Qualität von Berliner Wohnheimen: Jeder darf sich beschweren
Bei der „Berliner unabhängigen Beschwerdestelle“ können HeimbewohnerInnen Missstände beanstanden. Aber hält der „Heim-TÜV“, was er verspricht?
„Wir wollen aus den Beschwerden auch ableiten, welche Aspekte bei der Versorgung verbessert werden können“, erklärt Sybill Schulz, Leiterin der Koordinierung Flüchtlingsmanagement bei der Integrationsverwaltung. Daher gehört zur Bubs ein Fachbeirat mit Vertretern der Senatsverwaltung für Integration und Soziales, von Geflüchteten, LAF, Heimbetreibern und der Behindertenbeauftragten, der anhand der Beschwerden strukturelle Probleme bei der Unterbringung und beim Zugang zum Versorgungssystem identifizieren und Empfehlungen für Verbesserungen erarbeiten soll. Träger der Bubs wird die Johanniter-Unfallhilfe, die kurz vor Weihnachten im Rahmen einer europaweiten Ausschreibung ausgewählt wurde.
Eine solche Stelle war der heutigen Integrationssenatorin Elke Breitenbach (Linke) bereits ein wichtiges Anliegen, als sie noch in der Opposition war. Im Koalitionsvertrag von R2G heißt es: „Um eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Geflüchteten in allen Berliner Flüchtlingsunterkünften zu erreichen, verpflichtet sich die Koalition, ein unabhängiges, effektives, transparentes und nachvollziehbares Beschwerde- und Kontrollmanagement (‚Heim-TÜV‘) einzuführen.“
Hintergrund waren über Jahre wiederkehrende Beschwerden von Geflüchteten, aber auch von ehrenamtlichen Helfern oder dem Flüchtlingsrat: etwa zur Ausstattung und Sauberkeit der Gemeinschaftsküchen und Sanitärbereiche, zur Qualität des Essens in Erstaufnahmeeinrichtungen, nicht abschließbaren Zimmern und Schränken oder auch zu unangemessenem Verhalten von MitarbeiterInnen – um nur einiges zu nennen.
Nur per Email erreichbar
Nun ist es nicht so, dass Geflüchtete bislang gar keine Möglichkeit hatten, sich zu beschweren. Die meisten Heime haben „Briefkästen“, auch kontrolliert das LAF, teils unangekündigt, ob die Betreiber die vertraglich vereinbarten Qualitätsstandards einhalten. Allerdings reden sie dabei primär mit Heimleitung und MitarbeiterInnen – und nicht mit den Geflüchteten selbst, wie diese immer wieder berichten. Es gibt auch eine Beschwerdestelle beim LAF, aber die ist nur per E-Mail erreichbar. 2019 wurde das Amt auf diesem Weg laut Sprecher Sascha Langenbach 59 Mal kontaktiert.
An diesem bestehenden System „gibt es mehrere Kritikpunkte“, sagte Breitenbach im vorigen Jahr bei einer Veranstaltung – vor allem daran, dass die LAF-Beschwerdestelle „zu nah an der Behörde“ sei, nur per Telefon erreichbar und nur auf Deutsch ansprechbar ist.
taz-Serie: Die meisten Geschichten enden nicht einfach, nachdem in der taz darüber ein Text erschienen ist. Deshalb fragen und haken wir bei ProtagonistInnen noch einmal nach: In unserer Serie „Was macht eigentlich?“ rund um den Jahreswechsel 2020/21 erzählen wir einige Geschichten weiter. Alle Texte sind künftig online auf taz.de/berlin nachzulesen. (taz)
Flüchtlingsinitiativen hatten sich schon lange für eine vom Flüchtlingsamt unabhängige Beschwerdestelle stark gemacht. Christian Lüder von Berlin hilft hält die Bubs daher für eine gute Idee. Insbesondere begrüßt er, dass sie längerfristig auch für Heime der bezirklichen Wohnungslosenhilfe zuständig sein soll. Dort sind die Zustände zum Teil sehr viel schlechter als in Flüchtlingsheimen, von denen viele in den letzten Jahren neu gebaut wurden.
An der konkreten Umsetzung kritisiert Lüder allerdings, dass die Bubs kein „Durchsgriffsrecht“ bekommt, um im Zweifelsfall die Beseitigung eines Missstands zu erzwingen. „Was passiert, wenn das LAF oder der Heimbetreiber eine berechtigte Beschwerde nicht anerkennt? Dann wäre die Bubs wirkungslos“, sagt er.
„Bock zum Gärtner gemacht“
Ähnliches befürchtet Diana Henniges von Moabit hilft: „Hier wird der Bock zum Gärtner gemacht“, sagt sie. Die Bubs sei nicht „unabhängig“, wie ihr Name sagt, sondern vom Willen des LAF und der Betreiber abhängig, den Beschwerden abzuhelfen – oder auch nicht. Daher glaube sie nicht, dass die neue Stelle viel verbessern wird: Die Betreiber würden weiter mauern, das LAF beklagte Dinge für unabänderlich erklären. „Wir werden uns weiter im Kreis drehen.“
Die konkrete Ausgestaltung der Bubs ist Ergebnis eines Pilotprojekts, das 2018 und 2019 durchgeführt wurde. Damals gingen ehemalige Flüchtlinge als LotsInnen in die Heime und befragten BewohnerInnen zu ihren Problemen mit Unterkunft und sonstiger Versorgung, etwa mit Kitaplätzen. Die Beschwerden wurden kategorisiert, weitergeleitet, nach spätestens 14 Tagen sollte es eine Rückmeldung geben an den oder die BeschwerdeführerIn, ob und wie das Problem gelöst werden kann. Das Ganze wurde von Studierenden der Alice-Salomon-Hochschule wissenschaftlich begleitet (taz berichtete).
Dabei stellte sich heraus, dass es für viele BewohnerInnen wichtig ist, das Gespräch außerhalb ihres Heimes führen zu können – aus Angst, die Heimleitung könne Wind davon bekommen. Dies wird nun berücksichtigt, die Bubs bekommt eigene Räume in der Stadt – wo, ist noch nicht klar. Eine andere Erkenntnis des Pilotprojekts: Viele Geflüchtete hatten zunächst Bedenken, offen über ihre Probleme zu reden, mit der Zeit konnten die LotsInnen aber ein Vertrauensverhältnis zu den HeimbewohnerInnen aufbauen. Wenn sich an deren Problemen durch die Beschwerde jedoch nichts änderte, ging das Vertrauen in die LotsInnen schnell wieder verloren.
Dieses Grundproblem bleibt wohl bestehen, denn die Bubs soll die Beschwerden nur aufnehmen, an die zuständige Stelle weiterleiten, die binnen 14 Tagen antworten soll – selber für Abhilfe sorgen kann sie nicht. Rechtlich sei dies nicht möglich, sagt Schulz. Da das LAF Vertragspartner der Betreiber sei, könne auch nur das LAF die Betreiber zur Einhaltung der vereinbarten Qualitätsstandards „zwingen“. In der Bubs solle aber auch ein „Begleitgremium“ mit allen relevanten Akteuren installiert werden, das die Beschwerdeprozesse beobachtet und zur Lösungsfindung unter Nutzung möglicher Handlungsspielräume beiträgt.
Keine Angst vor Sanktionen
Letztlich, so Schulz, stehe und falle der Erfolg der Bubs aber vor allem mit dem Vertrauen, das die Geflüchteten der neuen Stelle entgegenbringen. „Wir hoffen, dass über die muttersprachlichen Lotsen mit der Zeit ein Vertrauensverhältnis entsteht und immer mehr Menschen begreifen, dass Beschwerden keine Sanktionen nach sich ziehen, sondern die Chance auf individuelle Abhilfe beziehungsweise Verbesserung der bestehenden Bedingungen eröffnen.“
Der Flüchtlingsrat zeigt sich allerdings „sehr skeptisch, ob die Beschwerdestelle tatsächlich zu einer realen Verbesserung für die Bewohner*innen von Sammelunterkünften beitragen wird“, wie Georg Classen sagt. „Wir fordern statt einer neutralen Vermittlungsstelle zwischen Bewohner*innen, Betreibern und Behörden eine Anlaufstelle, die parteilich aufseiten der Betroffenen im Sinne eines Empowerments arbeitet, Beschwerden auf Wunsch auch anonym und vertraulich entgegennimmt und die Beseitigung von Missständen auch öffentlich einfordern kann.“
Das mit der Anonymität ist immerhin gewährleistet. Zwar gehe diese Möglichkeit nicht ausdrücklich aus der Ausschreibung hervor, gibt Schulz zu, es sei aber dennoch möglich, sich zu beschweren, ohne seine Identität preiszugeben. „Der/die Beschwerdeführer/in muss lediglich eine valide Kontaktadresse angeben, da er/sie andernfalls vom LAF nicht über das Ergebnis der Beschwerdeprüfung informiert werden kann.“ Eine anonymisierte E-Mail-Adresse wie beschwerde@irgendwas.de tut es also auch.
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