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■ QuerspalteSchöne normale Welt

Ausgestattet mit der taz-Redaktions- Tarnkappe, gelang es unserer Autorin, den Grünen-Besuch beim Kanzler zu beobachten. Dies ist ihr Protokoll:

Hier kommt Kohl. Herzlich breitet er die Arme aus, ist aber noch nicht in Hörweite, so daß sie Jürgen Trittin erneut ermahnen kann: „Vergiß es nicht“, zischelt Gunda Röstel, „jeder stellt eine knallharte, kritische Frage!“ Jürgen Trittin nickt und poliert heimlich seine Schuhe an den Hosenbeinen. Dann nimmt man Platz am Sofatisch des Bundeskanzlers. „Schön haben Sie es hier“, sagt Jürgen Trittin. „Ja“, freut sich Helmut Kohl, „im Laufe der Jahre ist dieser Raum immer persönlicher geworden...“

Gunda Röstel räuspert sich. „Herr Bundeskanzler“, hebt sie an, aber der unterbricht sie. „Herr Kohl reicht völlig aus“, sagt er freundlich. „Sicher, selbstverständlich“, entschuldigt sich Gunda Röstel mit rotem Kopf. Jürgen Trittin springt ein: „Herr Kohl, wir haben natürlich anläßlich dieses besonderen Tages auch etwas, äh, im Gepäck ...“ Er stellt einen Marmorkuchen auf den Tisch. „Den haben wir selbst gemacht.“ Das findet der Kanzler „sehr aufmerksam, doch, wirklich“. Und das erinnere ihn übrigens an die Zeit, als Kuchen Mangelware war.

Helmut Kohl ist ein brillanter Erzähler. Es ist Jürgen Trittin, der seiner Begleiterin unter dem dem Tisch einen kleinen Schubs gibt. Gunda Röstel wirft ihm einen „Jetzt doch nicht“-Seitenblick zu. Na gut. Aber zehn Minuten später kann er sich nicht mehr zurückhalten. „Herr Kohl, was ich ansprechen möchte ...“ Jürgen Trittin kramt in seinen Hosentaschen. „Also so was, ich hab's mir extra aufgeschrieben ...“ Gunda Röstel holt tief Luft. „Also gut“, sagt sie, „wir möchten da etwas klarstellen.“ Helmut Kohl sieht sie fragend an. „Ja?“ – „Es ist so: Wir sind auf Ihre Einladung hierhergekommen. Das muß klar sein.“ – „Genau“, krächzt Jürgen Trittin. „Wir haben nicht gebettelt!“

Der Bundeskanzler willigte ein, und dann wurde es noch ein schöner Nachmittag. Carola Rönneburg

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