Rainald Grebe: Hier lacht der Osten

Der Kabarettist Rainald Grebe besingt die ostdeutsche Tristesse. Aber so liebevoll, dass ihm die Bewohner der welken Landstriche nicht böse sind.

Erschreckend ehrlich: Der Kabarettist Rainald Grebe Bild: dpa

Rainald Grebe singt, was alle denken und niemand ausspricht. Damit macht man sich normalerweise keine Freunde. Aber wenn er "Brandenburg" anstimmt, beginnt das Publikum zu jubeln - und die Brandenburger jubeln mit:

Es gibt Länder, wo was los ist. Es gibt Länder, wo richtig was los ist. Und es gibt: Brandenburg, Brandenburg. In Brandenburg, in Brandenburg ist wieder jemand gegen einen Baum gegurkt, was soll man auch machen mit 17, 18 in Brandenburg? Es ist nicht alles Chanel, es ist meistens Schlecker, kein Wunder, dass so viele von hier weggehen, aus Brandenburg. Da stehen drei Nazis auf dem Hügel und finden keinen zum Verprügeln, in Brandenburg.

Er trägt ein dunkles Hemd zur Nadelstreifenhose und sitzt auf einer hölzernen Bank vor einer Bar in Berlin-Mitte. Er sieht müde aus, wie einer, der zu wenig schläft und zu viel Kaffee trinkt. In letzter Zeit gab es viel zu tun. Rainald Grebe ist berühmt geworden. Alle wollen ihn sehen, wollen hören, wie er singt, und dann auch noch darüber reden. "Dieses Tippelleben, von einem im Grunde austauschbaren Ort zum nächsten, ist anstrengend", sagt er.

Rainald Grebe ist 36, Liedersänger, Schauspieler und Kabarettist. Er lernte Puppenspiel an der Hochschule für Schauspiel Ernst Busch und ist seit vergangenem Jahr Buchautor. Zuletzt war er als Dramaturg angestellt. "Egal", sagt Grebe, "das macht keinen großen Unterschied. Am Ende ist immer alles Theater." Kollegen, die seine Konzerte besuchen, sagen hinterher: "Das war eine gute Show", oder: "Tolle Inszenierung." Grebe hüpft mit Indianerschmuck auf der Bühne herum und reißt Witze. Er spielt eine Rolle, und er spielt Musik. Die Musik hat ihn in den letzten drei Jahren berühmt gemacht. Komische Musik, kabarettistische Musik, Nonsens.

Musik, die Studenten in Greifswald, Jena, Rostock, Erfurt, Weimar und Potsdam am Ende von Partys hören, wenn kaum noch jemand da ist und die, die noch da sind, sehr betrunken. Sie drehen dann die Lautstärke auf und singen mit. Rainald Grebe hat dem Osten drei Hymnen geschenkt: "Brandenburg", "Thüringen", "Doreen aus Mecklenburg".

Rainald Grebe ist Liedersänger, Schauspieler und Kabarettist. Seit drei Jahren zieht er mit einem eigenen Programm von Bühne zu Bühne. Dabei entwuchs er mit rasanter Geschwindigkeit der Kleinkunstszene.

Seine Konzertmitschnitte werden massenhaft bei YouTube aufgerufen, seine Songs im Radio gespielt. Die unverhoffte Berühmtheit verdankt er unter anderem auch den sogenannten Länderhymnen, "Brandenburg", "Thüringen"

und "Doreen aus Mecklenburg", provokante

Oden an öde Landstriche.

Er veröffentlichte ein Buch, "Global Fish" (2006), und drei Alben:

"Das Abschiedskonzert" (2004), "Rainald Grebe und die Kapelle der Versöhnung" (2005) und "Volksmusik" (2007), dazu das Gesangsbuch

"Das grüne Herz Deutschlands".

Sogar Rainald Grebe spricht von "Hymnen", und das Wort scheint nicht recht zu ihm zu passen. Länderhymnen verortet man irgendwo im ausgehenden 19. Jahrhundert, sie werden nicht mehr geschrieben, schon gar nicht von zeitgenössischen Kabarettisten. Nun sind Grebes Hymnen eigentlich auch eher Antihymnen. Sie bedienen den Wunsch nach Identifikation und treiben gleichzeitig Schabernack damit. Man traut sich mitzusingen, weil die ironische Distanzierung schon im Text steckt. Bei Brandenburgern mit millimeterkurz rasierten Haaren und klobigen Schuhen klingelt das Handy zu diesem Lied. Denn Rainald Grebe beschreibt nur, was er sieht, und überlässt die Einordnung dem Hörer. Darum fühlt sich keiner beleidigt. Und neben dem Wunsch nach Identifikation erfüllt er auch die Sehnsucht nach Wahrheit.

Zwischen Dänemark und Prag, liegt ein Land, das ich sehr mag. Zwischen Belgien und Budapest, liegt: Thüüüüüüüüüüüüüüüüüringen, das Land ohne Prominente, na ja, gut, Heike Drechsler, aber die könnte auch aus Weißrussland sein. Im Thüringer Wald, da essen sie noch Hunde, nach altem Rezept, zur winterkalten Stunde. Denn der Weg zum nächsten Konsum ist so weit, zur Winterszeit, zur Winterszeit. Thüringen, Thüringen, Thüringen ist eines von den schwierigen Bundesländern. Denn es kennt ja keiner außerhalb von Thüringen. Das grüne Herz Deutschlands. Seit wann sind Herzen grün? Grün vor Neid, aufgrund Bedeutungslosigkeit. Grün vor Hoffnung, dass es lange Zeit so bleibt.

In seinen Liedern mischen sich Bösartigkeit und zärtliche Nähe mit wohltuender Distanz. Die Distanz mag daher kommen, dass Rainald Grebe gar kein Ossi ist. 1991, gleich nach dem Abitur kam er nach Ostberlin: Aus einer westdeutschen Reihenhaussiedlung in Frechen, südwestlich von Köln. Davon erzählt das autobiografische Lied "Familie Gold": Bilderbuchfamilien leben hinter selbstgetöpferten Klingelschildern, Väter keschern Wespen aus dem Gartenteich, und Mütter malen Aquarelle, sobald die Kinder "aus dem Gröbsten raus" sind. Grebe singt über die satte westdeutsche Vor-Wende-Mittelstandsgesellschaft. Lebensgroß leuchten die Achtzigerjahre zwischen den Liedzeilen auf. "Es hat uns an nichts gefehlt, aber genau das war das Problem dabei." "Ich dachte, ich hätte etwas beschrieben, das vergangen und versunken ist. Aber neulich habe ich in Berlin-Mitte die ersten Reihenhäuser gesehen und realisiert, dass das vielleicht nicht stimmt." Er schaut die Straße mit den schick sanierten Häusern hinunter. Ihn ziehe es nicht in den Westen, sagt er.

"Anfang der Neunzigerjahre nach Ostberlin zu gehen hatte etwas Voyeuristisches. Die Ruinen von diesem abgelebten System zu begaffen, billig in irgendwelchen Löchern zu wohnen. Vor allem faszinierten mich die Regellosigkeit und die Freiräume, die überall entstanden." Grebe trat ab und zu im Fernsehen auf, regelmäßig im "Quatsch Comedy Club", was ihn wahrscheinlich zum reichsten unter den Puppenspielstudenten machte.

Eine Hymne ist ein Lobgesang. Aus vollem Herzen loben und preisen fällt Rainald Grebe schwer. "Ich werde es wohl niemals schaffen, ein romantisches Liebeslied zu schreiben, dabei verfaulen mir die Worte im Mund." Ebenso wenig sieht er sich in der Lage, politische Kunst zu machen. "Manchmal denke ich: Was bin ich für ein windiges Windei! Ich habe es noch nicht mal geschafft, meinen Stromanbieter zu wechseln. Vielleicht sollte ich das tun und dann ein Lied darüber machen", sagt er und beginnt leise zu singen: "Ich habe meinen Stromanbieter gewechselt." Er spricht von seiner Sehnsucht, eine klare politische Aussage treffen zu können, er versuche es wirklich. Rainald Grebe richtet sich auf, reißt die Augenbrauen hoch, die Gesichtszüge frieren ein. "Bin ich für den Krieg? Oder gegen den Krieg? Oder doch dafür?" Er sinkt wieder ein Stück zusammen und grinst. "Dass ich in eine andere Liga aufgestiegen bin, merke ich daran, dass ich dauernd Charity-Anfragen bekomme. Ob ich nicht gegen G 8 singen will. Zuletzt wollten sie mich für Blutspendeplakate in Thüringen fotografieren." Er lehnte ab.

Mit politischer Kunst hat Rainald Grebe schlechte Erfahrungen gemacht. Nach dem Studium ging er mit neun anderen jungen Schauspielern, Dramaturgen und einer Regisseurin an das Theaterhaus Jena. "Wir hatten keine Abonnenten, auf die wir Rücksicht nehmen mussten, und konnten machen, was wir wollten. Was uns interessierte, musste auch das Publikum interessieren." Die junge Gruppe inszenierte Uraufführungen, Filmadaptionen, Klassiker. "Die Jenaer hatten einen großen Hunger nach Kultur. Die kamen immer. Das ist ein Unterschied zu einer Gegend wie Köln. Dort nimmt man das Theater als Salatbeilage mit, bevor man zum Italiener essen geht." Trotz des Erfolgs bekam die Gruppe Probleme mit den Betreibern. "Die haben von uns erwartet, dass wir politisches Theater machen. Wir sollten uns auf die Bühne stellen und im Chor rufen: "Bush ist ein blöder Cowboy." Letzten Endes haben wir verloren. Wir sind dann einfach gegangen." Er schweigt kurz. Danach brach die Gruppe auseinander. "Viele casten sich so durch", sagt er und dass es für ihn rasend schnell ging: Auftritte, Preise, Agentur. Und fügt hinzu, dass ihm die gemeinsame Arbeit fehlt. Als Ersatz für sein verlorenes Ensemble ist Grebe mit der Kapelle der Versöhnung und den Musikern Marcus Baumgart und Martin Brauer unterwegs. "Die Musik hat sich durch die Zusammenarbeit verändert. Kaum steckt man den Stecker in die Dose, wird es Popmusik." Einen Augenblick sieht Grebe etwas verloren aus, heimatlos. "Immer dem nächsten Gag hinterherjagen ist manchmal ganz schön anstrengend. Vielleicht werde ich in Zukunft ernsthaftere Lieder singen." Er würde auch gerne seine alte Schauspielgruppe vereinen, wieder Theater machen. "Ich bleibe wachsam."

Trotz der Probleme mit dem Pathos und der eigenen Heimatlosigkeit hat Rainald Grebe drei Hymnen geschrieben. "Ich habe eine Vorliebe für die Provinz und die Ödnis. Und ich beschreibe einfach, wie es ist. Wie ich es wahrnehme. Orte, Lebensgefühle. Die Leere der Ortschaften korrespondiert ja auch mit einer inneren Leere: Ich fühl mich Brandenburg. Offensichtlich können die Leute etwas damit anfangen."

Ob Rainald Grebe einen Stromanbietersong machen wird, sich zu einem politischen Statement durchringt oder die vierte Länderhymne schreibt, steht noch nicht fest. Was es auch sein wird, es wird vermutlich ein bisschen wehtun. Man wird sich gezwungen fühlen zu lachen. Und dann wird man sagen: "Stimmt irgendwie." Halleluja, Sachsen-Anhalt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.