Public Viewing in Berlin: Tiefenentspannt trinken
Paella, Sandwiches, Bier - nebenbei gewinnt Spanien gegen Frankreich: zu Gast im Café Colectivo in Friedrichhain.
Eine gute halbe Stunde vor dem Anstoß hängen die meisten draußen rum und rauchen. Man diskutiert sachlich über die Aufstellung: Sollte Fàbregas nicht von Beginn an spielen? Aber sicher! ¡claro que sí! Drinnen, im Café Colectivo, reihen sich dann auch gleich Iniesta- und Fàbregas-Trikots nebeneinander auf dem Sofa vor der Großbildleinwand. Auch hier sieht man dem Match sehr gelassen entgegen. Alle sind „tiefenentspannt“, wie es im neudortmunder Fußballdeutsch heißen würde. So richtig fängt für die Spanier ein Turnier wohl erst im Halbfinale an.
Niemand erwartet etwas anderes als einen Sieg in der kleinen spanischen Kneipe nahe des Boxhagener Platzes. Hier wird das ganze Jahr über spanischer Fußball gezeigt – das Lokal in Friedrichshain ist einer der besten Orte, um den besten Fußball der Welt zu sehen. Mit spanischen Sandwiches, Paella und Bier vor sich zweifelt vor dem EM-Viertelfinale am Samstag gegen Frankreich niemand am Erfolg. „Wir werden gewinnen“, ist sich Jaume sicher, der gerade seinen Urlaub in Berlin verbringt. „Klar ist Frankreich nicht schlecht, aber?“ Dieses „aber“ wird man noch oft hören.
Mittlerweile laufen die ersten Spielminuten, ein rot-gelber Schal wird zur Rechten der Leinwand in die Höhe gehievt. Spanien-Trikot drängt sich an Spanien-Trikot, der Raum errötet immer mehr. Auf dem Spielfeld im ukrainischen Donezk läuft derweil alles nach Plan: Die „selección“, wie sie hier heißt, dominiert. „Natürlich gewinnt Spanien“, sagt auch die Berlinerin Sabine, die mit ihrem spanischen Mann hier ist. Sie hat eine Kette in spanischen Landesfarben um den Hals. Ihr Mann setzt sich dazu, er trägt ein rot-gelbes Trikot mit der Nummer 7. Beide hoffen auf ein Endspiel Deutschland gegen Spanien. „Dann würde ich aber die andere Kette umtun“, sagt Sabine.
Nach knapp 20 Minuten ist der Jubel groß: Spanien schießt, besser: köpft das 1:0. Xabi Alonso ist der Torschütze. In der Kneipe springen alle einmal auf, kurzes Kreischen. Fàbregas und Iniesta liegen sich in den Armen, sowohl die echten auf der Leinwand als auch diese hier auf dem Sofa. Nun ist auch der letzte Zweifel darüber beseitigt, wer hier heute Abend als Sieger den Platz – und die Kneipe – verlassen wird.
„Es wird trotzdem noch ein schwieriges Spiel heute“, sagt Jordi, der das Café Colectivo betreibt, „mit Frankreich musst du immer rechnen, aber?“ Eben. Auch Jordi versucht zu betonen, dass noch nichts gewonnen ist. Während das Spiel aber nun vor sich hin plätschert, reden einige hier schon vom Halbfinale gegen Portugal – oder auch vom Finale.
„Fußball war für unser Lokal von Anfang an wichtig“, sagt Jordi, während er ein weiteres Bier zapft, „klar, bei den Spanien-Spielen kommen sie alle.“ Aber auch bei Barcelona- und Madrid-Spielen sei „die Hölle los“, sagt der 25-jährige Kneipier. Seit einem Jahr betreibt er das spartanisch eingerichtete Lokal. Jeder Fan des Rasensports dürfte seine Freude daran haben, hier ein Champions-League-Spiel eines spanischen Teams zu verfolgen oder den „clásico“, also das Spiel Barcelona gegen Madrid. Bisweilen erlebt man es dann, dass die Leute von draußen an den Fensterscheiben kleben. Vielleicht bekommt man dann einen besseren Eindruck vom spanischen Fußball und von der Gespaltenheit des Landes. Bei den Turnieren gewinnt Spanien ja sowieso.
Oder? Nun ja, die Franzosen geben diesmal wenig Anlass zur Sorge. Die rot-weiß Gekleideten vor der Leinwand können sich in aller Ruhe betrinken.
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