Räumung der Brunnenstraße 183: Die Alternativen sind ausgeräumt
Das Hausprojekt war ein Symbol dafür, dass in Mitte noch etwas anderes als die Verwirklichung von Loft-Träumen möglich ist. Doch dem Senat fehlt der Mut, die Yuppiesierung aufzuhalten.
Die Fenster sind nur noch leere Höhlen. Glas und Rahmen sind herausgerissen. Im Erdgeschoss versperren Metallplatten den einstigen Umsonstladen. Am Tag nach der Räumung (taz berichtete) bietet die Brunnenstraße 183 in Mitte ein trostloses Bild. Nur das fassadenfüllende Wandgemälde ist noch zu sehen. "Wir bleiben alle" steht dort in meterhohen Lettern.
200 Meter weiter südlich wächst das Betonskelett für ein Hotel aus dem Boden. Zwei weitere wurden gerade in Sichtweite fertig gestellt. Die Immobilienbranche mag in Folge der Wirtschaftskrise darben. Im Umfeld des Rosenthaler Platzes ist davon nichts zu spüren. Für fast alle Brachen im Umkreis von einem Kilometer gilt: Sie wurden in den letzten zwei Jahren bebaut. Oder es steht dort aktuell ein Kran. Oder ein Bauschild.
Über 70 Projekte lassen sich zählen: Reihenweise werden schicke Loft-Häuser errichtet, die meisten von profitorientierten Investoren. Die Häuser haben große Fenster und ausladende Balkone. Ein Traum. Wer würde nicht gern in so einem Loft wohnen? Nur können es sich die Meisten nicht leisten. Das Problem sind nicht die Neubau-Lofts, sondern dass in der Berliner Innenstadt kaum noch etwas anderes möglich ist.
Die Brunnenstraße 183 mit ihrer ranzig-bunten Fassade war eins der letzten Zeichen dafür, dass der Kiez noch nicht vollkommen glatt gebügelt ist. Nicht, dass viele Anwohner mit dem Gedanken gespielt hätten, dort einzuziehen. Aber wer sich als Mitte-Bewohner bisher im Mittelfeld zwischen den Loft-Yuppies und den 183er-Punks halbwegs sicher fühlen durfte, sieht sich nun ans Ende der unten kürzer werden Skala gerückt.
Im "Umsonstladen", in dem man Gebrauchsgüter ohne Bezahlung abgeben und auch mitnehmen konnte, stand lange das Schild: "Achtung! Sie verlassen den kapitalistischen Sektor." Der Bezirksbürgermeister von Mitte hatte sich lange um eine nicht ausschließlich profitorientierte Lösung für das Hausprojekt bemüht. Ganz im Stile der 90er Jahre trafen sich Politker und Bewohner mit dem Eigentümer Manfred Kronawitter am Runden Tisch. Der plant ein "Mehrgenerationenprojekt", mit sozialem Anspruch. "Ich bin doch auch eher links", sagt Kronawitter. Er hätte das Haus an die Bewohner verkauft, wenn er ersatzweise ein landeseigenes Grundstück in der Nähe hätte erwerben dürfen. Der mühsam errungene Kompromiss scheiterte am Widerspruch vom Senat. "Ich bin enttäuscht, dass gerade ein linke Regierung sich da quergestellt hat", so Kronawitter zur taz.
Statt mit dem Senat wird er sich wieder mit den ehemaligen Bewohnern streiten müssen. Die halten die Räumung für rechtswidrig und wollen vor Gericht ziehen. Die Polizei habe Mietverträge und Meldeanschriften ignoriert, teilten sie am Mittwoch mit. 50 Menschen stünden nun auf der Straße. Der Eigentümer habe nur fünf Räumungsklagen für einzelne Wohnungen gewonnen, sagen die Bewohner. Dennoch sei das ganze Haus geräumt worden. Zudem sei in einigen Fällen der Gerichtsweg noch nicht ausgeschöpft gewesen. "Ich habe alles gewonnen, was möglich ist", entgegnet Kronawitter. Laut Polizei, die mit 600 Beamten den Gerichtsvollzieher unterstützt hatte, wurden im Haus 22 Personen angetroffen. Alle "ohne gültigen Mietvertrag".
"Der Gerichtsvollzieher hatte Vollstreckungstitel für zehn Wohnungen und ein Ladenlokal", erklärt ein Justizsprecher. Zwar seien nicht alle Titel rechtskräftig, aber dennoch "vorläufig vollstreckbar" gewesen. Mit anderen Worten: Die Räumung war möglich. Sollten die einstigen Bewohner noch Recht bekommen, stünde ihnen Schadenersatz zu. Eine Rückkehr ist so oder so unmöglich. Das Haus wurde nach der Räumung unbewohnbar gemacht. Das juristische Geplänkel wird die Veränderungen im Kiez nicht rückgängig machen.
Schräg gegenüber von der 183 steht ebenfalls ein Haus mit meterhohen Lettern an der Fassade. "Menschlicher Wille kann alles versetzen", ist an der Brunnenstraße 10 seit dem 9. November zu lesen. Darunter steht: "Dieses Haus stand früher in einem anderen Land". Das Denkzeichen wurde zum 20. Jahrestag des Mauerfalls von Jean-Remy von Matt, dem Mitgründer der Werbeagentur "Jung von Matt", gestaltet. Die Fassadengestaltung ist wunderbar. Sie passt. Zum Ort. Zur Zeit. Zur Bandbreite vom Kiez am Rosenthaler Platz.
Auf ihrer Homepage nennt von Matts Werbeagentur ihr Credo: "Eine gute Idee ist wie ein Trojanisches Pferd", heißt es dort. "Sie kommt attraktiv verpackt daher, so dass der Mensch sie gern hereinlässt. Doch im Kern ist sie nur auf ein Ziel gerichtet: Eroberung".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Paragraf 218 im Rechtsausschuss
CDU gegen Selbstbestimmung von Frauen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
FDP stellt Wahlkampf Kampagne vor
Lindner ist das Gesicht des fulminanten Scheiterns
Syrische Geflüchtete in Deutschland
Asylrecht und Ordnungsrufe
Wahlkampf-Kampagne der FDP
Liberale sind nicht zu bremsen
Sednaya Gefängnis in Syrien
Sednaya, Syriens schlimmste Folterstätte