Querdenker-Szene in Göttingen: Schwurbler wollen „Herbsterwachen“
Die Organisatoren der Demo schießen gegen die Grünen, die queere Szene oder Waffenlieferungen. Das „Bündnis gegen Rechts“ kündigt Gegenproteste an.
Das „Herbsterwachen“ wird bundesweit in Chats und sozialen Medien der Szene beworben und ist nach Angaben der Göttinger Stadtverwaltung auch angemeldet worden. Bereits im April waren mehr als 600 Anhänger der Querdenken-Bewegung beim „Frühlinserwachen“ in Göttingen aufmarschiert. Protestierende hatten den Demozug allerdings mit mehreren Straßenblockaden nach einem Drittel der Strecke zum Umkehren gezwungen.
Zu den Organisatoren des „Herbsterwachens“ zählt der frühere Rechtsanwalt Michael S. Er gilt als Kopf der Querdenken-Szene in Nordrhein-Westfalen und war häufig Anmelder von Autokorsos und Demonstrationen. Mitgewirkt hat S. auch an einer „Wanderausstellung der Impf-Opfer“, in deren Rahmen verschwörungsideologische Narrative verbreitet und die Shoah verharmlost werden.
S. ist vorbestraft wegen Beleidigung und übler Nachrede. Auf seinem Telegram-Kanal fantasierte er über die gewaltsame Tötung Angela Merkels und über Bombenanschläge auf Regierungsgebäude.
Feindbild Grüne
S. und seine Kumpane haben in ihren Aufrufen für das „Herbsterwachen“ vor allem die Grünen als Feind ihrer eigenen, recht schwammigen Agenda ausgemacht. So beschuldigen sie die Partei, ihre Politik führe „Krieg gegen das Volk“. Weitere „Anklagen“ stehen in bekanntem Reichsbürger- und Querdenken-Zusammenhang: „Gegen den Pandemievertrag“, „für den Bargelderhalt“, „für die Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen“. Zentrale Forderungen sind wie im April zudem ein Stopp der Waffenlieferungen und Frieden für die Ukraine.
Relativ neu im Agitationsspektrum der Szene ist nach Beobachtung des Bündnisses gegen Rechts die Hetze gegen queere Menschen – manifestiert etwa am Beispiel queerer Ampelfiguren in Göttingen.
In den diversen Aufrufen für das „Herbsterwachen“ finden sich weitere Anspielungen auf Göttingen als „links-grüne Hochburg“, die „sensibilisiert“ und „aufgeweckt“ werden müsse. Das Engagement in der Stadt gegen rechts wird als „Antifa-Terrorismus“ bezeichnet.
Slogans wie „Wir sind wieder da. Göttingen 2.0“ und „Wir freuen uns auf euch“ neben dem Symbol einer Antifa-Fahne richten sich direkt an den Gegenprotest. Das Bündnis gegen Rechts sieht den neuerlichen Aufmarsch auch als „eine beleidigte Reaktion auf den Misserfolg der Querdenker:innen im April“.
Neben den Göttinger Parteien hat sich auch das Kommunalparlament gegen das „Herbsterwachen“ positioniert. Mit großer Mehrheit verabschiedete der Stadtrat eine Resolution gegen rechts. „Wir erteilen allen menschenverachtenden Einstellungen und Handlungen von Rechtsextremisten und Neonazis eine klare Absage“, heißt es darin. „Im Schulterschluss mit allen demokratischen Kräften möchten wir mit allen Formen gewaltfreien Protestes ein Zeichen für ein friedliches Göttingen setzen.“ Antidemokratischen Gruppierungen werde man keinen Raum geben.
Für den Zusatzantrag, die Rolle des Bündnisses gegen Rechts beim Protest zu würdigen, gab es allerdings nicht genügend Stimmen, wie die Göttinger Linke bedauert. „Die Brandmauer gegen rechts kommt nicht von allein“, sagt deren Fraktionsvorsitzender Jost Leßmann. „Sondern sie besteht aus allen engagierten Göttingerinnen und Göttingern, die am Samstag auf die Straße gehen und zeigen, dass wir hier keinen Platz für Hass und Hetze haben.“
Auch der Kreisverband von „Die Partei“ ruft zum Gegenprotest auf. „Wie man sieht, sind Verschwörungstheorien sehr viel schwerer zu bekämpfen als Viren“, sagt Kreisgeschäftsführerin Lisa Balkenhol. „Die Querdenker-Bewegung, die anfänglich vor allem gegen die Pandemiemaßnahmen gerichtet war, ist, genährt durch Einflüsse von QAnon, Reichsbürgern, Pegida, Organic Christ Generation und anderen rechtsextremen Strömungen, zu einem robusten Mutanten gewachsen.
Man erwarte eine Mischung aus Personen, die entweder selbst dem völkisch nationalen und rechtsextremen Umfeld zuzuordnen seien oder zumindest kein Problem hätten, mit ihnen zusammen zu marschieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour