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Radsport-KlassikerDer Uneigennützige

Weltmeister und Titelverteidiger Mathieu van der Poel verhilft seinem Teamkollegen Jasper Philipsen zum Sieg bei Mailand–San Remo.

Mathieu van der Poel in Aktion: beim Frühjahrsklassiker Mailand-San Remo Foto: Ferrari/ZUMA Press/dpa

„Kühl die Beine etwas ab, mach, dass es langsamer wird“, rief Jasper Philipsen auf dem letzten Teil des 288 Kilometer langen Rennens dem Mann mit der Nummer 1 auf dem Rücken, zu. Der tat, wie ihm geheißen. Dabei war es Mathieu van der Poel, Titelverteidiger des Klassikers Mailand–San Remo und am Regenbogentrikot als amtierender Weltmeister zu erkennen. „Es hätte mir gefallen, bis zum Ziel mit Tadej Pogacar zu fahren“, beschrieb er die Situation, die ihn allein mit dem zweifachen Tour-de-France-Sieger ganz vorn in der Abfahrt vom letzten Hügel des Rennens sah.

Das war das Bild, das alle erwartet hatten. Das größte Rundfahrttalent der Gegenwart mit dem weltbesten Klassikerfahrer seiner Generation ganz vorn im Kampf um die Krone beim Frühjahrsklassiker. Und für Momente war es auch tatsächlich zu sehen.

Van der Poel allerdings entschloss sich anders. „Als ich sah, dass Jasper nach dem Poggio noch immer in der Nähe war, wurde mir klar, dass es auf ein ganz anderes Finale hinausläuft“, erklärte er später. Also wartete er. Philipsen kam heran, aber der ähnlich schnelle Ex-Weltmeister Mads Pedersen ebenso. Auch Michael Matthews, immerhin schon zweimal in San Remo auf dem Podium, war wieder mit im Spiel.

Mehr Konkurrenz also. Aber van der Poel traute seinem Teamkollegen den ganz großen Wurf zu. „Jasper sagte mir, dass er tolle Beine habe. Wir sind es gewohnt, uns ehrlich zu sagen, wie die Dinge stehen, weil wir es gewohnt sind, zusammenzufahren. Und Jasper ist auch mehr als ein reiner Sprinter“, erläuterte er seinen Entschluss.

Ich hatte wirklich Angst im Finale, ich wollte das nicht vermasseln

Jasper Philipsen

Er gab einen möglichen Sieg über Pogacar her für ein Finale, das auf seinen Teamkollegen zugeschnitten war, das dieser aber auch erst einmal gewinnen musste. „Es waren am Ende nur Zentimeter, die zwischen mir und Matthews den Ausschlag gaben, Zentimeter, die bei diesem Rennen alles bedeuteten“, gab Philipsen im Ziel auch zu. Er gestand sogar, auf dem letzten Kilometer gerade wegen des großherzigen Verhaltens seines Teamgefährten mächtig Druck verspürt zu haben. „Ja, ich hatte wirklich Angst im Finale, denn ich wollte das nicht vermasseln. Ich habe mich in dem Moment nicht mal getraut, mich umzugucken, wie viele Jungs noch da waren. Und weil ich in diesem Jahr schon ein paar Sprints versaut hatte, dachte ich auch, wenn das hier wieder passiert, wäre das eine komplett verpasste Chance im Leben. Und ich würde sicher die ganze nächste Woche nicht schlafen können.“ Die Schlaflosigkeit aus Frust blieb Philipsen erspart. Höchstens vor Freude könnte er wach geblieben sein.

Außer der von van der Poel gab es noch eine schöne und sportlich faire Geste am Zielstrich von San Remo. Tadej Pogacer, im Sprint noch immerhin Dritter, umarmte Sieger Philipsen und den Zweiten Matthews. „Es ist ein tolles Podium mit den beiden. Michael und Jasper sind auch gute Freunde für mich“, sagte er, nachdem er sich aus der Dreierjubeltraube wieder gelöst hatte. Pogacar hatte bei diesem Rennen den Sieg angestrebt. Er hatte sein Team schon bei den ersten Hügeln zum Tempo machen eingesetzt und an der Cipressa das Feld dezimiert. Er hielt dann aber inne, weil ihm 22 Kilometer vor dem Ziel nur ein Helfer übrigzubleiben drohte. An diesem Punkt schon war Pogacars Plan gescheitert. Zwei Antritte am Poggio reduzierten das Feld zwar weiter, aber nicht genug für einen Sieg. Trotzdem freute sich Pogacar über den Kampf, den er geliefert, und die Show, an der er mitgewirkt hatte. Van der Poel, Po­ga­car – das erste große Radsport­monument des Jahres schickt Bilder, die die Welt braucht.

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