Queer-feministisches Camp auf Sylt: Bedroht mit Messer und Pistole
Queer-feministische Aktivist:innen haben in Westerland auf Sylt ein Camp errichtet. Nun werden sie von Rechtsextremist:innen bedroht.

Schon am ersten Tag haben die etwa 50 Teilnehmer:innen im Camp an der St.-Nicolai-Kirche in Westerland aber einen Selbstschutz organisiert – denn Rechtsextreme bedrohten das Camp, erzählen die Aktivist:innen. Am Sonntag eskalierte die Situation.
Am Haupteingang des Camps war am frühen Sonntagmorgen gegen halb fünf ein Mann erschienen. Der Mann – ohne auffällige rechtsextreme Kleidung oder Tattoos – begann mit einer Nachtwache ein Streitgespräch, berichtet Ronny. „Er wirkte wirr“, sagt die Aktivistin Armilla Brandt, die auch bei der Nachtwache war, der taz. Auch sie benutzt ein Pseudonym. „Er behauptete, auf Sylt gebe es keine Nazis, sprach aber im gleichen Satz noch davon, seine Nazifreunde zu holen“, erzählt Brandt.
Nachdem sie betont habe, dass es sehr wohl Nazis auf Sylt gebe, habe der Mann ein Messer herausgeholt und sie bedroht. „Er hielt mir die Klingenspitze ins Gesicht. Diese Messerbedrohung erschüttert mich immer noch“, erzählt sie. Wenig später habe der Mann sie erneut bedroht – mit einer Pistole.
Denn nachdem sie den Mann beim ersten Angriff zurückdrängen konnte, fuhr er mit dem Fahrrad weg, drohte jedoch, seine Waffe zu holen, um Brandt „zu erschießen“, sagt Ronny. Wenige Minuten später war der Mann zurück, lief durch das Camp mit einer Pistole, bedrohte Aktivist:innen und suchte „das Großmaul“. Damit habe er wohl Brandt gemeint.
Die zuvor gerufene Polizei schritt ein und setzte den Mann gewaltsam fest. Bei der Festnahme bedrohte er auch die Polizist:innen. „Der Schreck sitzt tief“, sagt Brandt offen. Mit so einer konkreten Bedrohung habe sie nicht gerechnet. Sie wollte das FLINTA-Camp fotografisch begleiten.
Die Waffe könnte eine modifizierte Luftpistole gewesen sein, mutmaßt Brand, mit 7,5 Joule und Diabolo-Patronen. Nach dem Waffengesetz sind diese Patronen Geschosse, keine Munition. Sie werden unter anderem bei der Schädlingsbekämpfung verwendet. „Diese Handfeuerwaffe kann durchaus tödlich sein“, sagt Brandt.
„Den Einsatz gegen einen Mann mit einer Luftpistole kann ich bestätigen“, sagt ein Sprecher der zuständigen Polizei Flensburg gegenüber der taz. Der festgesetzte Mann lebe auf der Insel und sei stark alkoholisiert gewesen, so der Sprecher weiter. Nach den polizeilichen Maßnahmen habe er wieder gehen dürfen.
Brandt berichtete vor der Eskalation bei Twitter auch von anderen Vorfällen. „Seit heute früh wird das Camp der jungen Aktivist*innen von Neonazis ausgespäht und beobachtet. Außerdem patrouillieren die Faschisten in der gesamten Innenstadt sowie am Bahnhof in Westerland“, schrieb sie in der Nacht von Donnerstag auf Freitag. „Immer mehr Faschowägen unterwegs“, twitterte sie in der Nacht auf Samstag.
Auch Ronny erzählt von Patrouillen durch die Innenstadt. Der Aktivist geht von rund 50 Rechtsextremen aus, die die Menschen in ihren Zelten bedrohen und angreifen könnten. Einzelne Rechtsextreme ordnet er der „Division Baden“ zu. Es seien aber auch welche aus Hamburg und Sachsen angereist – „zum Zeckenklatschen“, sagt Ronny.
Trotz der Vorfälle gelang es den Aktivist:innen, mit Demonstrationen gegen Transphobie, sexualisierte Gewalt und Klassismus „Optionen zum normalen Leben“ aufzuzeigen, sagt Ronny. Anfeindungen gegen ihre Vorstellungen von Emanzipation und Diversität kämen auch aus anderen Milieus.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Geiselübergabe in Gaza
Gruseliges Spektakel
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Jugend im Wahlkampf
Schluss mit dem Generationengelaber!
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Russland und USA beharren auf Kriegsschuld des Westens