Porträt Gene Bogolepov

Gene Bogolepov Foto: Sasha Perova

Queere Geflüchtete:Neues Leben Berlin

In Berlin gibt es viele queere Schutzräume. Dennoch sehen sich Geflüchtete in ihrer neuen Heimat mit vielen Herausforderungen konfrontiert.

Ein Artikel von

13.11.2019, 13:37  Uhr

Gene Bogolepov ist 34 Jahre alt und bekommt, wann immer die Türklingel unerwartet läutet, eine Panikattacke. Er hält sich an einem Bier fest, während er durchs Fenster seines gerade frisch bezogenen Zimmers in Berlin-Kreuzberg in den Nachthimmel schaut. In der Ecke sind Bücher sauber in einer offenen Reisetasche gestapelt. Die ehrenamtliche Tätigkeit für Queer­amnesty und sein Sozialleben ließen kaum Zeit, die Sachen in der neuen Wohnung auszupacken. Die Tasche erinnert ihn an den 9. Dezember 2017, als er und sein damaliger Freund, jetzt Ehemann, mit all ihren Habseligkeiten aus Sankt Petersburg in Berlin ankamen, um in Deutschland ein neues Leben zu beginnen.

Bogolepov hatte eine glückliche Kindheit. Dass er schwul ist, wurde ihm klar, als er „Jesus Christ Superstar“ sah und sich zu Jesus hingezogen fühlte. Als Teenager, in den späten 90ern und frühen 2000ern, erlebte er eine liberale Grundstimmung in Russland. Er konnte seine Sexualität frei leben. Die Schwulenbars brummten vor Publikum. „Ab 2005 aber wurde alles schlechter“, erinnert er sich. Russland setzte 2013 dann das „Gesetz gegen homosexuelle Propaganda“ in Kraft, das die „Werbung“ für Homosexualität gegenüber Jugendlichen verbot. Das brachte Stigmatisierung mit sich und die Gefahr von Erpressung und Gewalt. „Ich kennen keinen Schwulen daheim, der nicht angegriffen wurde“, sagt Bogolepov.

Im selben Jahr wurde die Situation für Bogolepov zusätzlich schlimmer, als bei ihm HIV diagnostiziert wurde. Die in Russland erhältlichen Medikamente verursachten verschiedene Nebenwirkungen, unter anderem schwere Stimmungsschwankungen und Depressionen. „Ich versuchte auch, von meinem Balkon zu springen, aber mein Mann hat mich festgehalten“, erinnert er sich. Mit mangelhafter medizinischer Versorgung und der verstärkten Stigmatisierung als HIV-Positiver wurde es sogar schwierig, auch nur grundlegende Gesundheitsvorsorge wie zahnärztliche Behandlungen zu erhalten. Dazu begegnete ihm wiederholt körperliche Gewalt, was ihn schließlich an den Rand der Verzweiflung brachte. Vier Jahre später, 2017, entschied er sich, über Finnland nach Berlin zu ziehen und Asyl zu suchen.

Besonders verletzlich

„Queere Geflüchtete sind besonders, da sie aus ihrer Heimat nicht wegen dortiger Konflikte, sondern wegen ihrer Identität fliehen“, sagt die Psychologin und LGBTI-Aktivistin Aileen Kakavand. „Und sie werden weiter kommen, im Gegensatz zu anderen Flüchtlingen.“ Berlin ist ein anziehendes Ziel für queere Flüchtlinge, da es das einzige deutsche Bundesland ist, das LGBTI-Geflüchtete zu den besonders „verletzlichen Gruppen“ zählt. In der Hauptstadt befindet sich auch das größte, ausschließlich queeren Geflüchteten vorbehaltene Asylbewerberheim, mit insgesamt 122 Plätzen. Dazu kamen in den vergangenen Jahren mehrere NGOs und Selbsthilfegruppen, die Rechtshilfe und Wohnungsvermittlungen für queere Geflüchtete in Berlin anbieten.

Das ist auch der Grund, warum die 42-jährige Suryani Mahmood vor zwei Jahren in die Stadt kam. Zuvor verbrachte sie vier Jahre in Kopenhagen, erhielt in dieser Zeit wiederholt Ablehnungen. Aufgewachsen als eines von acht Geschwistern, identifizierte sie sich früh als Transfrau. „Ich wurde sogar von meinen Eltern als Mädchen großgezogen“, erinnert sie sich, als wir uns in Deutschlands größtem und Berlins einzigem Asylbewerberheim für queere Geflüchtete treffen. Hier, im Bezirk Treptow-Köpenick lebt sie seit inzwischen zwei Jahren. Ihre leuchtend gelbe Kurta (weites asiatisches Kleidungsstück, Anm. der Red.) unterstreicht das breite Lächeln, mit dem sie auf dem kühlen Balkon von der Unterstützung durch Eltern und Familie erzählt.

Wäre es nach Mahmood gegangen, hätte sie niemals das Land ihrer Kindheit verlassen. Als muslimische Transfrau jedoch war das nicht ihre Entscheidung. „Malaysia ist ein islamisches Land und akzeptiert LGBTIs nicht“, sagt sie. „Und als Transfrau konnte ich schlecht den Mann spielen und mich verstecken.“ Nach mehreren Übergriffen durch die Polizei wurde sie nach der Scharia angezeigt, obwohl sie selber keine praktizierende Muslimin ist. „Ich sehe aus wie eine indische Hindu, da meine Großmutter mütterlicherseits Hindu war, die zum Islam konvertierte. Mein Vater aber ist ein Malaysier und so wurde ich als Muslimin geboren.“ Sie wurde zeitweise festgehalten und erhielt schließlich einen Gerichtstermin. 2013 jedoch, vor der Verhandlung, kaufte sie einen Flug nach Dänemark, um dort Schutz zu suchen.

Zügige Asylverfahren

„Als ich in Europa angekommen war, sagte meine Mutter, dass ich nicht zurückkehren soll, weil es in Malaysia nicht sicher für mich ist.“ Mahmood gehorchte und blieb für vier Jahre in Dänemark in der Hoffnung, dort auf Dauer ein Zuhause zu finden. Aber das wollte einfach nicht klappen. „Also fuhren Freunde mich 2017 von Kopenhagen nach Hamburg und von da nahm ich einen Zug nach Berlin“, erinnert sie sich. Dort kam sie in dem Heim in Treptow-Köpenick unter und erhielt ihren Flüchtlingsstatus innerhalb zweier Wochen nach Antragstellung.

Ähnlich glatt verlief das Asylverfahren in Berlin für den 23-jährigen Haidar Darwish, der im September 2016 herkam, um zu studieren. Aufgewachsen ist er unter einer liberalen und generell aufgeschlossenen Regierung in der syrischen Hafenstadt Latakia. „Mein Vater war Florist, meine Mutter Friseurin. Beide waren nicht religiös, ich bin nie in einer Moschee gewesen, aber sie hatten ein soziales Gewissen“, erklärt Darwish, während er in einem Dachcafé am Kurfürstendamm aus einer Schüssel Schakschuka isst. Er trägt einen Jeans-Jumpsuit, quer über sein weißes T-Shirt steht „fabulous“ geschrieben. Mit 16 wurde ihm klar, dass er schwul ist. In Syrien war er in zwei Beziehungen, eine ging über ein Jahr. „Mein zweiter Freund wurde zur Armee einberufen, weshalb er fliehen musste. Aber er wollte nicht weg, wegen mir. Und so haben wir entschieden, dass erst er geht und ich nachkommen würde“, erinnert er sich.

Es gab zwei Hauptgründe für Darwish, Syrien zu verlassen: Einer war, dass er jederzeit einberufen werden konnte, der andere, dass es keine Arbeit für einen wie ihn, mit Abschluss in Englischer Literatur, gab. „Ich wusste, dass meine Eltern nicht dafür zahlen würden, dass ich die Todesroute nehmen würde“, sagt er. Also sparte er Geld für den Pass und bewarb sich bei Hochschulen in Berlin. Als er die Bewerbung abgegeben hatte, überzeugte er seine Eltern und verließ mit 20 Jahren am 15. September 2016 Syrien in Richtung Berlin. „Auf meiner Abschiedsparty waren 90 Gäste, alles Freunde und Bekannte, aber ich habe heute mit niemandem mehr Kontakt“, erzählt er.

Porträt Suryani Mahmood auf einem Balkon

Suryani Mahmood 2019 in Berlin Foto: Kennith Rosario

Als Darwish in Berlin ankam, war das die Stadt der unbegrenzten Möglichkeiten. Für ein Jahr arbeitete er als Verkaufsassistent bei einer Onlineagentur und tauchte schließlich in das queere Leben der Stadt ein. Eines Nachts im Schwuz, dem größten queeren Club der Stadt in Neukölln, traf er auf der Tanzfläche auf die Drag-Künstlerin LaDivina. „Sie war so: ‚Wer ist das?‘“, lacht Darwish. Sie lud ihn ein, mit ihr gemeinsam aufzutreten. Seitdem arbeiten sie zusammen am „Monday Hafladay“, einer Performance-Serie in der Silver Future Bar.

Akt der Befreiung

Darwish, der autodidaktische Bauchtänzer, gibt sich entnervt über seine Vielzahl an Terminen, als er seinen Kalender zeigt. Gerade erst hat er die Organisation der 10. „Queens Against Borders“-Performance hinter sich, einem Spenden­event mit Dragshow zugunsten Transgender-Flüchtlingen, das ein paar Tage vor unserem Treffen stattfand. Und für die nächsten Wochen ist er wieder ausgebucht. Bei „Queens Against Borders“ rief das Publikum seinen Namen, als er in einem regenbogenfarbenem Badeanzug auf die Bühne kam. Seine Popularität war geradezu mit Händen zu greifen, als er unter dem Jubel der Menge für ein weiteres Stück zurückkam.

Berlin war für Darwish die Stadt der unbegrenzten Möglichkeiten

In Berlin aufzutreten, kommt für Darwish einem Akt der Befreiung gleich. Aber er zahlt auch einen Preis dafür. „Ein Iraker hat mich auf Instagram bedroht und ich bin auch zur Polizei gegangen“, erinnert er sich. Nach einem Artikel über ihn in arabischer Sprache gingen bei ihm einige homophobe Kommentare aus Syrien ein. „Meine Mutter berichtete mir, dass meine Onkel über mich bescheid wüssten“, sagt er. „Man würde mich ermorden, wenn ich zurückginge.“

Nach Ablauf des zweijährigen Studentenvisums und mit der Angst, in ein homophobes Umfeld zurückkehren zu müssen, beantragte Darwish Ende 2018 Asyl in Berlin. Während seines Interviews beim Amt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), bei dem über seinen Status entschieden werden sollte, begleitete ihn ein Arabisch-Dolmetscher. Darwish wurde nach der Natur der Bedrohung gefragt, der er sich bei einer Rückkehr nach Syrien ausgesetzt sehe. Für ihn war es nun von Vorteil, Deutsch und Englisch verstehen und sprechen zu können. „In dem Gespräch können deine Sprachkenntnisse über dein Schicksal entscheiden“, erklärt er. So weigerte sich der Dolmetscher trotz Darwishs Drängen, das Wort „homosexuell“ auszusprechen. „Er sagte ‚andere Orientierung‘, was aber nicht das war, was ich gesagt hatte“, meint er mit einem Seufzen. „In vielen Sprachen ist es schwer zu erklären, was ‚schwul‘ bedeutet. Das macht es für viele Asylbewerber schwer, ihren Fall zu begründen.“

Der Interview-Prozess beim BAMF ist durchaus umstritten mit seinen zudringlichen Fragen über sexuelle Erfahrungen, um die tatsächliche Gefahr für das Leben im Herkunftsland abzuschätzen. Aktivisten problematisieren das: „Das BAMF hat sich Leute aus anderen Behörden geholt, als die Zahl der Fälle um 2015 und 2016 zunahm. Die hatten aber keine Ahnung, wie Entscheidungen getroffen werden sollen oder so ein Interview überhaupt geführt wird. Das hat die Chancen vieler Leute stark eingeschränkt“, erinnert sich Mahmoud Hassino, der Berater in der Schwulenberatung ist und auch Hauptfigur in der Dokumentation „Mr. Gay Syria“ war. Rund 60 Besuche von queeren Geflüchteten hat die Schwulenberatung pro Woche.

Der Interview-Prozess beim BAMF ist durchaus umstritten

„Was uns ganz allgemein in Europa fehlt, sind klare Richtlinien, für die Interviews mit LGBTI-Asylbewerbern. Für die Behörden musst du als queere Person glaubhaft sein. Also ist es ihnen gestattet, Fragen zu stellen, um das festzustellen“, erläutert Hassino. Die Interviewer dürfen nicht nach Beweisen für die Sexualität fragen, wie Fotos mit einem Partner, aber der Asylbewerber kann diese nach eigenem Ermessen vorlegen. „Sie üben Druck auf dich aus und sagen dann so was wie: ‚Wenn du das machst, kann das deinem Anliegen helfen.‘ Oder sie stellen Fragen nach deinem Coming-out oder deinem ersten sexuellen Kontakt. Aber es fehlt die Vorstellungskraft, dass ein Coming-out in Uganda oder im Iran vielleicht etwas anders aussehen könnte als in Deutschland. Wenn du zum Beispiel eine lesbische Frau bist, die noch nie Sex mit einer Frau hatte, wird es schwer, die zu überzeugen, dass du lesbisch bist“, erklärt Aileen Kakavand. Sie erklärt, dass sich das BAMF seit 2016 durchaus entwickelt habe, aber es sei noch ein weiter Weg zu gehen. „Zum Beispiel darf das BAMF nicht mehr sagen, dass du ja in dein Land zurückgehen und deine Sexualität verstecken kannst“, sagt Kakavand.

Bogolepovs Interview beim BAMF dauerte neun Stunden. „Der Ablauf war nicht ganz so einfach, weil ich mit einem finnischen Visum nach Deutschland gekommen war“, erläutert er. Der Antrag wurde nach den Dublin-Regularien behandelt.

Die regeln die Zuständigkeiten für Asylbewerber zwischen EU-Ländern. „Mein Asylverfahren hätte also in Finnland stattfinden müssen“, sagt er. „Da mein Mann ein deutsches Einreisevisum hatte, entschieden sie, uns zu trennen.“

Haidar Darwish tanzt mit freiem Oberkörper

Haidar Darwish bei einem Auftritt Foto: Neal Atkins

Bogolepov sollte bald abgeschoben werden. Da die beiden aber in Berlin geheiratet hatten, konnten sie etwas Zeit gewinnen. „Und dann erfuhren wir, dass mein Mann einen negativen Bescheid hatte“, sagt er. Um ihren Fall durchzukämpfen, brachten die beiden innerhalb von 24 Stunden 2.000 Euro über eine Crowdfunding-Kampagne zusammen. Im April dieses Jahres schließlich hatte Bogolepov endlich sein Interview beim BAMF, nachdem er den ursprünglichen Antrag im vergangenen September gestellt hatte. Am 15. Juli 2019 erhielt er einen positiven Bescheid und ist nun als Flüchtling anerkannt.

Obwohl Mahmood über Dänemark nach Deutschland gekommen war, ihr Fall also auch unter die Dublin-Regeln gefallen wäre, wurde ihr Antrag in Berlin bearbeitet. „Wenn sie dir helfen wollen, dann machen sie das auch irgendwie“, erklärt sie. Der willkürliche Charakter der Asylentscheidungen frustriert und erschöpft Aktivisten, wie Anwälte. „Meistens wird queeren Syrern das Asyl verweigert, weil sie eben Syrer sind. Stattdessen bekommen sie subsidiären Schutz“, seufzt Mahmoud. „Die Person, die die Entscheidung trifft, denkt also, die werden sowieso nicht abgeschoben, also geben wir denen auch keinen Status, was schrecklich ist.“ Das Problem mit dem subsidiären Schutz ist, dass die Betroffenen abgeschoben werden können, sobald ihr Herkunftsland als sicher deklariert wird.

Doppelte Diskriminierung

Auch Flüchtlinge aus Ländern, wo sie nicht juristisch belangt werden, aber sozial bedroht sind, haben Schwierigkeiten, ihren Fall überzeugend darzulegen. „Es gibt so viele LGBTI-Geflüchtete, die aus anderen Ländern als Syrien, dem Irak oder dem Iran kommen. Länder wie Marokko, Tunesien, Uganda oder Nigeria, und die haben große Schwierigkeiten zu beweisen, dass sie in Gefahr sind, und dann ist es ihnen nicht möglich, Asyl zu bekommen“, erklärt Kakavand. Eine ihrer Klientinnen, Diana, eine lesbische Frau aus Uganda, hatte ein ähnliches Problem. „Ihr Leben ist in Uganda viel stärker bedroht als das vieler Klientinnen, die beispielsweise aus dem Iran kommen, dennoch hat sie große Probleme damit, dass ihr nicht geglaubt wird“, sagt Kakavand.

Lesbische Frauen sehen sich doppelter Diskriminierung ausgesetzt, als Frau in einer patriarchalen Gesellschaft und mit queerer Identität. „Es ist für sie schwer, aus den Ländern zu entkommen, oft werden sie in Ehen gezwungen“, sagt Kakavand und erklärt, dass die Mehrzahl der lesbischen Geflüchteten einen privilegierten Hintergrund haben, der ihnen überhaupt den Zugang zur Ausreise ermöglichte. „Die Zahl der lesbischen Geflüchteten ist eher gering, verglichen mit schwulen und trans“, ergänzt sie.

Als Transfrau war es für Mahmood schwer, ein normales Leben in Malaysia zu führen, ihre Geschlechtsidentität machte es aber leichter, in Berlin Asyl zu erhalten. Im Heim in Treptow-Köpenick lebt sie seit zwei Jahren. Sie hätte gerne eine eigene Wohnung, aber die ständig steigenden Mieten in Berlin machen das fast unmöglich. Queere Flüchtlinge, die ihre Herkunftsländer auf der Suche nach einem besseren Leben verlassen, sehen sich mit Problemen bei der Wohnungssuche, Rassismus in der queeren Community und der Herausforderung kultureller Integration konfrontiert.

Es gibt mehrere Initiativen und Vereine in Berlin, die sich des Wohnungsproblems und des Kulturschocks annehmen. Die Unterkunft in Treptow-Köpenick, gegründet 2016 von der Schwulenberatung und mit derzeit 80 Bewohnern, ist eine davon. „In anderen Asylbewerberheimen gab es eigene Etagen oder andere extra Bereiche für queere Menschen. Damit waren die geoutet, was ihr Leben gefährden konnte“, sagt Antje Sanogo, Leiterin der Einrichtung der Schwulenberatung. Anders als andere Unterkünfte für Geflüchtete in Berlin, die umgewandelte Räume wie Sporthallen, Container oder selbst Flughafenhallen waren, ist das Heim in Treptow-Köpenick immer ein gewöhnliches Wohnhaus gewesen. Einige der Bewohner sind zwar Gewalt und Diskriminierung entkommen, werden aber immer noch aus den Herkunftsländern oder von Landsleuten in Berlin bedroht. Deshalb ist der Zugang zu dem unscheinbaren Haus für Unbefugte auch nicht ohne Weiteres möglich. Beim Betreten wird man vom Sicherheitsteam begrüßt, einige sprechen sogar Arabisch. „Wir mussten sie auch erst einmal schulen und sensibilisieren“, erklärt Sanogo. Seit der Eröffnung vor rund drei Jahren werden Journalisten in den Räumen nur selten zugelassen, um nicht zu viel Aufmerksamkeit zu wecken.

In jedem Zimmer leben bis zu vier Menschen, zugewiesen werden sie von Sozialarbeitern. In ihrem zugigen Büro auf der Gemeinschaftsetage der Unterkunft erzählt Sanogo, dass es oft Konflikte zwischen den Bewohnern gibt. Sie alle bringen unterschiedliche Temperamente und Traumata mit, die bearbeitet werden wollen. „Damit umzugehen kann manchmal sehr schwierig sein“, sagt sie angestrengt. Am Anfang kamen in die Unterkunft vor allem Geflüchtete aus dem Nahen Osten, aus Ländern wie dem Irak, dem Iran, Saudi-Arabien und Jemen. In den letzten zwei Jahren aber gab es einen Anstieg queerer Geflüchteter aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion, wie Georgien, Moldau, Tadschikistan, Aserbaidschan und Turkmenistan. „Ein Grund ist, dass es nicht ganz so schwer ist, von dort hier einzureisen. Aber in allen diesen Ländern gibt es Gesetze, die gegen queere Menschen gerichtet sind, und deshalb werden viele von ihnen hier als Flüchtlinge anerkannt. Das ist besonders, da Nicht-LGBTI-Personen aus diesen Ländern diesen Status nicht bekommen“, erläutert Antje.

Als 2015 eine große Zahl an Flüchtlingen den Weg nach Deutschland fanden, stieg auch der Anteil queerer Geflüchteter, die nach Berlin kamen. Und so entschied das Schwuz, eine „Refugees welcome“-Party zu schmeißen. „Wir wollten auch der Behauptung entgegenwirken, dass Geflüchtete die LGBTI-Community angreifen würden“, sagt LCavaliero Mann, künstlerischer Leiter des Clubs. Dass die Tür für queere Geflüchtete aufgemacht wurde, stieß dabei auf Kritik von überwiegend weißen, deutschen Schwulen. „Rassismus und die Fetischisierung von Männern aus dem Nahen Osten sind ein großes Problem in der Community“, sagt Mahmoud. Das Schwuz hat mehrere Anläufe genommen, eine klare Haltung zu kommunizieren und ein inklusiver Partyraum zu sein. Dazu gehört die Anstellung von Dolmetschern an der Tür, die Integrierung von Musik aus den Herkunftsländern und die Verteilung mehrsprachiger Broschüren über den Club schon am Eingang. „Außerdem machen wir Workshops, um mit internalisiertem Rassismus umzugehen“, erklärt LCavaliero. Auch andere queere Clubs und Bars, wie das About Blank, das SO36 und das Silver Future haben Initiativen entwickelt wie extra Gästelisten, Drag Performances, Spendenaktionen und besondere Playlisten, um queeren Geflüchteten das Ankommen zu erleichtern.

Darwish, inzwischen ein populäres Gesicht in queeren Kreisen, hatte Erfolg mit seinem Asylantrag. Das gestattet ihm, für die nächsten drei Jahre zu bleiben, dann muss die Erneuerung beantragt werden. Für diverse queere Flüchtlinge, die mit der großen Zahl neuer Geflüchteter kamen, laufen genau diese ersten drei Jahre gerade ab. „Das ist jedoch nicht zu schwer, solange du nachweisen kannst, dass du Fortschritte bei der Integration machst, was das Erlernen der Sprache einschließt“, erläutert Kakavand. Weshalb Darwish auch plant, weiterzulernen. „Ich kann nicht für immer tanzen. Künstlerisch habe ich genug erreicht und will mich mehr auf das Akademische konzentrieren“, sagt er. Mahmood, die einen Friseurkurs in Dänemark besuchte, hofft, als Stylistin in Berlin arbeiten und eines Tages einen eigenen Salon eröffnen zu können. Bogolepov, der sich einen Namen als queerer Aktivist gemacht hat, versucht sich neben seinem Tagesjob als DJ, als Musiker und in Performance-Künsten. „Damals, 2017, da habe ich meine Tage gezählt“, sagt er, auf Berlin unter seinem Fenster schauend. „Aber jetzt bin ich glücklich. Eine der wichtigsten Sachen für ein glückliches Leben ist doch, sich sicher zu fühlen. Und hier fühle ich mich sicher.“

Übersetzung aus dem Englischen Daniél Kretschmar

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.