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Gekommen, um zu bleiben

Zum dritten Mal campieren Punks aus ganz Deutschland auf Sylt. Für die einen sind sie ein Ärgernis, für die anderen gehören sie längst zu den Sehenswürdigkeiten der Insel

Irgendwo zwischen Demo und Urlaub: Punks denken über dauerhafte Sylt-Camps in der Zukunft nach Foto: Steve Braun

Von Sylt Esther Geißlinger

Die sechsköpfige Gruppe fällt auf in der Fußgängerzone von Westerland: schwarze Kleidung, zerrissene Hosen, Shirts mit Aufdrucken. Die Sechs schlendern vorbei an Lokalen, in denen Ur­lau­be­r:in­nen vor Eisbechern oder Biergläsern sitzen, an Läden mit bunter Kleidung und lassen sich schließlich vor der Auslage eines Juweliers nieder. „Guck, Punks“, sagt ein Vater zu seinem Sohn. Es klingt wie „guck, Möwen“. Als sei der Vater froh, einen Tagesordnungspunkt des Reise-Erwartungs-Katalogs abgearbeitet zu haben.

Im dritten Jahr in Folge campieren Punks aus ganz Deutschlands auf Sylt. 2022, im Sommer des Neun-Euro-Tickets, kamen sie spontan als Reaktion auf die Befürchtungen, unerwünschte Gäste könnten die Insel überschwemmen. Damals entstanden wilde Camps mitten in der Stadt. Die rund 100 Angereisten errichteten Zelte vor dem Rathaus. Eine Telefonzelle wurde zum Klo umfunktioniert, ein Brunnen zur Badeanstalt. Im zweiten Jahr standen die Zelte außerhalb des Ortskerns auf einer Wiese voller Maulwurfslöcher. Im dritten Jahr hat das Organisationsteam frühzeitig die Festwiese im Ortsteil Tinnum beantragt, einen guten Spaziergang vom Westerländer Bahnhof entfernt.

Die Punks vor dem Juweliergeschäft in der Fußgängerzone halten Stöcke hoch, an denen Konservendosen baumeln. Ein paar Münzen liegen schon drin. Aktiv um Geld bitten dürften sie nicht, sagt einer von ihnen. Die Spendenbereitschaft sei „mal so, mal so“. Einige Leute würden sie bepöbeln, „verpisst euch“, habe einer mal gesagt. Andere fänden die Aktion aber gut.

„Mal so, mal so“ – das sagt auch eine Kassiererin im Supermarkt, der der Festwiese am nächsten liegt, über die Camp-Bewohner:innen. Die kommen täglich in den Laden, oft mit Einkaufswagen voller Leergut, dessen Erlös gleich wieder in Essen und Getränke umgesetzt wird.

Auf der mit Gras bewachsenen Festwiese selbst stehen Dutzende Zelte, dazwischen einige Konstruktionen aus Planen. Darunter verstecken sich die Gemeinschaftsbereiche, die Küche, das Vorratslager, die Bühne. Jenseits eines asphaltierten Wegs reihen sich mehrere Dixi-Klos auf.

Marvin Bederke, einer der Sprecher des Camps, sitzt auf einer Decke im Gras, zusammen mit einigen Mitgliedern des Organisationsteams. Im Vorjahr nahmen fast alle Camp-Bewohner:innen an diesen Plenums-Runden teil. Aber das habe viele genervt und sei auch nicht sehr effektiv gewesen, berichtet Bederke, daher tagen nun kleinere Gruppen. Der 24-Jährige war mit dem gleichaltrigen Jonas Hötger bereits im Vorjahr als Hauptorganisator dabei, hat also bereits Routine.

Dinge, die damals zu Problemen führten, vermeiden sie: So wird es zum Beispiel keine spontane Verlängerung des Camps über den August hinaus geben, weil im Vorjahr viele Be­woh­ner:in­nen kurz vor dem Ende abfuhren und eine kleine Gruppe allein mit dem Rückbau dastand.

Insgesamt ist Bederke mit dem Verlauf der Aktion zufrieden: Die Zahl der Teilnehmenden sei mit rund 180 Personen in der Spitze höher als im Vorjahr, und der neue Platz mit Wasser- und Stromanschluss erlaube, größere Aktionen wie Konzerte zu machen. „Wir werden professioneller“, sagt der angehende Jura-Student aus Frankfurt. Das liege auch daran, dass das Organisationsteam ganzjährig weiter getagt und das nächste Camp geplant hat, teils online, teils bei Treffen, „mit Tagesordnung und Kleingruppenarbeit, sehr produktiv“.

Ihn ärgert die Haltung einiger Syl­te­r:in­nen dem Camp gegenüber: „Auf Social Media werden wir beschimpft, weil wir keine Kurtaxe bezahlen und angeblich auf anderer Leute Kosten Urlaub machen. Aber wir bezahlen natürlich.“ Nur eben keine Kurtaxe: Die Stadtwerke rechnen Wasser und Stromverbrauch ab, die Müllabfuhr stellt einen Container – „richtig teuer“, sagt Bederke.

„Wir werden beschimpft, weil wir angeblich auf anderer Leute Kosten Urlaub machen. Aber wir bezahlen natürlich“

Marvin Bederke, Sprecher des Camps

Mehrere Tausend Euro kostet das Camp, das Geld bringen die Beteiligten durch eigene Mittel oder Spenden per Crowdfunding auf, Motto: „Lieber reiche Punks als reiche Nazis auf Sylt.“ Es gebe durchaus Unterstützung, auch von Insulaner:innen, die die politischen Ziele der Aktion gut fänden, sagt der Organisator. Die Punks protestieren gegen die hohen Immobilienpreise auf der Insel und gegen den Versuch, die Insel gegen unerwünschte Gruppen abzuschirmen.

Und die Kurtaxe? „Wie kann man Eintritt für eine Insel nehmen?“, fragt Bederke, der sich vorstellen kann, eines Tages juristisch dagegen vorzugehen. Im Vorjahr erhielten die Organisatoren die Auflage, Meldebögen an die Cam­pe­r:in­nen zu verteilen, um dann Kurtaxe einziehen zu können. Die Punks weigerten sich, schließlich hat der Kreis Nordfriesland die Aktion als Dauer-Demonstration anerkannt. „Die Teilnehmenden einer Demo zu erfassen, geht gar nicht“, sagt Bederke. „In diesem Jahr hat die Gemeinde es gar nicht versucht.“ Generell sei der Kontakt zu den Behörden gut. Wie aufs Stichwort rollt ein Polizeiwagen langsam vorbei. Marvin Bederke schaut nicht einmal auf – solche Fahrtenfinden mehrmals täglich statt.

Aus Sicht der Polizei ist die Lage „überwiegend friedlich“, sagte der Sprecher der Polizeidirektion in Flensburg den lokalen Sylter Nachrichten. Einsätze „im mittleren zweistelligen Bereich“ habe es wegen „Ruhestörungen und aggressivem Betteln“ gegeben. Florian Korte, Sprecher der Gemeinde Sylt, sprach gegenüber der Lokalzeitung von „einem gewissen Unmut in Teilen der Bevölkerung“ über die dritte Auflage des Punkertreffens. Das bestätigt eine Sylterin, die auf dem Platz vor dem Rathaus Unicef-Postkarten verkauft. Bisher seien die Punks zwar „recht friedlich“, aber die Schnorrer-Grüppchen in der Fußgängerzone fände sie dennoch nicht gut.

Am Rathaus hatte die Gemeinde im Vorjahr beleuchtete Figuren aus Draht aufstellen lassen, damit dort keine Zelte gebaut werden konnten – eine Aktion, über die die ganze Insel lachte. Die Figuren sind verschwunden, aber die Probleme der Insel sind dieselben geblieben: Immer noch fehlt ein Radwegekonzept. Der Kreis will gegen illegale Ferienwohnungen vorgehen, das macht vielen In­su­la­ne­r:in­nen Sorgen. Und dann ist da noch der Streit um den Bürgermeister der Gemeinde Sylt, diesem Kunstgebilde aus sieben Dörfern, darunter Westerland, Tinnum und Keitum. Gegen den parteilosen Nikolas Häckel läuft ein Abwahlverfahren, im September soll es eine Neuwahl geben.

Mobile Subkultur: Aus ganz Deutschland reisen Punks nach Sylt Foto: Foto:Steve Braun

Häckel ist seit Monaten krankgeschrieben. Er habe sich „bei meinem Einsatz für die Gemeinde zu sehr vernachlässigt“, nun arbeite er sich aus einem Burn-out heraus, schreibt er auf seiner Homepage. Sein Anwalt hält es für einen Skandal, einen Kranken aus dem Amt zu drängen. Doch eine Reihe von Inselgemeinden verweist darauf, dass Häckel seine Aufgaben nicht erledigt habe: „Wir und unsere Bürger bezahlen für Leistungen, die wir nicht oder nur unzureichend erhalten“, heißt es in einer Mitteilung der kleineren Sylter Orte, die vom Westerländer Rathaus mitverwaltet werden. Weil dort die Arbeit stocke, „kommt der Wohnungsbau für Insulaner nur schleppend voran, unsere Straßen können nicht erneuert werden, der Ausbau der Radwege stagniert, und in Hörnum verfällt der Hafen zunehmend. Eine Wohnanlage für Senioren konnte nicht umgesetzt werden“.

Zudem, so berichtet der NDR, werde Häckel unter der Hand das schlechte Krisenmanagement im Umgang mit dem ersten Punker-Camp vor drei Jahren angelastet.

Egal, wer künftig die Verwaltung der Inselhauptstadt leitet, er oder sie wird sich weiterhin mit den Punks auseinandersetzen müssen. Denn sie sind gekommen, um zu bleiben. Camp-Sprecher Marvin Bederke und die anderen des Kern-Teams wollen einen Verein gründen, der die „Aktion Sylt“ dauerhaft trägt. Geplant sind weitere Sommer-Camps und vielleicht eines Tages ein ganzjähriger Treffpunkt – Punks forever auf der Insel der Schönen und Reichen.

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