unterbinden, hat die Regierung erstmals seit Ausbruch der Corona-Pandemie eine komplette Ausgangssperre im ganzen Land verhängt. Vier Tage, so lange wie die Feierlichkeiten andauern, muss jeder in der Türkei zu Hause bleiben.
Auch bislang gab es immer wieder mehrtägige Ausgangssperren, allerdings waren diese auf die größten Städte des Landes beschränkt, wo das Virus besonders grassiert. Jetzt ist auch jedes Dorf von der Ausgangssperre betroffen.
Für Leute über 65 gilt die komplette Ausgangssperre schon seit sechs Wochen. Diese besonders gefährdete Personengruppe durfte in den vergangenen Wochen nur jeweils am Sonntag für fünf Stunden auf die Straße. In dieser Zeit galt dann für alle anderen eine Ausgangssperre. Von dieser Regel hat die Regierung jetzt in den letzten drei Tagen vor Beginn der Ausgangssperre eine Ausnahme gemacht.
Sonderflug in die Provinz
Senioren, die für das Fest in ihr Herkunftsdorf reisen wollen, können das mit einer Sondergenehmigung und in Begleitung einer anderen Person tun. Sie dürfen dafür auch Städte wie Istanbul, Ankara oder Izmir verlassen, die ansonsten für Ein- und Ausreisen geschlossen sind.
So kommt es, dass plötzlich im Fernsehen Bilder von bislang geschlossenen Flughäfen und Busbahnhöfen auftauchen, wo mit Mundschutz und weiteren Masken vermummte Senioren zu sehen sind, die auf einen Sonderflug in die Provinz warten.
Präsident Recep Tayyip Erdogan kommt damit der Tradition entgegen, dass gerade die Älteren diese Zeit in dem Dorf verbringen wollen, aus dem sie ursprünglich stammen. In Istanbul sind von der Generation 65 plus die meisten gar nicht in der Metropole geboren worden, sondern vom Land in die Großstadt migriert. Erdogan kennt das aus der eigenen Familie. Auch sein Vater war vom Schwarzen Meer nahe der georgischen Grenze nach Istanbul gekommen.
Besonders schmerzlich für Erdogan und seine religiöse AK-Partei dürfte dagegen sein, dass die Moscheen auch über das Fest hinaus noch geschlossen bleiben müssen. Das ist ungefähr so, als wären in Deutschland die Kirchen über Weihnachten zu, denn zum Ende des Ramadan gehen auch diejenigen in die Moschee, die ansonsten lieber zu Hause bleiben.
Letzte Kraftanstregung
Erst Ende des Monats, am 29. Mai, sollen die Moscheen wieder geöffnet werden. Nach dieser letzten Kraftanstrengung gegen die Pandemie soll es dann aber bald in eine neue Normalität, „eine neue Ordnung des kontrollierten sozialen Lebens gehen“, wie Erdogan sagt.
Die türkische Regierung hat es nach anfänglichen Irritationen durch die selektiven Ausgangssperren, strengen Kontaktverboten und Maskenpflicht, einer intensiven Nachverfolgung von Infektionsketten und einem relativ gut ausgebauten Krankenhaussystem mit vielen Intensivbetten geschafft, dass Coronavirus erst einmal einigermaßen unter Kontrolle zu bekommen.
Nach offiziellen Angaben sind die Covid-19-Todesfälle stark zurückgegangen und liegen jetzt landesweit bei 30 pro Tag. Auch die Zahl der Neuinfektionen ist stark rückläufig. Selbst wenn diese Zahlen geschönt sind, erfährt doch jeder über Freunde und Bekannte, dass die Situation in den Krankenhäusern nach einem massiven Ansturm Ende März und Anfang April mittlerweile wieder ganz entspannt ist.
Jeder, der will, kann sich problemlos gratis testen lassen. Einige große Krankenhäuser in Istanbul teilten über die sozialen Medien bereits mit, dass sie gar keine Patienten mit Covid-19 mehr haben. Ab Ende Mai sollen deshalb auch alle Beschränkungen Schritt für Schritt aufgehoben werden. Nur die SchülerInnen können zu Hause bleiben. Die Schulen werden erst zum neuen Schuljahr im September wieder öffnen.
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