Putin, die Diplomatie und Pazifismus: Wir sind gescheitert
Der Westen war zu naiv. Russland kann noch mit China umrubeln. Und: In Kölns Innenstadt geht an Karneval gar nichts.
t az: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?
Friedrich Küppersbusch: Das Gewissen gegenüber allen, die weniger als 60 Jahre Frieden in Europa erleben durften.
Und was wird besser in dieser?
Wir geben die jüngsten 30 Jahre nicht her. Langfristig nicht.
Vergangene Woche sagten Sie, Putin sei nicht naiv. War der Westen wiederum zu naiv zu glauben, er zieht den Angriffskrieg auf die Ukraine nicht durch?
Der Westen war naiv zu glauben, er könne 13 Nato-Osterweiterungen durchziehen, ohne dass die Russen Einkreisungsparanoia bekommen. Oder dreist. Deutschland hat wegen dieser Psychose mal einen Weltkrieg angefangen. Das russische Regime hat die letzten Zuckungen der Entspannungspolitik – Scholz’ Statement in Moskau – bereits als Teil seiner Täuschungsmanöver benutzt. Nun sind beide – Putin und die Diplomatie – desavouiert.
Die Entspannungspolitik unter anderem deshalb, weil sie nicht stattgefunden hat. Der russische Kriegsfürst ist nicht naiv, er ist auch kein „betrunkener Opa“, wie Nawalny sagt, er ist jetzt einfach der Dämon, als den ihn viele schon immer gesehen haben. Die Ukraine wird nun, nach vielen Toten, ein Marionettenregime bekommen. Die Alternative war, sie bündnisfrei zu stellen und dieses Fiasko zu verhindern. Was ist weniger Autonomie? Wir sind gescheitert. Ich weiß, das kann man feige und zynisch finden. Wer sich angesichts dieses Debakels nicht fragt, ob er Fehler gemacht hat, ist eindeutiger. So wie Putin.
Als Sanktionsmaßnahme haben Deutschland, die EU und westliche Verbündete beschlossen, ausgewählte russische Finanzinstitute aus dem Swift-System auszuschließen. Was darf man sich davon erhoffen?
Deutschland stoppt Nord Stream 2, liefert nun Waffen und unterstützt den Rauswurf aus Swift. Das Zweiprozentziel der Rüstungsausgaben wird fokussiert, deutsche Sonderwege jenseits der Nato enden. Man darf sich kurz fragen, was ein Kanzler Merz anders gemacht hätte. Okay, er hätte sich nicht getraut, auch noch 100 Milliarden Sondervermögen für Rüstung rauszuhauen.
Scholz’ Rede bei der Sondersitzung war die umjubelteste Kapitulation seit Langem. Mit indignierter Pause („Wieso redet der unseren Text?“) schloss sich die Unionsfraktion der stehenden Ovation an. Ein Swift-Rauswurf hat erheblichen Druck auf den Iran ausgeübt 2012; Russland kann nun noch mit China umrubeln und beide sehr langfristig an einem Konkurrenzsystem basteln. Zunächst werden einige russische Banken verschont, daran haben die USA mit ihren Rohölkäufen bei Russland nicht weniger Interesse als die deutschen Gas-Junkies.
Russische Desinformationskampagnen und Cyberangriffe richten sich auch gegen EU-Länder: Was kommt da auf uns zu?
Die russische Seite bestätigt Hackerangriffe auf Seiten von Russia Today, der Duma, des Verteidigungsministeriums und des Kreml. Dazu bekannte sich das Hackerkollektiv Anonymous. Elon Musk aktiviert ein Satellitennetz für die Ukraine. Liest man daraus, ein Trupp Idealisten hinter Pizzakartons oder ein irrlichternder Tycoon richten mehr aus als die Dienste des Westens, darf man ernüchtert feststellen: Man würde jetzt auch schon gern für eine bessere Ausrüstung von BND und MAD demonstrieren. Haha, Falschmeldung.
Etliche Demonstrationen solidarisieren sich deutschlandweit mit der Ukraine. Haben wir jetzt die Friedensbewegung, die von einigen hierzulande vermisst wurde?
An den letzten Ostermärschen nahmen je wenige Hundert Pazifisten teil, dann kam Corona und es wurde marginal virtuell. Trotzdem hält sich bei vielen Helmdenkern hartnäckig die Idee einer machtvollen Friedensbewegung, die auf ihren Pfiff übers jeweils hingehaltene Stöckchen springt. Allmachtsfantasien Poschardt-Style. Mal unter uns: Die logische Mechanik dahinter gäbe es her, dass nun Linke die deutschen Ausländerhasser aufforderten, doch bitte konsequent zu sein und ein paar Russen zu ermorden. Tun wir nicht.
Die Rosenmontagsfeier in Köln wird wegen der aktuellen Lage abgesagt. Trotzdem feiern viele Jecken auf den Straßen. Feiern Sie mit?
Toter sah ich Kölns Innenstadt selten. Ein paar Bollerwagen-Aktivisten verjecken sich spontan mit Warnwesten aus dem Auto; das verwirrt das Ordnungsamt. Die wollen ja auch keine Bauarbeiter oder Unfallhelfer verhaften. Köln hat sich vertuscht.
Und was machen die Borussen?
Sagen Schalke Hilfe zu, wenn die ihren Sponsor Gazprom rausschmeißen. Epochenbruch.
Fragen: Anna Meyer-Oldenburg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Parteiprogramme für die Bundestagswahl
Die Groko ist noch nicht gesetzt
Foltergefängnisse in Syrien
Den Kerker im Kopf