Radfahrende Politiker:innen: Die Zukunft auf zwei Rädern
Dass der Berliner Politbetrieb öfter einmal am Rad dreht, ist leicht dahingesagt. Wir haben uns mit Abgeordneten auf den Sattel geschwungen.
Radelnde Abegordnete: Die taz hat sich die Speichen gegeben und ist mit Volksvertreter:innen des demokratischen Spektrums durch Berlin geradelt, um sie auf Herz und Nabe zu prüfen.
Pascal Meiser: Was seine Beine noch so hergeben
Pascal Meiser, 46, ist ein Alltagsradler. Er fährt fast täglich aus Berlin-Kreuzberg, seinem Wahlkreis, zum Bundestag. Sein Gefährt ist kein superteures Ultraleichtrad, eher was Normales. Er fährt gern schnell, „was die Beine noch hergeben“. Natürlich im Rahmen der Straßenverkehrsordnung, wie es sich für einen Volksvertreter gehört.
Die Fahrbereitschaft des Bundestages, ein kostenloses Taxi für MdBs, benutzte er äußerst selten. Sich von „einer Limousine“ abholen zu lassen, hält der Linksparteimann für ein Statussymbol, das zu nutzen seinem egalitären Grundverständnis widerspricht. Außerdem sei Radfahren ja „gesund“.
Die Bundestagswahl ist eine Klimawahl. Ab dem 28. Juni stellen wir deswegen eine Woche unsere Berichterstattung unter den Fokus Mobilitätswende: Straßenkampf – Warum es eine Frage der Gerechtigkeit ist, wie wir mobil sind. Alle Texte: taz.de/klima
Der Hobbyfußballer bewegt sich gern. Zu E-Bikes hat er ein ähnliches kühles Verhältnis wie zu Limousinen. Für Ältere – klar, bei Jüngeren ist sein „Verständnis überschaubar“. Will sagen: Für fitte 25-Jährige E-Biker hat er so viel Sympathien wie die Linkspartei für Neoliberale. Im Berliner Verkehr fühlt er sich „einigermaßen sicher“, weiß aber, dass viele das anders empfinden. Mitunter stört ihn die Aggressivität zwischen Auto- und Radfahrern: „Der Ton ist rau.“ Das werde sich nur bessern, wenn es mehr abgetrennte, breite Radwege gibt. Für Radfahrer gebe es im rot-rot-grünen Berlin „erfreuliche, spürbare Verbesserungen“, so Meiser. Stefan Reinecke
Franziska Brantner: Zehn Minuten durch den Tiergarten
Die schönsten zehn Minuten des Tages sind für Franziska Brantner die, in denen sie mit dem Rad durch den Berliner Tiergarten zu ihrem Abgeordnetenbüro fährt. Viel Grün, breite Wege, Sonnenflecken unter Bäumen. In der Grünen-Fraktion ist das Rad für viele das Verkehrsmittel der Wahl – aus ökologischen, aber auch sehr pragmatischen Gründen. „Radfahren ist für mich auch Sport“, sagt Brantner. „Und meine Tochter kann nebenherradeln.“
Brantner ist europapolitische Sprecherin. Die Grüne hat schon im Jahr 2000 in Paris für bessere Radwege demonstriert – und genießt es heute, an der Seine entlangzufahren. Warum tut sich im von Grünen mitregierten Berlin so wenig? „Berliner Politik kommentiere ich nicht.“ Aber in der deutschen Hauptstadt werde es besser, findet Brantner. Ihre Heimat ist Heidelberg.
In Baden-Württemberg baut die Landesregierung Radschnellwege zwischen manchen Städten. Eine Route führe von Heidelberg nach Mannheim. Oft liege es nicht am Geld, dass der Bau dauere. „Die PlanerInnen können Straßen – aber noch keine Radwege.“ Ulrich Schulte
Mathias Stein: Der Mann, der wegen der Eindrücke radelt
Während die anderen für die zwei Kilometer von Wohnungstür zur Arbeit gerne mal den Fahrdienst des Bundestages bemühen, fahre er täglich mit dem Rad, erzählt Mathias Stein. Bei Wind und Wetter, manchmal im Anzug, manchmal in Regenhose. Gleich vier Drahtesel hat der Sozialdemokrat: ein Raleigh-Rad für die Bodenständigkeit, ein Lastenfahrrad, um Infomaterial zu verteilen, ein Brompton-Klapprad für die Flexibilität und ein gebrauchtes, rotes Tandem wegen einer schönen Erinnerung an eine Tour durch Görlitz.
„Ich lieb es besonders, dass man beim Radeln ganz neue Eindrücke bekommt“, sagt Stein, der sich selbst „Fahrradabgeordneter“ nennt. Man könne mal einen Umweg fahren und etwas entdecken oder einfach absteigen, um mit Menschen zu sprechen. Auch politisch legt er große Hoffnungen in den Drahtesel: Fahrradfahren sei das „Herzstück der Verkehrswende“ und könne eine Mobilität ermöglichen, die günstig, individuell und inklusiv ist. „Wenn ich längere Strecken mit dem Fahrrad fahre, denke ich oft über Reden, Texte, Bausteine und Ideen nach.“ Julian Jestadt
Gero Storjohann: 10 Kilometer täglich müssen sein
Zehn Kilometer Radfahren, das muss täglich für Gero Storjohann schon sein. Zu Hause in Holstein fährt der 63-Jährige einmal täglich um sein Dorf herum, als Ausgleichssport und zur Entspannung. In den Sitzungswochen in Berlin radelt er die fünf Kilometer vom Gesundbrunnen zum Reichstag und wieder zurück. Seit 2005 ist Storjohann fahrradpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, gekommen sei er dazu „wie die Jungfrau zum Kinde“. Danach musste die ganze Familie erst einmal in den Fahrradurlaub.
Gemeinsam mit seinem Kollegen von der SPD veranstalte er einmal im Jahr eine „parlamentarische Fahrradtour“ für Abgeordnete, aber auch Staatssekretäre und „jede Menge Lobbyisten“ seien stets dabei. Begutachtet wird dabei gute und schlechte Infrastruktur, in diesem Jahr ging das wegen Corona nur in abgespeckter Form. „Tatsächlich halte ich Berlin für die beste Fahrradstadt in Deutschland.“
300 Millionen Euro habe der Bund jetzt für Radinfrastruktur nachgeschoben, obwohl Radpolitik Sache der Kommunen ist, betont Storjohann. Damit würden bis 2023 nicht weniger als 1,75 Milliarden Euro zur Verfügung stehen – für Lückenschlüsse bei bundesweiten Radwegen etwa, Radabstellanlagen oder Radschnellwegen. Und was sollte kommen, wenn er sich etwas wünschen dürfe? „Getrennte Wege“, sagt Gero Storjohann sofort, „alle Notlösungen halte ich für nicht nachhaltig.“ Sabine am Orde
Katja Hessel: Vorbild Jan Ulrich
Als Jan Ullrich 1997 die Tour de France gewann, kaufte sich Katja Hessel vor lauter Begeisterung ein Rennrad und probierte es im Nürnberger Umland aus. „Das war das erste und letzte Mal, weil ich dachte, das überlebe ich nicht“, erzählt sie, so dicht fuhren die Autos an ihr vorbei. Hessels Rennfahrkarriere endete, aber das Radfahren an sich ließ sie sich nicht vermiesen.
In Berlin fährt die FDP-Bundestagsabgeordnete die meisten Wege mit ihrem Trekkingrad, nur selten nutzt sie den Fahrdienst. „Ich genieße den Fahrtwind im Gesicht, ich komme überall schnell hin, ich muss keinen Parkplatz suchen und für das Klima ist es auch gut“, erzählt sie am Telefon. Aber bis heute fährt sie lieber Umwege durch Seitenstraßen, wenn auf Hauptstraßen der Radweg fehlt.
Großen Einfluss auf ihre Arbeit als Vorsitzende des Finanzausschusses habe das Fahrradfahren zwar nicht, „aber jede Entscheidung, die ich hier mittrage, speist sich auch aus persönlicher Erfahrung. Und ich kenne die Bedürfnisse von Fahrradfahrern.“ Hessel wünscht sich eine „neue Mobilität, in der alle Verkehrsteilnehmer berücksichtigt werden. Fahrradfahrer brauchen mehr Platz.“ Jasmin Kalarickal
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl