Guillermo Juan Martinez sitzt auf seinem Rennrad und strampelt einen Berg hoch, im Hintergrund bewaldete Hügel

„Ein besonderes Talent, das man mit dem richtigen Training nur noch ‚schleifen‘ muss“, heißt es im Martinez betreuenden Schweizer Team – hier der junge Kolumbianer in Italien Foto: Rémy Vroonen

Radsport für Nichtprivilegierte:Rohdiamant auf Pedalen

Kolumbien ist Radsportland, Guillermo Juan Martinez, 19, ein Riesentalent. In Italien fördert ihn ein Schweizer Profiteam. Über einen, der nirgends aufgibt.

Ein Artikel von

Aus boyacá, lucca, 29.3.2024, 10:35  Uhr

Nebel liegt über dem Hochland von Boyacá mitten in Kolumbien. Guillermo Juan Martinez jagt auf einer Motocross-Maschine den Berg hinauf, immer wieder verschwinden die Reifen in Schlaglöchern. Er mag Motorradfahren nicht besonders, zu gefährlich, aber es ist ein schnelles Mittel, zum Haus seiner Eltern zu fahren. Martinez knattert an blühenden Kartoffeläckern und leeren Milchkannen vorbei. Farne fischen Wassertropfen aus dem Nebel. Das ewige Grün der kolumbianischen Anden. Der 17-Jährige beachtet es nicht. Er hat einen Traum: Er will Radprofi werden.

Die Chancen stehen nicht schlecht, denn der Kolumbianer gehört zu den größten Talenten seines Jahrgangs. Im November 2022 beendete er die Vuelta del Porvenir, die wichtigste Nachwuchsrundfahrt des Landes, auf dem zweiten Platz. Doch um wirklich Profistatus zu erreichen, muss er es nach Europa schaffen, wo die großen Teams ansässig sind und die wichtigen Rennen stattfinden.

Martinez bremst das Motorrad ab und biegt auf einen holprigen Pfad ein. Am Ende steht ein einstöckiges Haus mit gelben Wänden und einem roten Dach. Eine Betonplatte vor der Haustür dient als Parkplatz. Martinez ist schon länger nicht mehr hier gewesen.

Eine kleine, stämmige Frau tritt aus dem Haus. Nelci Martinez hat den ganzen Morgen auf ihren Sohn gewartet. Sie umarmt den schlaksigen Mann, der jünger aussieht als 17 Jahre. Seine Freunde haben ihm den Spitzname El Grillo verpasst, die Grille. Der Vater, Manuel Martinez, steht neben seinem Sohn und lächelt. Die Eltern haben Bier kaltgestellt, als wir sie im November 2022 besuchen.

Die Eltern bitten ins Haus. Vor fünf Jahren zogen sie hierher, weil die Erde etwas wärmer ist als auf der Nordseite der Berge. Die Kartoffeln wachsen hier besser, die beiden sind Landwirte. Im Wohnzimmer stehen vier Plastikstühle und ein blauer Gartentisch. Es ist früher Nachmittag und der Vater bietet seinem Sohn ein Bier an. Guillermo Juan Martinez schaut ihn kurz ungläubig an. Dann sagte er: „Ich will doch Radprofi werden, Papa.“

Guillermo Juan Martinez steht mit seiner Familie, dem Vater seiner Schwester und der Mutter auf einer grünen Wiese, im Hintergrund eine nebelverhangene hügelige Landschaft

Guillermo Juan Martinez mit der Familie auf dem Feld. Das erste Rennrad finanzierte seine Heimatprovinz im Hochland von Kolumbien Foto: Foto: Rémy Vroonen

Martinez hat das Haus der Eltern vor fünf Monaten verlassen. Er hat sich ein kleines Zimmer in der Nähe der Provinzhauptstadt Tunja gesucht, um schneller zum Training und zu den Rennen zu kommen, die das Radsport-Nachwuchsprogramm „Boyacá Raza de Campeones“ organisiert. Vom Familienhaus hat er zweieinhalb bis dreieinhalb Stunden nach Tanja gebraucht.

Neben dem Haus, in einem Verschlag aus Holz und Planen, brät Nelci Martinez Forellen. Im Haus gibt es auch eine mit Gas betriebene Küche, doch Martinez kocht lieber auf dem alten, gusseisernen Herd, der mit Brennholz betrieben wird. „Hoffentlich schmeckt es Ihnen“, sagt sie. „Ich habe mich die ganze Nacht gefragt, was Ausländer essen wollen.“

Die Familie Martinez lebt auf 3.000 Metern Höhe. Seit Generationen haben sich die Menschen hier an die Kälte, den Nebel und die harte Arbeit auf den Feldern gewöhnt. Ihre Lungen haben gelernt, der dünnen Luft den Sauerstoff abzutrotzen. Gute Voraussetzungen, um Radprofi zu werden.

Martinez fuhr früher oft mit dem Fahrrad lange zur Schule. So sammelte er schon als Jugendlicher eine Menge Höhenmeter

„Je abgelegener die Jungs wohnen, desto besser werden sie einmal“, sagt der kolumbianische Trainer Erney Casallas am Rande eines Rennens in der Provinz Boyacá. Er hat Martinez vor drei Jahren entdeckt. Vom Elternhaus bis zum nächsten Dorf dauert es eine halbe Stunde mit dem Motorrad. Martinez fuhr früher oft mit dem Fahrrad zur Schule. So sammelte er schon als Jugendlicher eine Menge Höhenmeter.

Seit einem Jahr gehört Martinez zum Auswahlteam Boyacá Avanza. Dort werden die besten Talente des Nachwuchs­programmes aufgenommen. Nairo Quintana, der aus einem Dorf ein paar Kilometer entfernt stammt und als erster Kolumbianer den Giro d’Italia gewann, hat es gegründet. Er wollte, dass mehr Jungen und Mädchen aus Boyacá Radprofis werden. Martinez bekam sein erstes Rennrad durch das Programm. Finanziert wird es von der Provinz Boyacá, die Räder kosten um die 200 bis 300 Euro. Für die meisten Kinder von Bäuerinnen und Bauern sind sie deshalb unerschwinglich.

Das Programm funktioniert so: An Schulen in der ganzen Provinz suchen Trainerinnen und Trainer nach Talenten. Etwa 1.000 von ihnen werden in das Programm aufgenommen und bekommen, wenn sie ihr Talent unter Beweis gestellt haben, ein Fahrrad. Damit können sie in einem Verein trainieren und an den Rennen teilnehmen, von denen jährlich etwa 20 stattfinden.

Boyacá ist so etwas wie die Wiege des kolumbianischen Radsports. Schon im Jahr 1929 führte ein Vorläufer der Kolumbienrundfahrt ein paar Todesmutige von der Hauptstadt Bogotá in die Provinzkapitale Tunja. Die steilen Straßen waren damals Schotterpisten mit riesigen Löchern. Seitdem entwickelte sich das Radfahren zu einer Nationalsportart.

Als Egan Bernal 2019 als erster Kolumbianer die Tour de France gewann, konnte er Monate danach nicht mehr einkaufen gehen. Supermärkte hätten aus Sicherheitsgründen gesperrt werden müssen, weil ihn so viele Menschen sehen wollten, um ein Autogramm von ihm zu bekommen. Der Radsport ist in Kolumbien auch so erfolgreich, weil er die Möglichkeit des sozialen Aufstiegs bietet.

In einem Land, in dem der Durchschnittslohn bei etwa 500 Euro im Monat liegt, gleicht ein europäisches Radsport-Profigehalt einem Sechser im Lotto. Und so träumt Juan Guillermo Martinez nicht nur von sportlichem Ruhm, sondern auch von finanziellem Wohlstand. „Ich möchte meine Familie voranbringen“, sagt er.

Der Vater tätschelt ein Kalb, sein Sohn guckt auf dem Telefon ein Radrennen. Es wirkt, als hätte er Acker und Vieh weit hinter sich gelassen

Vater Manuel Martinez zieht Gummistiefel an, wirft einen Poncho über und geht aufs Feld. Sein Sohn trottet hinterher. Auf ein paar Quadratmetern baut die Familie Kartoffeln, Bohnen und Baumtomaten an. Ein paar Meter weiter grasen zwei Kühe und ein Kalb. Der Vater tätschelt den Kopf des Kalbes, sein Sohn hat das Smartphone herausgeholt und schaut sich die Zusammenfassung eines Radrennens an. Es wirkt, als hätte er Acker und Vieh längst weit hinter sich gelassen.

Ein paar Tage zuvor hat er selbst am Start eines Radrennens gestanden. In Soatá, einer Kleinstadt, die geradewegs in den Berg gebaut wurde, findet das Saisonfinale der Copa de Boyacá statt. Hier, in der gleichnamigen Provinz, ist es nicht mehr weit bis zu den letzten Gletschern Kolumbiens, der Sierra Nevada del Cocuy, und ihren Fünftausender-Gipfeln.

Auf die Rennfahrer wartete ein Stadtkurs. Zwölf Runden mussten sie drehen, vorbei an bunt bemalten Häusern und über Betonplatten, zwischen denen daumenbreite Spalten klaffen. Gleich nach dem Start galt es, einen Hang mit einer Steigung von 15 Prozent zu überwinden. 400 Fahrerinnen und Fahrer gingen in verschiedenen Altersgruppen an den Start. Aus Lautsprechern schepperten Cumbia-Lieder.

Noch einige Minuten, bis das Rennen begann. Zeit für ein Interview. Martinez schaute seinem Gesprächspartner nicht in die Augen. Er sagte: „Die Saison ist fast vorbei. Heute ist es wichtig, dass ich nicht stürze, denn ein Team aus Europa hat Interesse gezeigt.“ Die Siege in dieser Saison haben ihm Selbstvertrauen gegeben. Auf Nairo Quintana angesprochen, den Radsport-Star in Boyacá, sagt Martinez: „Er ist ein exzellenter Rennfahrer und hat große Dinge erreicht. Aber ich möchte noch mehr erreichen.“ Er verschluckte sich fast an seinen Worten.

Guillermo Juan Martinez wird an diesem Tag von Stürzen verschont bleiben und den vierten Platz erreichen. Die Verhandlungen mit dem europäischen Team werden sich in die Länge ziehen. Nicht weil das Team kein Interesse hat, sondern weil es gerade neu entsteht. Es ist Q36.5, ein in der Schweiz lizenziertes Pro-Team. Als die Verträge mit den Sponsoren stehen, unterschreibt auch Guillermo Juan Martinez einen Vertrag im dortigen Nachwuchsteam.

Im Februar 2023 soll Martinez, der kein Wort Italienisch und kaum Englisch spricht, nach Italien fliegen. Er hat eine Menge Fragen: Wie sind die Menschen in Europa? Gibt es dort Schnee? Wie fühlt sich der Herbst an? Und warum haben die Geschäfte am Sonntag geschlossen?

Martinez’ Mutter sagt: „Ich habe Angst um ihn.“ Sie fragt die Reporter, ob sie ihrem Sohn helfen könnten, wenn ihm etwas zustößt. Martinez’ Vater lässt sich seine Sorgen nicht ansehen. Er sagt: „Wenn er Radprofi werden will, muss er da durch.“

Engagierte Teamwurzeln

Dass Q36.5 überhaupt auf Martinez aufmerksam wurde, hat mit den Wurzeln des Teams zu tun. Es wird von Douglas Ryder geführt, einem ehemaligen Radprofi aus Südafrika, der 2008 das Qhubeka-Team gründete. Sein Ziel: afrikanischen Talenten einen Weg in den Profisport ermöglichen. 2015 nahm Qhubeka als erstes afrikanisches Team an der Tour de France teil. 2021 wurde es aus finanziellen Gründen aufgelöst.

Doch Kontakte und Ausrichtung blieben bestehen. So arbeitet auch Q36.5 mit einer niederländischen Agentur zusammen, die vor allem äthiopische und kenianische Athleten vertritt. „Und diese Agentur betreut auch einige kolumbianische Fahrer“, sagt Kevin Campbell, Head of Performance bei Q36.5, in einem Videocall im Januar 2024.

Abgesehen von seinem zweiten Platz bei der Vuelta del Porvenir und ein paar Trainingsfahrten konnte Juan Guillermo Martinez dem Team keine Daten zeigen. Doch Q36.5 gab ihm trotzdem einen Ein-Jahres-Vertrag. „Wir dachten, dass Guillermo ein Rohdiamant sein könnte“, sagt Campbell. Er sieht den 17-Jährigen als besonderes Talent, das man mit dem richtigen Training nur noch „schleifen“ muss. Der 51-Jährige ist Anfang 2024 mit dem Profiteam im Trainingslager im spanischen Calpe. Campbell trägt einen schwarzen Pullover mit der Aufschrift „No shortcuts“, keine Abkürzungen.

Der gebürtige Südafrikaner möchte Menschen aus Entwicklungs- und Schwellenländern eine Chance geben. Er zieht daraus keinen finanziellen Vorteil, denn wie auch für junge europäische oder US-amerikanische Nachwuchsfahrer müssen keine Ablösesummen und keine hohen Gehälter bezahlt werden. Es ist eher ein Risiko. Seinen Scouting-Ansatz beschreibt er so: „Neben unserem Fokus auf afrikanischen Fahrern suchen wir nach Talenten, die von anderen Teams übersehen werden. Oder die sich noch entwickeln.“

Ein Betreuer untersucht das linke Bein von Guillermo Juan Martinez

Guillermo Juan Martinez hat nach einem Sturz Knieprobleme Foto: Foto: Rémy Vroonen

Beides trifft auf Guillermo Juan Martinez zu. So groß der Radsport in Boyacá auch sein mag, in Europa hat kaum jemand auf dem Schirm, wer im kolumbianischen Hochland Rennen gewinnt. Und weil Martinez erst spät zum Radsport kam, war er auch nie Teil einer Nationalmannschaft.

Für einen wie Martinez gibt es eigentlich keinen Weg in den Radsport. Er ist ein Außenseiter, auch weil er am Ende des Jahres geboren ist und damit den Konkurrenten aus dem gleichen Jahrgang schon immer unterlegen war. Hinzu kommt: Auch körperlich war Martinez ein Spätentwickler. Dass er trotz seiner Größe von 1,65 Meter und seines Gewichts von 50 Kilogramm gute Resultate in Kolumbien einfuhr, zeige allerdings sein Talent, sagt Campbell.

Außerdem gab es noch eine wichtige Fürsprecherin: Annemiek van Vleuten, die wohl erfolgreichste Radfahrerin der Welt. Die Niederländerin, die ihre Karriere vergangenes Jahr beendet hat, war 2022 bei einem Trainingslager in Kolumbien auf Martinez aufmerksam geworden und hatte ihn der niederländischen Agentur empfohlen.

Das Entwicklungsteam von Q36.5 hat eine geräumige Villa im italienischen Lucca gemietet, in der die Fahrer wohnen. Im Juni 2023 blühen Rosen im Garten und Guillermo Juan Martinez winkt freudig vom Balkon. Stolz begrüßt der mittlerweile 18-Jährige die Besucher und führt durch das alte Haus. Seine Schultern sind breiter geworden, er hat an Muskelmasse zugenommen.

In der Küche sitzen drei eritreische Teamkollegen beim Essen. Martinez grüßt sie, geht durch einen Flur, in dem Rollentrainer stehen, vorbei an einem Zimmer mit Trainingsrädern und einem mit Massageliegen. Im ersten Stock teilt er sich ein Zimmer mit Hector Molina, dem zweiten Kolumbianer im Team. Die beiden kennen sich aus Boyacá.

Martinez wirkt gelöst, er macht Witze und schaut seinen Gesprächspartnern mittlerweile direkt in die Augen. Dabei erwartete ihn bei seiner Ankunft in Europa eine Nachricht, die seine Karriere auch hätte beenden können. Bei einer medizinischen Untersuchung stellten die Teamärzte fest, dass Martinez eine Herzrhythmusstörung hat. In Kolumbien war das niemandem aufgefallen.

Auf der Sinuskurve entdeckten die Ärzte einen zusätzlichen Ausschlag. Das Herz schlug zu schnell. Sie sagten ihm, dass er sich einer Operation unterziehen müsste, Ablation genannt. Um zu verstehen, was dabei gemacht wird, hilft es, sich das Herz als ein Werk aus elektrischen Schaltkreisen vorzustellen. Der Sinusknoten, im rechten Vorhof des Herzens, gibt den Takt vor. Der Herzmuskel gibt dann das Signal weiter, von Zelle zu Zelle, wie eine Welle, die durch das Herz rauscht.

Tritt eine Rhythmusstörung auf, sind die Schaltkreise gestört. Bei einer Ablation werden krankhafte Leitungsbahnen, man könnte sie auch als kaputte Schaltkreise bezeichnen, mithilfe eines Katheters verödet. Danach soll das Herz wieder im richtigen Takt schlagen. Doch nach der ersten Operation war das bei Martinez noch nicht der Fall. Im Frühjahr 2023 musste er sich einer zweiten Operation unterziehen.

„Drei Monate lang saß ich hier in Lucca rum, ohne trainieren zu können und ohne Wettkämpfe“, sagt Martinez. Nun war er schon in Europa und wollte sein Talent unbedingt unter Beweis stellen, doch sein Herz machte nicht mit.

Martinez bewahrte dennoch Ruhe und Zuversicht. Auch, als seine Mutter in Kolumbien fast verrückt wurde vor Sorge um ihn. Die Reporter fragte er nicht um Hilfe. „Das Wichtigste war für mich, dass ich die Unterstützung meines Teams hatte“, sagt Martinez. Und das meint er nicht nur im moralischen Sinne. Die beiden Ablationen kosteten etwa 12.000 Euro, die Krankenkasse kam dafür nicht auf. Also übernahm Q36.5 die eine Hälfte der Kosten, die niederländische Agentur bezahlte die andere Hälfte. „Dafür bin ich sehr dankbar“, sagt Martinez.

In Lucca stehen an diesem Junimorgen Bergintervalle auf dem Plan. Zusammen mit Hector Molina fährt Juan Guillermo Martinez aus der Stadt heraus. Die beiden rollen sich ein, überqueren toskanische Hügel und streifen Pinienwälder. Am Monte Serra, einem 917 Meter hohen Berg zwischen Pisa und Lucca, geht Martinez aus dem Sattel, für fünf Minuten zeigt der Radcomputer 400 Watt am Berg an. Dann legt er eine kurze Pause ein, bevor 30-sekündige Intervalle mit 800 Watt folgen.

Als Martinez nach dem ersten Trainingsblock oben ankommt, schnappt er nach Luft. Ein Grinsen zieht sich über sein Gesicht. „Ich habe so Lust, endlich wieder Rennen zu fahren“, sagt er. Nach einer Pause fährt er ab, um eine zweite Intervall-Einheit zu absolvieren. Kurz bevor Martinez auf die Bergstraße einbiegt, kommt ein Lieferwagen um die Ecke.

Martinez kann nicht bremsen, doch er weicht dem Fahrzeug gerade noch aus. Eine Karriere als Radprofi kann jeden Moment zu Ende gehen. Ein heftiger Sturz, ein paar ausgefallene Rennen und schon machen andere Talente einem Fahrer den Platz im Team streitig. Martinez scheint nicht darüber nachzudenken.

Das erste Rennen fürs neue Team

Anfang Juni fährt Martinez das erste Rennen für sein neues Team. Es ist der Giro del Medio Brenta, ein italienisches Eintagesrennen der zweiten Kategorie, und Martinez belegt Platz 27. Zwei Wochen später wird er 68. bei der Aosta-Rundfahrt. Keine besonders guten Ergebnisse.

Doch darauf kommt es laut Kevin Campbell gar nicht so an. „Im ersten Jahr ist es wichtig, dass die Fahrer die Rennen beenden und etwas in den Rennen versuchen“, sagt er. Auch wenn Martinez nicht hundertprozentig fit gewesen sei, habe er sich im Rennen wohl gefühlt und versucht, anzugreifen. „Fahrer, die so etwas machen, kommen meist weiter“, sagt Campbell.

Martinez müsse noch an seinen technischen Fähigkeiten arbeiten, am Bike-Handling, aber der Renninstinkt sei da, die Leistungsdaten würden stimmen und er habe großes Potenzial. „Uns hat vor allem imponiert, wie er mit den Herzproblemen umgegangen ist“, sagt Campbell. Sein Wille, seine Disziplin und seine Zuversicht zeigten, dass er den Sprung zu den Profis schaffen könnte.

Das Team hat Martinez’ Vertrag um ein Jahr verlängert. In der aktuellen Saison, die gerade mit zwei Rennen in Slowenien begonnen hat, muss er nun sein Potenzial unter Beweis stellen. Und wieder gibt es Rückschläge. Beim Grand Prix Slovenian Istria stürzte Martinez Mitte März und verletzte sich am Knie. Er fuhr zurück nach Lucca, um sich zu erholen. Am Telefon ein paar Tage danach wirkt Martinez niedergeschlagen, denn das Knie hat sich entzündet. „Ich muss jetzt Tag für Tag schauen, wie es sich entwickelt“, sagt er.

Bis zum Giro Next Gen, dem Giro d’Italia für Nachwuchsfahrer, sind es nur noch eineinhalb Monate, nicht besonders viel Zeit für eine gute Vorbereitung. Und wenn es nichts wird mit der Karriere in Europa? Es dauert etwas, bis Martinez antwortet, doch seine Stimme ist dabei fester als vorher: „Dann fahre ich wieder Rennen in Kolumbien.“

Die Recherche wurde von der Heinz-Kühn-Stiftung mitfinanziert.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.