Queer-feindliche Angriffe in Bremen: Wie man Hass zählt
Übergriffe auf queere Menschen verunsichern die Szene in Bremen. Belastbare Zahlen für einen Vergleich zwischen den Regionen gibt es allerdings nicht.
Manchmal erkennt man Hass ganz leicht. So wie am späten Abend des 6. Dezember in Bremen: Da hatten sich zwei junge Frauen, 18 und 19 Jahre alt, in der Straßenbahn geküsst. Ein Mann beleidigte sie, schlug ihnen ins Gesicht. Als die jüngere der beiden ohnmächtig zu Boden fiel, trat er ihr noch in den Bauch.
Bremer Straßenbahnen: Wenn man über die vergangenen Jahre Nachrichten verfolgt hat, rattert es sofort im Kopf. Da war der Fall einer trans Frau, die von einer Gruppe Kinder zusammengeschlagen wurde; ist schon etwas her, aber so was hallt nach. Und dann vor ein paar Monaten noch eine trans Frau, die an einer Haltestelle unvermittelt geschlagen wurde. Schon steht da ein Muster. Ist die Bremer Straßenbahn eine No-go-Area für queere Menschen? Mit dem Gefühl ist es so eine Sache, also: Statistik bitte!
Der Angriff auf das lesbische Paar wird von der Bremer Polizei korrekt als Hasskriminalität erfasst: ein politisch motivierter Straftatbestand. Die Taten treffen zwar zufällige Individuen, meinen – und verunsichern – aber eine ganze Gruppe. Werden Taten als Hassverbrechen eingestuft, kann das Strafmaß höher ausfallen.
Was soll man mit den Zahlen machen?
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Einmal im Jahr veröffentlicht der Bund gesammelt Daten zu Hassverbrechen. Nur Berlin und später Bremen haben sich entschieden, zumindest die Zahlen zur Queerfeindlichkeit auf Länderebene ohne weitere Nachfrage öffentlich zu machen. 2017 fielen bundesweit noch 313 Taten unter die Rubrik „Hasskriminalität – sexuelle Orientierung“. 2024 waren es 1.765, mehr als fünfmal so viele.
Aber was soll man nun machen mit diesen Zahlen: die wachsende Gewalt beklagen? Oder doch begrüßen, dass offenbar endlich das Dunkelfeld besser beleuchtet wird? Ähnlich ratlos lassen die Länderzahlen zurück. Etwa ein Drittel aller queerfeindlichen Straftaten, 588, fanden laut Statistik in Berlin statt. Dagegen in Bremen mit seinen fast 600.000 Einwohner*innen nur 26. Berlin, ein brutales Schlangenloch? Oder ist die statistische Erfassung in Bremen schlechter, obwohl man sich seit 2021 am Berliner Vorbild orientiert?
Welche Fälle als Hasskriminalität in die Statistik eingehen, ist abhängig von der Einschätzung von Polizist*innen. Ordnet man Täter der gesellschaftlichen Mitte zu, werden sie oft nicht als „politisch motiviert“ wahrgenommen. Noch entscheidender ist, ob Betroffene die Taten überhaupt anzeigen.
Eine Dunkelfeldstudie zeigte 2020 auf, dass etwa ein Viertel der Straftaten, die die Opfer als „vorurteilsgeleitet“ betrachteten, angezeigt wurden, Viktimisierungssurveys gehen aber von einem ungleich größeren Dunkelfeld aus, bei dem die Zahl der erfassten Hassverbrechen nur einen Promilleanteil der tatsächlichen Taten aufzeigt.
Guten Willen will man in Bremen haben: Polizist*innen würden extra geschult, Hassverbrechen als solche zu erkennen, schreibt die Pressestelle. Und schon 2015 hat die Polizei hier das Amt des Queerbeauftragten eingerichtet. Diesen Mai ist eine queersensible Anzeigenaufnahme dazugekommen.
Es bleibt trotzdem noch dabei: So richtig helfen polizeiliche Statistiken nicht bei der Einordnung. Bleibt doch wieder das subjektive Gefühl – das der Betroffenen. Und das ist offenbar angespannt. Die Zahl der Beratungen zu Queerfeindlichkeit hat im Bremer Rat-und-Tat-Zentrum ums Vier- bis Fünffache zugenommen, schätzt dessen Vorstand Reiner Neumann – in nur zwei Jahren: Queere Menschen fühlen sich unsicherer. Das sorgt für weniger Sichtbarkeit und eine schleichende Entnormalisierung: Man sähe kaum noch Schwule, die händchenhaltend durchs alternative Bremer Viertel ziehen, sagt Neumann. Oder die sich in der Straßenbahn küssen, könnte man ergänzen.
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