piwik no script img

Radikale KlimaprotesteDer Rechtsstaat muss das aushalten

Gastkommentar von Tim Caspar Boehme

Das juristische und das gesellschaftliche Urteil über Klimaproteste sind verschiedene Dinge. Man sollte sie nicht miteinander vermischen.

Der Streit um die Klimaproteste eskaliert Foto: Remo Casilli/reuters

D ie Aussagen mancher Po­li­ti­ke­r*in­nen nach der Protestaktion am Berliner Flughafen zeigen: Die Debatte über die Klimaproteste eskaliert. Kri­ti­ke­r*in­nen werfen ihnen mangelnde demokratische Werte und mangelnde inhaltliche Ernsthaftigkeit vor. Das verkennt zwei Dinge. Erstens: Die Ak­ti­vis­t*in­nen streiten für mehr Klimagerechtigkeit, ein Ziel, das heute wohl niemand mehr ernsthaft leugnet. Zweitens: Die Motivation der Ak­ti­vis­t*in­nen ist urdemokratisch, wenn sie von demokratischen Institutionen Handlungen einfordern, dieser Krise angemessen zu begegnen.

Wenn ich allerdings die Wortbeiträge mancher Po­li­ti­ke­r*in­nen zu diesem Thema lese, bekomme ich eher den Eindruck, dass sie es sind, die eine demokratische Debattenkultur vermissen lassen. Wer fordert, nun alle Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen schon mal vorsorglich in Gewahrsam zu nehmen und Polizei und Gerichte zum strengen Handeln drängt, hat den Kern der Gewaltenteilung nicht verstanden.

Bild: privat
Tim Achtermeyer

ist Co-Vorsitzender der Grünen in NRW.

Genauso befremdlich ist auf der anderen Seite die Forderung, das Strafrecht bei der Blockade des Berliner Flughafens nicht anzuwenden – wegen der politischen Notwendigkeit des Protests. Denn für beide Fälle gilt in einem Rechtsstaat gleichermaßen: Es gibt einen Unterschied zwischen dem gesellschaftlichen und dem gerichtlichen Urteil über Proteste. Das ist genauso eine Stärke und Auszeichnung eines demokratischen Staats wie die Existenz einer friedlichen und starken zivilgesellschaftlichen Opposition.

So weit, so unspektakulär. Spektakulär ist für viele aber die Art des Protests. Man kann sich streiten, ob Tomatensoße auf Glasscheiben (hinter denen teure Gemälde vor Sonne und Speichel der Mu­se­ums­be­su­che­r*in­nen geschützt werden) die beste Protestform ist. Und auch mich wurmt die ein oder andere Demonstration vor der Tür meiner Parteizentrale, in der Ak­ti­vis­t*in­nen uns auffordern, noch konsequenter zu sein. Doch solange der Protest gewaltfrei bleibt, müssen wir ihn als demokratische Gesellschaft aushalten oder, noch besser: die inhaltlichen Forderungen der Demonstrierenden ernst nehmen.

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare