Queere Initiative für Geflüchtete: Gegen den Homonationalismus

Zigtausend Geflüchtete sitzen auf den griechischen Inseln fest. Ein neues Bündnis queerer Aktivist*innen fordert, die Lager zu evakuieren.

Menschen verlassen in einem Hafen eine Fähre.

Deutschland sollte helfen: Menschen aus dem Lager Moria auf Lesbos verlassen in Piräus eine Fähre Foto: Petros Giannakouris/reuters

BERLIN taz | Es scheint, als müsse immer und immer wieder neu daran erinnert werden: An den europäischen Außengrenzen ereignet sich derzeit eine humanitäre Katastrophe, die sich durch Covid19 noch einmal verschärft hat. Bis heute hat Deutschland nur 47 geflüchtete Kinder von den mehr als 15.000 im Lager Moria auf Lesbos lebenden Menschen aufgenommen. Ein offener Brief des neu formierten Bündnisses Queers4evacuation macht nun genau darauf aufmerksam. Gefordert wird die sofortige Evakuierung der griechischen Geflüchtetenlager und die dezentrale Unterbringung von geflüchteten Menschen in Deutschland.

Mika Ashton ist einer der Initiatoren von Queers4evacuation. Mit einer Gruppe Leipziger Aktivist*innen hat er den offenen Brief an die queerpolitischen Sprecher*innen der Bundestagsfraktionen formuliert. Unterstützt wird das Schreiben von einem breiten Spektrum aus über 200 queeren Organisationen, Musik- und Kunstkollektiven, Zeitungen, Sportvereinen und Personen des öffentlichen Lebens.

Im Brief heißt es: „Gerade weil viele von uns (...) Erfahrungen von Gewalt und Diskriminierung machen mussten und weil wir wissen, wie schwer es ist die eigenen Rechte erkämpfen zu müssen, stehen wir an dieser Stelle für Solidarität ein.“

Die breitflächige Unterstützung in der queeren Szene erklärt sich Ashton, auch durch die politische Brisanz des Themas. In sogenannten homonationalistischen Diskursen versuchen rechte Akteure immer wieder, sich als Beschützer sexueller Minderheiten zu inszenieren. Ein plumper Versuch, islamfeindliche Hetze mit einem Regenbogengewand zu verschleiern – etwa, wenn die AfD auf einem Wahlplakat ein schwules Pärchen zeigt, das „keinen Wert auf Bekanntschaft mit muslimischen Einwanderern“ lege.

Lösung laut FDP-Sprecher: Mehr sichere Herkunftsländer

Die Initiative will insofern auch klarstellen, dass man sich nicht gegeneinander ausspielen lässt. Ashton sagt: „Der offene Brief ist nur ein Anstoß für weitere konkrete Handlungen.“

Die Reaktionen der adressierten queerpolitischen Sprecher*innen der Bundestagsfraktionen ließen zunächst auf sich warten – fielen dann aber ausführlich aus.

So schrieb etwa Jens Brandenburg von der FPD, er sehe die Bundesregierung in der Pflicht, die Lebenssituation der Schutzsuchenden auf den griechischen Inseln verbessern. Zudem solle die EU-Kommission prüfen, wie die Lager in den kommenden Wochen aufgelöst und Migrant*innen auf das griechische Festland gebracht werden können, um dort „reguläre Verfahren zu durchlaufen“.

Verbesserungen seien laut Brandenburg aber vor allem dadurch möglich, dass weitere Staaten zu sicheren Herkunftsländern erklärt würden. Dies entlaste die Behörden „von großteils aussichtslosen Anträgen, ohne das Asylrecht der tatsächlich Verfolgten einzuschränken“, schreibt er. Tatsächlich Verfolgte, das seien insbesondere Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität verfolgt werden, so Brandenburg.

Kein Statement der Lesben und Schwulen in der Union

Doris Achelwilm (Die Linke) unterstützt Queers4evacuation, stellt aber ganz andere Forderungen als ihr Kollege von der FDP. Anfang Juni hat die Linke die Bundesregierung aufgefordert, die „menschenunwürdigen Hotspots“ auf den griechischen Inseln zu evakuieren und ein Bundesprogramm für mindestens 10.000 Geflüchtete aufzulegen.

Es gebe über 150 Kommunen, die aufnahmebereit seien, so Achelwilm, aber das Bundesinnenministerium würde blockieren. Queere Geflüchtete seien häufig trans- oder homofeindlichen Übergriffen ausgesetzt – spezifische Unterkünfte für sie anzubieten und Amtsmitarbeiter*innen diskriminierungssensibel zu schulen, sei daher dringend nötig.

Karl-Heinz Brunner von der SPD findet, die Garantie für menschenwürdige Lebensverhältnisse müsse über ein allgemeines Anti-Diskriminierungsgesetz geregelt werden. Unabhängig der sexuellen Orientierung sollten alle geflüchteten Menschen die Möglichkeit bekommen, im Rahmen von Kontingenten nach Europa zu gelangen.

Das fordern auch Ulle Schauws und Sven Lehmann (Grüne): „Wir haben die Bundesregierung mehrfach aufgefordert, über das angekündigte Aufnahmekontingent hinaus besonders schutzbedürftige Geflüchtete -darunter auch LSTBI -von den griechischen Inseln zeitnah aufzunehmen.“

Alexander Vogt, Vorsitzender des Bundesverbandes der Lesben und Schwulen in der Union, wirkte zunächst überrascht, von der Initiative mitadressiert worden zu sein. Schließlich habe er gar kein Bundestagsmandat. Er werde „ad-hoc kein Statement dazu abgeben“ sagte er sechs Tage nach Veröffentlichung des Briefes. Er habe das schreiben aber an Stefan Kaufmann von den „Wilden 13“ weitergeleitet, einer Gruppe tendenziell progressiver Parlamentarier der CDU. Deren Reaktion steht noch aus.

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