Puigdemont zu seinem Immunitätsentzug: „Politisch ist es weitreichend“
Der Entzug seiner Immunität zeige, dass das EU-Parlament zu sehr unter dem Einfluss der Nationalstaaten stehe, sagt Kataloniens Ex-Präsident Puigdemont.
taz: Herr Puigdemont, das Europaparlament hat am Mittwoch Ihre Immunität und die zweier weiterer katalanischer Politiker aufgehoben. Was bedeutet das für Sie?
Carles Puigdemont: Für mich persönlich ist das keine neue Situation. Es wird das dritte Mal sein, dass ein Richter darüber entscheiden muss, ob ich ausgeliefert werde oder nicht. Politisch gesehen jedoch ist es sehr weitreichend. Es ist etwas geschehen, was nie hätte geschehen dürfen. Das Parlament hat ganz klar die Tür für die Verfolgung des politischen Dissidenten, des Unbequemen geöffnet. Wir werden fortan mehr Schwierigkeiten haben als der Rest unserer Kollegen, uns frei auszudrücken..
Aber wie erklären Sie sich, dass eine Mehrheit der Abgeordneten Spaniens Justiz folgt? Die wirft Ihnen im Zusammenhang mit dem verbotenen Unabhängigkeitsreferendum 2017 einen Aufstand vor, während die Richter in Deutschland, Belgien oder Schottland dies für eine Auslieferung zuletzt nicht gegeben sahen?
Es stimmt, dass eine Mehrheit für die Aufhebung unserer Immunität gestimmt hat. Aber eine sehr solide, sehr starke Minderheit war dagegen. Das passiert normalerweise nie bei einen Antrag zur Aufhebung der Immunität. Ein Teil derer, die dafür gestimmt haben, sagen, dass sie damit nicht über unsere Schuld abgestimmt hätten. Sie glauben, dass es nicht Aufgabe des Europaparlaments ist, die Vorwürfe zu analysieren. So wie nicht alle, die gegen die Aufhebung stimmten, unser politisches Anliegen unterstützen, halten uns nicht alle, die dafür stimmten, des Aufstandes für schuldig. Es gab einen starken Druck der spanischen Delegationen in den drei großen Gruppen, den Sozialdemokraten, den Konservativen und den Liberalen, der verhindert hat, dass die Abgeordneten ihrem Gewissen folgten. Die Abstimmung hat gezeigt, dass das Europaparlament viel zu stark unter dem Einfluss der Nationalstaaten steht.
58, wurde 2016 zum Chef der katalanischen Regionalregierung gewählt. Der Unabhängigkeitsbefürworter hatte sich nach dem von Madrid unterbundenen Referendum im Oktober 2017 nach Belgien abgesetzt, um der Strafverfolgung zu entgehen.
Die spanische Außenministerin Arancha González Laya sprach nach der Abstimmung von Dialog. Sind Sie dazu bereit?
Zuerst einmal ist es ein Widerspruch in sich, dass ausgerechnet die Außenministerin Stellung zu einem Fall nimmt, von dem Spanien behauptet, dass es sich um eine interne Angelegenheit handelt, in die sich niemand einmischen dürfe. Und es ist schon etwas zynisch, dass sie uns Dialog anbietet, nachdem ihre Sozialisten in einer Abstimmung eine Schlüsselstellung einnahmen, mit deren Hilfe diese unbequemen, katalanischen Dissidenten ins Gefängnis gebracht werden sollen. Entweder bist du für einen Dialog oder für Haft.
Sie haben angegeben, nach Brüssel gegangen zu sein, um den Katalonienkonflikt zu internationalisieren. Wie beurteilen Sie diese Entscheidung heute?
Bei den Katalonienwahlen vor drei Wochen wurden so viele Abgeordneten der Unabhängigkeitsparteien gewählt wie nie zuvor. Das heißt, alles, was wir getan haben, im Land und außerhalb, war für etwas gut. Und mit der Abstimmung über unsere Immunität ist etwas passiert, was es so noch nicht gab. 705 Europaabgeordnete haben abgestimmt und sich davor sachkundig gemacht. Wir haben also erreicht, was wir am Anfang unseres Exils angekündigt haben, das Thema Katalonien auf die europäische Agenda zu bringen. Unser vielschichtige Konflikt ist heute bekannter denn je. Immer mehr Menschen sind davon überzeugt, dass es besser ist, Politik zu machen, statt die Strafjustiz zu benutzen.
Glauben Sie, dass Sie in den nächsten Jahren nach Katalonien zurück können?
Ich war in Katalonien …
Ich rede nicht vom französischen Teil, ich rede von Ihrer Heimat, Amer in der Provinz Girona.
Das ist mein Traum – Freiheit für Katalonien und uns Unabhängigkeitspolitiker. Daran arbeiten wir. Deshalb sind wir in Brüssel und nicht wie der ehemalige spanischen König in einem Land, von dem aus er nicht ausgeliefert werden kann. (Anm. d. Red.: Der in der Schweiz von Justizermittlungen bedrängte Juan Carlos lebt seit 6 Monaten im Wüstenemirat Abu Dhabi.)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
NGO über den Machtwechsel in Syrien
„Wir wissen nicht, was nach dem Diktator kommt“
Sturz des Syrien-Regimes
Dank an Netanjahu?
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Unionsgetriebene Rückführungsdebatten
Paragraf 218 im Rechtsausschuss
CDU gegen Selbstbestimmung von Frauen
Schwarz-Grün als Option nach der Wahl
Söder, sei still!
Abschiebungen syrischer Geflüchteter
Autokorsos und Abschiebefantasien