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Putsch oder Theater

Noch ist völlig unklar, was beim Überfall auf den Regierungspalast in Haiti passiert ist. Anhänger von Präsident Aristide brennen Häuser der Opposition nieder

SAN SALVADOR taz ■ Es kam, wie es kommen musste: Nach einem ziemlich undurchsichtigen Putschversuch am frühen Montagmorgen in Haitis Hauptstadt Port-au-Prince zogen am Nachmittag wütende Horden von Anhängern des Präsidenten Jean-Claude Aristide brandschatzend durch die Stadt. Mehrere Büros von Oppositionsparteien und Wohnhäuser von Oppositionspolitikern wurden niedergebrannt. Zwei zufällig anwesende Menschen in einem dieser Häuser wurden gelyncht. Auch ein französisches Kulturzentrum ging in Flammen auf. Kultur- und Kommunikationsminister Guy Paul verurteilte mit Unschuldsmiene die Übergriffe, sagte aber gleichzeitig: „Wenn die Menschen zornig sind, kann man so etwas schwer vermeiden.“ Und Aristide sorgte mit einer Rundfunkansprache am Nachmittag dafür, dass sich die wütenden Menge so schnell nicht beruhigt. „Der Putschversuch ist niedergeschlagen“, sagte er. „Aber es ist noch nicht alles vorbei.“

Im Lauf des Tages kamen Zweifel auf, ob überhaupt ein Putschversuch stattgefunden hat. Präsidentensprecher Jacques Maurice hatte sie selbst gesät. Ohne danach gefragt zu werden, sagte er: „Das ist nicht nur Theater. Das ist tatsächlich ein Putschversuch.“ Die Zweifel verdichteten sich, als jede neue Erklärung eines Regierungsfunktionärs der vorhergehenden widersprach. Nicht mal über den Zeitpunkt des Überfalls ist man sich einig. Die einen sagen, er habe um 2 Uhr nachts stattgefunden, andere sagen, es sei 5 Uhr gewesen.

Unklar ist auch, wie ein kleines Kommando mehrere hundert bewaffnete Wachen überwinden konnte. Sie hätten wild um sich geschossen, heißt es. Dabei seien zwei Polizisten, ein Angreifer und zwei zufällige Passanten getötet worden, sagen die einen. Andere behaupten, der Angreifer sei erst Stunden später erschossen worden, als Sicherheitskräfte den Regierungspalast stürmten.

Selbst über die Identität der angeblichen Putschisten gibt es zwei Versionen. Jean-Baptiste Oriel, Chef der Palastwache, spricht von ehemaligen Mitgliedern der von Aristide 1994 aufgelösten Armee. Regierungsmitglieder sehen dagegen im ehemaligen Polizeichef von Cap Haïtien, Guy Philippe, den Hintermann. Philippe war im vergangenen Jahr abgesetzt worden, weil er angeblich an der Vorbereitung eines Staatsstreichs beteiligt war. Er floh in die Dominikanische Republik. Dort sagte er am Montag: „Das ist alles inszeniert, um die Opposition anzugreifen.“ Auch der Oppositionspolitiker Gérard Gourgue sieht das so. „Ich weiß nicht, was im Nationalpalast passiert ist“, sagte er. „Aber ich weiß, dass dies nun als Vorwand dient, um die Opposition zu massakrieren.“

Seit sich die Lavalas-Partei Aristides im Mai vergangenen Jahres eine 80-prozentige Mehrheit zusammenbetrogen hat, nehmen die Angriffe auf Oppositionspolitiker zu. Die Präsidentschaftswahl im November vergangenen Jahres hatte die Opposition boykottiert und danach Gourgue zum Gegenpräsidenten ausgerufen. Mehrere Dutzend seiner Anhänger wurden seither ermordet. TONI KEPPELER

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