Psychologie des aggressiven Flirtens: „Alles blöde Schlampen“
Wer so denkt, hat weniger Angst vor einer Abfuhr, sagt Psychologe Andreas Baranowski. Sexuelle Übergriffe seien bei Pickup Artists trotzdem selten.
taz: Herr Baranowski, weltweit rufen Kritiker der sogenannten Pickup Artists, die mit ihren Verführungskünsten angeben, zu Boykott und Strafverfolgung auf. Können Sie das nachvollziehen?
Andreas Baranowski: Das ist ziemlich hysterisch. Von dem Feld geht wenig Gefahr aus. Aufrufe zu Straftaten müssen natürlich verfolgt werden. Aber das sind absolute Ausnahmen. Wir haben immerhin Meinungsfreiheit, da sollte man flirten unterrichten dürfen.
Nun hat Pickup Artist Julien Blanc propagiert, sich Frauen einfach „zu greifen“. Ein anderer Trainer hat mit einer Vergewaltigung angegeben.
Die Strategie: Die selbst ernannten Verführungskünstler rühmen sich, möglichst viele Frauen aufzureißen, angeblich auch mit Methoden wie Hypnose. Es gibt Seminare, Videos und Bücher.
Die Kritik: Nachdem Pickup Artist Julien Blanc von der Firma Real Social Dynamics (RSD) zu Gewalt gegen Frauen aufrief und ein Kollege mit einer Vergewaltigung prahlte, formierte sich weltweiter Protest auf Twitter unter //twitter.com/search?q=%23takedownrsd&src=typd:#takedownrsd und //twitter.com/search?q=%23takedownjulienblanc&src=typd:#takedownjulienblanc und per Petitionen.
Das Ergebnis: Hotels cancelten Seminare, Australien entzog Blanc das Visum. Er hat die Hälfte seiner Seminare in Europa abgesagt.
Es gibt sicher ein Problem mit Grenzen in dieser Szene. Das äußert sich schon in der Sprache der Pickup Artists. Da werden Frauen systematisch zu Objekten degradiert. Und das erklärte Ziel ist, ein Nein in ein Ja zu verwandeln. Da läuten natürlich bei allen, die sich mit Übergriffen beschäftigen, die Alarmglocken. Aber wirklich übergriffig handeln: das ist die Ausnahme.
Den Kopf von Frauen einfach in seinen Schritt zu ziehen, das ist also nicht übergriffig?
Das war eine absurde Szene, mit der Blanc Aufmerksamkeit erregen wollte. Es gibt eine harte Konkurrenz unter diesen Trainern. So etwas gehört nicht zum normalen Repertoire eines Pickup Artist. Und es war natürlich auch spielerisch gemeint. Spielerisch mal Grenzen dehnen, das gehört durchaus dazu.
Das instrumentelle Verhältnis zu Frauen begünstigt Gewalt, oder?
Ja. Wenn Menschen nicht mehr als vollwertige Menschen wahrgenommen werden, dann macht man sie zum Objekt, und gegen ein Objekt lässt sich leichter Gewalt ausüben.
Es ist schwer vorstellbar, dass man mit solchen Methoden Frauen rumkriegen kann. Ist das überhaupt erfolgreich?
Es gibt Frauen, die auf so ein archaisches Geschlechterbild stehen. Oft wird so eine Art populärwissenschaftliche Evolutionspsychologie gepredigt: Es gibt einen biologischen und psychologischen Unterschied zwischen den Geschlechtern, und wenn man sich auf eine bestimmte Art verhält, erreicht man bei Frauen immer dieses und jenes. Tief drinnen wollen Frauen dominiert werden, ist so ein Glaubenssatz. Und es gibt Frauen, die das genauso sehen. Bei denen kann so etwas auch funktionieren.
Woher kommt denn diese Aggression und diese Abwertung von Frauen?
Die Psychoanalytiker, die diese Coaches analysiert haben, haben ihnen häufig eine narzisstische Persönlichkeitsstörung attestiert. Das geht oft mit frühkindlichen Kränkungen einher. Und wenn Sie die Lebensläufe dieser Leute lesen: Das waren früher Nerds, die keine Frau abkriegten, sondern immer wieder in der friend zone gelandet sind – so beschreiben sie es jedenfalls. Und die funktionieren nun über Selbstaufwertung, indem sie andere abwerten.
Die Pickup-Szene saugt diese Typen auf und heilt sie, so die These von Pickup-Guru Neil Strauss, und bewahrt uns so vor einer Menge Amokläufern und anderen Gewalttätern.
So hat die Szene mal angefangen. Es waren frustrierte Männer, die mit dieser Form der Selbsterfahrung auch die gesellschaftlichen Normen des Flirtens aufbrechen wollten. Das war ja einmal revolutionär. Es hat sich dann aber leider stark in eine konservative Richtung entwickelt, indem Normen nun einfach funktionalisiert werden, weil damit Geld gemacht werden soll.
Was war da revolutionär?
Wer wen wann ansprechen darf, das war stark normiert. Daraus sind sie ausgebrochen: Du darfst jede Frau überall und jederzeit ansprechen und mit ihr Sex haben wollen. Generell ist es ja gut, die Angst vor dem Ansprechen überwinden zu lernen, dafür sind die Kurse durchaus sinnvoll.
Aber nun predigen die Pickup Artists die Dominanz des Mannes. Warum?
Das geht einher mit dieser narzisstischen Aufwertung. Da sitzt dann ein Haufen pubertierender 18-Jähriger mit glasigen Augen und die denken, ihre feuchten Träume werden jetzt wahr. Und denen erzählt man erst mal, sie sollten sich so verhalten, als seien sie die Größten. „Fake it till you make it.“ Und dann muss man sich natürlich gegen eine Abfuhr immunisieren. Und wenn Frauen sowieso alles blöde Schlampen sind, dann ist eine Abfuhr nicht schlimm. Sie werden aus Angst vor Verletzungen abgewertet.
Und wird man denn nun erfolgreicher bei Frauen, wenn man diese Techniken anwendet?
Es gibt dazu keine konkreten Studien. Aber im Fernsehen wurde mal ein Test veranstaltet: Da hat ein Pickup Artist bei 15 Anbandelungsversuchen in der Fußgängerzone zweimal eine Telefonnummer ergattert, eine normale Erfolgsquote in der Szene. Als wir ungeschulte Männer auf die Straße schickten, hatten etwa 20 Prozent hinterher eine Telefonnummer. Also: Es ist egal, ob man geschult ist oder nicht. Den Unterschied macht, dass man gezielt auf Frauen zugeht und sie nett anspricht, dafür braucht man kein 2.000-Dollar-Seminar. Wenn sich aber Männer nach einem Seminar mehr trauen, dann finden sie natürlich, dass es erfolgreich war.
Also 2.000 Dollar sparen und stattdessen – was tun?
Einfach mal Frauen fragen, welche Gesprächsthemen sie angenehm finden. Freundinnen zum Beispiel. Die Pickup-Szene hat ja immer noch so ein altertümliches Verständnis, dass ein Mann eine Frau rumkriegen muss wie zu Casanovas Zeiten. Heute ist flirten ein Spiel, das beide spielen, er wirbt, sie wirbt, er neckt sie, sie neckt ihn. Das normale Flirten läuft viel fluider und egalitärer ab, als die Pickup-Leute sich das vorstellen.
Warum gibt es diese Kurse nur für Männer und nicht für Frauen?
Das liegt unter anderem an dieser instrumentellen Vorstellung: Mach dies und das, und dann funktioniert es. So denken viele Frauen nicht. Es gibt zwar auch Pickup Cats, die sich einen Sport daraus machen, Männer zu verführen, aber Frauen haben dieses Wissen, das man dafür braucht, in der Regel schon längst. Die Frauenzeitschriften sind voll davon. Und dann kommt hinzu, dass sexuelle Erfolge bei Männern natürlich ausgesprochen positiv wahrgenommen werden, sexuell aktive Frauen dagegen werden immer noch stark abgewertet.
Wo ist denn eigentlich die Grenze zwischen geschickter sozialer Interaktion und Manipulation?
Da sind die Grenzen fließend. Etwa wenn es Tipps gibt, die last minute-resistance zu überwinden. Zum Beispiel, indem man den freeze out anwendet: Wenn sie nach dem Kuscheln doch nicht mehr will, wendet man sich abrupt ab, setzt sich an den Laptop und zeigt emotionale Kälte. Manche Frauen wollen dann diese merkwürdige Situation beenden und locken doch noch mit Sex. Aber ist nun der Wunsch, Sex zu haben, etwas Verwerfliches? Eigentlich nicht. Ich würde eher sagen, problematisch wird es, wenn man Grenzen überschreitet und Frauen unter Druck setzt.
Viele dieser Coaches behaupten, sie könnten Hypnose- oder NLP(Neuro-Linguistisches Programmieren)-Techniken vermitteln, mit denen man Frauen beeinflussen kann. Ist das Artistengarn?
Da ist viel Hokuspokus dabei. NLP ist auch so eine Pseudowissenschaft. Aber die Behauptung, man könne mit bestimmten Worten oder Gesten „Anker“ bei der Person setzen, und die würde beim nächsten Mal, wenn man den Anker erwähnt oder berührt, bestimmte Emotionen empfinden – das können Sie ja gern mal ausprobieren.
Haben diese Seminare problematische Auswirkungen auf die Teilnehmer?
Sie bekommen ein stark simplifiziertes und starres Männer- und Frauenbild. Die Gefahr, dass sie damit ihrer frisch kennengelernten Partnerin nicht gerecht werden, ist ziemlich groß. Denn viele merken irgendwann, dass Sex und noch mehr Sex als Lebensinhalt sie nicht erfüllt. Dann suchen sie etwas Längerfristiges, und dafür braucht man definitiv mehr als ein paar Anmachtricks.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Jahresrückblick Erderhitzung
Das Klima-Jahr in zehn Punkten
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Analyse der US-Wahl
Illiberalismus zeigt sein autoritäres Gesicht