piwik no script img

PunkBehaarte, gefangen im Gehölz

Auf ihrem dritten Album versammeln die Hamburger Kommando Sonne-nmilch alte Hafenstraßen-Größen. Und behandeln Punk als klassische, ernste Musik.

Das Kommando Sonne-nmilch, versteckt hinter der niemals eingelösten Funpunk-Oberfläche Bild: buback

Was für ein Bandname mal wieder: Kommando Sonne-nmilch, mit dem Bindestrich dezidiert da, wo er nicht hingehört. Bandnamen sind traditionell eine der Stärken des Hamburger Punk-Originals Jens Rachut aka Jensen. Seit Mitte der 80er musikalisch aktiv, hat er seinen bisherigen Projekten stets wundervolle Titel mitgegeben. Chronologisch geordnet waren das: Angeschissen, Blumen am Arsch der Hölle, Dackelblut, Oma Hans. Letztere gaben vor gut zwei Jahren ihr Abschiedskonzert.

Das Kommando Sonne-nmilch war dagegen zunächst als Rachuts nebenher laufendes, well, Elektronik-Projekt angelegt. Ende der 90er hatte so was eigentlich jeder. Auf dem ersten Kommando-Album musizierte er mit dem Berliner Brezel Göring - bekanntlich ein szenebeliebter Kollaborateur mit respektabler Vergangenheit, auch wenn seine Stammband Stereo Total ganz enorm nervt.

Schon auf der Nachfolger-LP "Der Specht baut keine Häuser mehr" von 2003 war von Göring keine Spur mehr und an seiner statt eine versatile Allstar-Combo aus Hamburger Schule und alten Hafenstraßen-Punks angetreten, die - etwas zusammengeschrumpft - auch auf dem neuen Album zuständig ist: "Stephan, Jensen, Andreas, Ronny, Yvon", wie es im Beiheft so schön heißt. Dahinter verbergen sich recht unterschiedliche Biografien: Stephan Mahler hat schon bei Slime und Angeschissen getrommelt, Gitarrist Andreas Ness war bei fast allen Rachut-Bands dabei. Die anderen sind SchauspielerInnen, SzenegängerInnen oder lungerten gerade am Proberaum rum.

"Jamaica" ist das dritte Album des Kommandos. Ob der Titel irgendeine Bedeutung hat, soll uns jetzt mal egal sein: Die Platte klingt weder nach Reggae noch nach seltsamen Koalitionen. Sie ist im Gegenteil Abkehr von allen vorangegangenen Experimenten und Rückkehr zu einem Punk-Klassizismus reinsten Wassers. Mit "Jamaica" nimmt Rachut den Faden von Oma Hans und den Vorgängern wieder auf: Er behandelt Punk als Klassik, als ernste Musik.

Jensen wird dieses Jahr 50; im Sex-Pistols-Jahr 1977 war er folglich 20. Als Musiker ein Spätberufener, dann aber ein kontinuierlicher Weitermacher. Sein Modell von "mit Punk erwachsen werden" kommt auf "Jamaica" allerdings ganz ohne Geräuschabstraktion und andere bewährte Jugendkultur-goes-Avantgarde-Moves aus. Und natürlich auch ohne pubertäre Pop-Punk-Peinlichkeiten, denn anders als die Bandnamen vermuten lassen, geht es Rachut nicht vorrangig um Witzigkeit. Diese selten gewordene goldene Mitte zwischen den Post-Punk-Fraktionen mit aller gebotenen Ernsthaftigkeit zu vertreten, als hätte es nie eine Spaltung gegeben - das ist die anrührende Qualität, die seine Musik ausmacht.

Wie das klingt: körnige Gitarrenriffs à la Crazy Horse, hektische Rhythmusgruppe, schlichte Songstrukturen, harmonisch meist in Moll. Ob man als grobe musikalische Koordinaten eher Post-Hardcore-/Indie-Faves wie Fugazi und Hüsker Dü oder liebenswürdige Traditions-Asis wie Social Distortion durchhört, ist letztlich egal. Markant ist Jensens seltsam kehlige Stimme, hie und da unterstützt durch hardcoretypische Backgroundchöre: Das gute "Wir" gegen das schlechte "Ihr" da draußen.

Frisch sind Rachuts Texte, die sich formal zwischen Kryptizismus und um so befremdlicher wirkender Überklarheit bewegen, inhaltlich zwischen allgemeinem Weltekel, brüsk abgebrochenem Intimitätsterror und gutem Entertainment. Im Opener "Die Holzfäller" scheint er seinen Szenestatus als Urviech zu thematisieren, spaßig auf die Bandkollegen projiziert: "Die sind kräftig, manchmal feige / Und haben kein Verstand / Sägen weg die Wälder / Und kriegen fast kein Geld / Wir üben in ihrer Hütte / Und gehen zusammen ins Bett / Hier war noch nie ne Frau / Behaart wie Humanoiden / Sie lassen mich nicht weg / Ich heiß Jensen und bin Gefangener im Gehölz."

"Schwan" kommt wie ein Pseudoliebeslied mit präventiver Frustrationserwartung daher, während "Der Beukelark" Häme, Verbitterung und Vereinsamung abfeiert - als Seelenstriptease, böse Satire auf alte Männer oder ironische Selbstverarsche, man weiß es nicht.

Eine zeitlose Verknüpfung von Jungmännerwut und Seniorenzipperlein gelingt Rachut in "Das Verhör": "Herr Doktor, ich weiß auch nicht / Es ist ne Art Belag / Erschwert mein ganzes Leben / Die Nerven liegen blank / Der Mensch an sich - der macht mir richtig Angst / Ihre Gesten, ihre Sprache / Die Ziele, für die sie stehen / Erklärn Sies mir - Sonst verlier ich den Verstand."

Bevor das aber passiert, schiebt Rachut sicher noch ein paar Bandgründungen vor. Denn auf diese Art kann er sich das Meiste sowieso selbst erklären.

Kommando Sonne-nmilch: "Jamaica" (Buback)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!