Währung stürzt ab: Türkei im perfekten Sturm

Die Lira verliert dramatisch an Wert. Die Türkei könnte deshalb das erste Schwellenland sein, das an den Folgen von Corona wirtschaftlich kollabiert.

Passantinnen vor einer Wechselstube in Ankara

Verliert drastisch an Wert: die türkische Lira Foto: ap

ISTANBUL taz | „Angriff auf die Türkei“ oder „Dunkle Mächte greifen die türkische Lira an“ titelten regierungsnahe Zeitungen in den vergangenen Tagen, als die türkische Lira auf ein neues historisches Tief gegenüber dem Dollar absackte. Mehr als 7 Lira, zeitweilig bis zu 7,29 Lira müssen für einen Dollar seit Donnerstag vergangener Woche gezahlt werden. So viel wie noch nie zuvor.

So steuert die Türkei auf ihre zweite Rezession binnen weniger als zwei Jahren zu. Selbst während der Währungskrise im August 2018 stand die Lira noch besser da. Damals war der Grund für den Absturz ein vehementer Streit mit den USA wegen der Geiselnahme eines US-Pastors, der mit der Freilassung des Baptistenpredigers gelöst wurde.

Heute ist ein ganzes Bündel von Ursachen für den Absturz der Lira im Schatten der Corona-Krise verantwortlich, die weit schwieriger zu beseitigen sind als vor zwei Jahren. „Die Lira befindet sich in einem perfekten Sturm“, beschrieb Thata Ghose, Analyst der Commerzbank in London die Situation der Financial Times. Der Anlass für die Krise ist ein Schuldenberg von 170 Milliarden Dollar, den die Türkei an öffentlichen und privaten Schulden in diesem Jahr zurückzahlen muss. Internationale Finanzmanager wie Ghose oder Paul McNamara vom Hedgefond GAM sagten der Financial Times, sie sähen nicht, wie die türkische Regierung das stemmen könne.

Während die Türkei bislang, was die Zahl der Toten und Infizierten angeht, noch relativ glimpflich durch die Corona-Krise gekommen ist, könnte sie nun das erste Schwellenland sein, das an den Folgen der Krise wirtschaftlich kollabiert.

Einnahmen aus dem Tourismus dürften einbrechen

Normalerweise zahlt die Türkei ihre Verbindlichkeiten mit Einnahmen aus ihren Exporten (zuletzt 180 Milliarden Dollar), durch Einnahmen aus dem Tourismus (zuletzt 36 Milliarden) und durch neue ausländische Investitionen, die frische Devisen ins Land bringen. In diesem Jahr sind die Exporte aber bereits um 40 Prozent eingebrochen.

Zudem dürften die Einnahmen aus dem Tourismus dramatisch zurückgehen und neues Geld kommt nicht, weil die Zinsen auf Druck von Präsident Recep Tayyip Erdogan mittlerweile so niedrig sind, dass sie unter der Inflationsrate liegen. Jetzt rächt es sich, dass Erdogan in den vergangenen Jahren Milliarden in Großprojekte gepumpt hat, wie den neuen Istanbuler Flughafen, der nun quasi still liegt. Oder Brücken, die niemand nutzt, für die die Regierung aber zahlen muss. Das letzte dieser Großprojekte ist ein neuer Kreuzfahrtterminal in Istanbul, an dem im April die ersten Schiffe anlegen sollten. Er liegt nun genauso brach wie der Flughafen.

Der türkische Ökonom Baris Soydan hat am Dienstag auf der oppositionellen Website T24 durchgespielt, welche Optionen Erdogan und seinem Finanzminister und Schwiegersohn Berat Albayrak jetzt noch bleiben. Die Lage ist danach äußerst schwierig.

Devisenreserven geschrumpft

Die Devisenreserven der Zentralbank sind von 40 Milliarden Dollar Anfang des Jahres auf 28 Milliarden zusammengeschrumpft, weil die Bank mit Stützungskäufen vergeblich versucht hat, die Lira zu stabilisieren.

Den Bittgang zum Internationalen Währungsfonds hat Erdogan aus politischen Gründen ausgeschlossen. Verhandlungen mit der US-Zentralbank über die Erweiterung sogenannter Swap-Kreditlinien, die klammen Staaten wie der Türkei Zugang zu Dollar-Bargeld ermöglichen würden, sind offenbar nicht positiv verlaufen. Die Voraussetzungen dafür wären eine unabhängige türkische Zentralbank und niedrige Inflation, beides sieht Washington als nicht gegeben an.

China ist das einzige Land, das der Türkei derzeit unter die Arme greift. So wurde zuletzt eine Milliarde Dollar zur Verfügung gestellt. Soydan bezweifelt, dass Peking bereit ist, wesentlich mehr zu geben.

Die Zentralbank könnte nun wie vor zwei Jahren die Zinsen dramatisch anheben, um neues Geld anzulocken. Das würde zwar den Lira-Kurs etwas stabilisieren und den Großkonzernen nutzen, die Dollarschulden zurückzahlen müssen. Aber gleichzeitig würde viele kleinere Unternehmen, die durch Corona bereits um ihre Existenz kämpfen, endgültig in die Pleite treiben. Der Gewerkschaftsdachverband DISK befürchtet schon jetzt, dass die Arbeitslosigkeit von 14 auf 20 Prozent steigen wird. Außerdem könnten zusätzlich 8 Millionen Menschen arbeitslos werden.

Die einzige Möglichkeit, frisches Geld zu beschaffen, sieht Soydan in der Ausgabe neuer Staatsanleihen. Dafür müssten aber extrem hohe Zinsen gezahlt werden, damit sie erfolgreich am Kapitalmarkt platziert werden können. Bleibt noch eine Möglichkeit, die zwar offiziell ausgeschlossen wird, nach Meinung von Paul McNamara aber nicht vom Tisch ist: Die Einführung von Devisenkontrollen. Damit würden die Devisen zwar im Land bleiben, die Türkei sich aber zumindestens vorübergehend aus dem internationalen Handel verabschieden. Auch das bedeute: Hohe Arbeitslosigkeit und zunehmende Armut.

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