Puten für Biohaltung nicht geeignet: Hochgepäppelt und hochsensibel

Nach dem Bioputen-Skandal fordern Ökobauern den Ausstieg aus der Mast. Denn viele Putenrassen sind überzüchtet - und nicht robust genug für den Bio-Bereich.

Gezüchtet für die konventionelle Massenproduktion: Mastputen bei Cloppenburg. Bild: dpa

Der Ökoschwindel: Nach den jüngsten Erkenntnissen des nordrhein-westfälischen Landesamts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz hat der Biogeflügelunternehmer Franzsander aus Delbrück seit drei Jahren mindestens 3.000 Tonnen konventionelles Futter gekauft. Zunächst waren die staatlichen Kontrolleure von 960 Tonnen allein im Jahr 2008 ausgegangen. Er soll zudem mit konventionellem Fleisch gehandelt haben. Wie viel davon im Bioladen landete, ist noch unklar. Zunächst wurde ihm das Bio-Etikett für seinen Hof entzogen, dann auch für seine Vertriebsfirmen "RoBerts Biogeflügel" und "Bertros Feinkost". Gegen ihn ermittelt die Staatsanwaltschaft Paderborn.

Das Nutztier: 70 Prozent aller Puten, die hierzulande verspeist werden, kommen aus Deutschland. Den konventionellen deutschen Putenfleischmarkt bestimmen Wiesenhof Geflügelkontor GmbH, Heidemark Mästerkreis GmbH & Co. KG und Gebr. Stolle GmbH & Co. KG. Rund 1,24 Euro bekommt der konventionelle Bauer pro Kilo Pute derzeit von einem Schlachtbetrieb. Die Biobauern sagen, sie müssen mindestens

5,50 Euro kassieren, um die Tiere hundertprozentig ökologisch zu halten. Puten sind eigentlich Waldbewohner. Sie wiegen in der Natur gute 10 Kilo, bringen in der Zuchtform bis zu 25 Kilo auf die Waage. 10,9 Millionen Puten zählten die Statistiker im Mai 2007 in deutschen Ställen. Keine 2 Prozent davon werden ökologisch gehalten.

"Bio-Pute" ist ein "Festtagsbraten", texten die Redakteure von Brigitte.de. Der Babykosthersteller Alete rührt "Bio-Pute" in seine "Spaghetti mit feinem Gemüse". "Bio-Pute" hört sich zunächst gut an. Nur: Die Biopute ist nicht gemacht fürs Ökolandleben. Auf den Tisch kommen Puten, deren Namen zwar kraftstrotzende Tiere versprechen. Die gängigen Rassen heißen "Big6", "KellyBronzePremium" oder "T9". Doch sie sind von konventionellen Züchtern geschaffene Tiere, die vor allem auf eines getrimmt wurden - Gewicht machen. Ob sie robust sind, das spielte lange keine Rolle. Den Ökos macht das zu schaffen.

Der nordrhein-westfälische Bauer und Grünen-Politiker Friedrich Ostendorff fordert jetzt: "Wir müssen ehrlich sagen: Es gibt keine Bioputen." Mit "wir" meint er alle Mitglieder von Bioland, dem größten Ökoanbauverband Deutschlands. Anlass: Der Ökoschwindel des Bioland-Unternehmers Berthold Franzsander. Der einst größte Biogeflügelhändler der Republik, dem es nun "aufrichtig leidtut", hat seine Puten in verbotenem Maße mit stinknormalem statt mit ökologischem Futter versorgt. Er hätte sonst die "Tiere verloren", schrieb er jetzt an seine Geschäftspartner. Und: "Viele von Ihnen wissen, dass die Puten, die heute im Biobereich gehalten werden, eigentlich nicht für den Bio-Bereich geeignet sind."

Ostendorff nimmt die Entschuldigung nicht an. Er ist wie viele seiner Kollegen vergrätzt wegen "so viel krimineller Energie". Doch Ostendorff stimmt Franzsander in einem Punkt zu: Puten machen es den Bauern nicht einfach. Auf seinem Hof in Nordrhein-Westfalen hält er nur Schweine und Rinder. "Für mich kamen Puten noch nie infrage", sagt er. Umweltschützer fordern den Ausstieg aus der Putenzucht schon lange. Ostendorff ist allerdings der einzige Biolandwirt, der dafür kämpft - und er macht sich Feinde. Zum Beispiel Bioland-Chef Thomas Dosch. Ihm sieht man die Verärgerung an, wenn er sagt: "Wir brauchen kein Moratorium." Er will das Geschäft nicht anderen überlassen. Ökoverbände wie Naturland oder Demeter verbannen die Puten auch nicht. Ostendorff dagegen sagt: "Wir sollten sauber bleiben, bis es neues Futter und neue Rassen gibt."

Mit gut 10 Prozent Ausschuss in ihren Putenställen rechnen schon konventionelle Bauern. Dabei dürfen sie "Big6" und Co mit Kraftfutter päppeln, das etwa eine Extraportion Vitamine enthält. Für Biobauern ist das eigentlich tabu. "Puten brauchen vor allem in den ersten Wochen viel tierisches Eiweiß", sagt Ute Knierim, Professorin für Nutztierethnologie und Tierhaltung am Fachbereich Ökologische Agrarwissenschaften in Kassel. Also Insekten, Würmer und andere kleine Tiere. Aber Landwirte züchten keine Insekten und Würmer. Das sei auch "nicht so einfach ökologisch und hygienisch" zu machen, meint Knierim.

Bioputen fressen deshalb Ackerbohnen, Erbsen oder Sojabohnen. Auch wenn diese "in ihrer Eiweißzusammensetzung nicht ideal" sind, so Agrarprofessorin Knierim. Außerdem sind sie bitter, und das mögen Puten nicht in Mengen. Mancher Bauer gibt ihnen hart gekochte Eier. Aber das ist aufwendig.

Das Problem ist bekannt. Darum müssen Bauern, die nach der EG-Ökoverordnung arbeiten, zwar ihren Rindern, Ziegen, Pferden 100 Prozent Biofutter in den Trog schütten, ihren Puten aber nicht. Für sie, aber auch für Hühner oder Schweine, dürfen derzeit 10 Prozent des Futters konventionell sein. Das gilt auch bei Bauern, die sich im Ökoverband Naturland zusammengetan haben. Andere sind strenger: Wer den Bioland-Stempel haben will, braucht eine Ausnahmegenehmigung, und er darf auch nur Maiskleber und Kartoffeleiweiß aus konventionellem Anbau füttern. Demeter regelt das ähnlich. Grund für die Ausnahmen: "Big6" oder "T9" sind der Natur nicht mehr gewachsen.

"Die Pute ist besonders überzüchtet", sagt Martin Hofstetter, der seit Langem für Greenpeace die Landwirtschaft beobachtet. Da kämen selbst das Turbohähnchen, das Riesenschinkenschwein und die Hochleistungskuh nicht mit. Die Pute sei das beste Beispiel für den Schwund genetischer Vielfalt im Stall. Die Züchter selektierten nach wenigen Leistungsmerkmalen. Puten müssen schnell wachsen, kein Fett ansetzen, viel Muskelfleisch bringen. 1991 machte die Putenbrust noch 14 Prozent des Körpergewichts eines Tieres aus. Heute sind es fast 30 Prozent.

Die Agrarindustrie entdeckte die Putenmast spät, aber gründlich - mit strikter Arbeitsteilung: Weltweit beherrschen die drei Zuchtfirmen Aviagen und Willmar Poultry Company aus den USA sowie Hendrix Genetics (Niederlande) den Markt. Sie hielten die "äußerst wertvollen" Tiere "weitab von den Zentren der Mast, um sie vor Seuchen zu schützen", erklärt Hans-Wilhelm Windhorst. Der Professor beschäftigt sich an der Universität Vechta mit Agrarstrukturen. Ihre Eier lieferten sie an ein "Vermehrungsunternehmen". Diese schicken ihre Eier zu "Brütereien". Und erst diese verkaufen Küken an die Landwirte.

Anders als Belgien, Frankreich oder Großbritannien ist Deutschland kein traditionelles Putenland. Anfang der 80er-Jahre servierte man eher Huhn als Pute. Dann kamen Dioxin-Hühner, Hormonkälber, BSE-Rinder - und plötzlich flogen alle auf die Pute. Fortan gab es nichts, was sich nicht aus dem weitgehend geschmacklosen Fleisch herstellen ließ - Aufschnitt, Frikadellen, Rouladen, Fertiggerichte. Und zwar alles höchst mager und preiswert, versicherten die Erzeuger. Die Pute machte Karriere, obwohl die Mast bald in Verruf geriet, wegen Einsatz von Antibiotika und Verstößen gegen den Tierschutz. Anfang der 80er aß jeder Westdeutsche 1,6 Kilo Pute im Jahr, heute sind es 6,1 Kilo.

Die Erde verliert nach Angaben der Welternährungsorganisation FAO jede Woche zwei Nutztierrassen. Bei den Kühen zum Beispiel ist der Siegeszug der schwarz-weißen Allerweltsrasse Holstein Friesian nicht aufzuhalten. Gourmets tischen aber längst das Boef de Hohenlohe oder das Bunte Bentheimer Landschwein auf. Und kein Putenfleisch. Denn Puten sind Massenware.

Immer mehr Bauern halten die alten Rinderrassen wie das Boef de Hohenlohe oder einst vergessene Schweinerassen wie das Schwäbisch-Hällische auf ihren Höfen. Das Geschäft lohnt sich, weil das Fleisch einen Namen hat und die Kunden dafür zahlen. Dahinter steckt eine kluge Vermarktung - mit Geschmack und Nostalgiebonus. "Davon sind wir bei den Puten weit entfernt", sagt Jürgen Güntherschulze von der Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen.

Der Biologe ist einer der wenigen Putenexperten in Deutschland. Hierzulande gebe es nicht viel mehr als die zwei alten Wirtschaftsrassen "Bronze-Pute" und "Cröllwitzer-Pute". Genauer: 800 "Bronze-Puten" und 960 "Cröllwitzer Puten" auf kleinen Bauernhöfen - oder bei ihm in der Mecklenburgischen Schweiz, wo er den Haustierpark Lelkendorf gegründet hat. Sie fliegen abends in die Bäume, legen jedes Jahr Eier. Ihre Küken verstecken sie in den Brennnesseln, bis sie etwas größer geworden sind. Sie seien "das Gegenteil von dem, was die Lebensmittelwirtschaft liebt", sagt Güntherschulze. Zu wenig Gewicht, zu langsam im Wachstum. Den gewünschten Ertrag bringen sie nicht.

Auch Biobauern müssen ihren Unterhalt verdienen, sie können sich die Idylle mit Cröllwitzer Puten nicht leisten. Sie gönnen ihren Tieren schon mehr Luxus als ein konventioneller Bauer: Puten hacken aufeinander ein, wenn es ihnen zu eng ist. Herkömmliche Geflügelhalter zwicken ihren Tieren darum den Schnabel ab. Biobauern geben ihnen lieber mehr Platz. Doch "wer einen Bioaufschlag über 30 Prozent fordert, ist schnell raus aus dem Geschäft", meint die Agrarexpertin des Umweltverbandes BUND, Reinhild Benning. Der Preis für konventionelle Puten liegt derzeit gerade mal bei 1,24 Euro - pro Kilo.

Immerhin könnten in der Bronze-Pute und der Cröllwitzer Pute wertvolle Begabungen stecken - für neue robuste und zugleich fleischige Ökorassen. Zu züchten, das sei für seine Branche jedoch zu langwierig und zu teuer, meint Bioland-Chef Dosch. Ein Betrieb versuche derzeit eine neue Biohühnerrasse zu züchten: "Das hat in den letzten sieben Jahren schon 500.000 Euro gekostet. Und das Projekt ist noch nicht beendet." Staatliche Unterstützung erwartet er nicht. Das CSU-geführte Bundesagrarministerium hat im Förderprogramm Ökologischer Landbau dafür kein Geld eingeplant.

Für Umweltschützer Martin Hofstetter ist klar: "Egal ob bio oder konventionell: Puten sind einfach hochgepäppelte Fleischklöpse. Am besten, Sie essen sie gar nicht." Geht es nach ihm, müssen Kochrezepte neu geschrieben werden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.