Psychologe hat Erwartungen an Leo XIV.: „Die Struktur muss sich ändern“
Psychologe Hans Zollner kämpft für die Prävention von sexualisierter Gewalt. Er fordert einen Umbau der päpstlichen Kommission zum Schutz von Minderjährigen.

taz: Herr Zollner, hat Papst Leo XIV. in seiner Zeit als Bischof sexualisierte Gewalt von Geistlichen vertuscht?
Hans Zollner: Nach den Dokumenten, die ich gesehen habe, sind diese Vorwürfe nicht zutreffend. Es haben außerdem vier sehr bekannte Missbrauchsopfer aus Peru, die die Situation sehr gut kennen, erklärt, dass sie in Prevost einen wichtigen Fürsprecher gefunden haben. Es macht den Anschein, als ob diese Vorwürfe lanciert worden sind von einer rechtskatholischen Splittergruppe, die in Peru gegründet wurde und dann auch weltweit aktiv war. Diese Gruppe mit Namen Sodalicio wollte schon im Vorfeld des Konklaves Zweifel an der Glaubwürdigkeit von Robert Prevost streuen. Er hatte als Personalchef der Bischöfe im Vatikan dazu beigetragen, dass diese Gruppe, in der es viele Missbrauchsfälle gab, aufgelöst wurde. Gerade vor ein paar Monaten, noch kurz vor dem Tod von Franziskus.
taz: Was erwarten Sie jetzt von Papst Leo XIV. in Bezug auf die Aufarbeitung und Prävention von sexualisierter Gewalt in der Kirche?
Zollner: Die Herausforderung dieses Pontifikats wird neben der Förderung der Umsetzung von Präventionsmaßnahmen die konsistente Aufarbeitung im umfassenden Sinn sein. Aus eigener Anschauung kann ich sagen, dass die kulturellen Unterschiede da sehr groß sind. Ich war dieses Jahr schon in Australien und komme gerade aus den USA zurück und werde bald nach Brasilien fliegen. In den verschiedenen Ländern gibt es völlig andere Wissensstände, was die Prävention betrifft und völlig andere Wahrnehmungs- und Sensibilitätsstände.
Geboren 1966 in Regensburg, ist Jesuitenpater und Professor für Psychologie an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom. 2012 war er Mitgründer des Centre for Child Protection in München. Zollner berät weltweit Ordensgemeinschaften und Bistümer bei der Missbrauchsprävention und war Gründungsmitglied der Päpstlichen Kommission zum Schutz von Minderjährigen. 2023 hat er sie im Protest verlassen.
taz: Was heißt das genau?
Zollner: In Indien wird nicht genauso über Sexualität und sexuelles Fehlverhalten geredet wie in Bolivien oder in der Schweiz. Auch das, was jetzt am meisten Not tut, wird sehr unterschiedlich gesehen. Die katholische Kirche ist kein monolithischer Block. Aber die Grundprinzipien – Schutz, sichere Räume, sichere Beziehungen und sichere Abläufe – das muss überall gelten. Deshalb wird es auch mit Blick auf Safeguarding notwendig sein, dass in diesem Pontifikat ein weiterer Schritt dazu gemacht wird, das Verhältnis von römischer Zentrale und Weltkirche zu klären und damit die Frage von Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten. Dabei ist auch das Verhältnis der Ortskirchen untereinander zu klären, zum Beispiel derjenigen in Deutschland zu Kirchen in Zentralafrika oder Ozeanien. Insbesondere geht es dabei darum, wie die Ortskirchen im Sinne der Prävention zusammenarbeiten können
taz: Sie haben den heutigen Papst mehrfach getroffen. Wie haben Sie ihn erlebt?
Zollner: Ich habe ihn als jemanden erlebt, der sehr zugewandt ist. Er ist ein sehr normaler, einfacher Mensch, der sicherlich kein großes Aufsehen um sich selber macht, der sehr sachorientiert ist. Er hat einen relativ einfachen familiären Hintergrund, er hat Kirchenrecht studiert, er hat die wirkliche Armut erlebt und gelebt, schon als junger Mensch in den peruanischen Anden. Er ist nüchtern, sehr klar und überlegt. Und ich finde, das ist eine sehr gute Mischung. Er bringt viele Qualitäten mit, die ihm die Mammutaufgabe erleichtern werden, die er jetzt hat.
taz: Was können katholische Frauen und Queers von ihm erwarten?
Zollner: Ich glaube, dass er auf jeden Fall das weiterführen wird, was Franziskus in diesem Bereich getan hat. Was Frauen angeht, hat er ja im vatikanischen Bischofsministerium drei Frauen als Beraterinnen etabliert – gegen den Widerstand von etlichen Leuten in der Behörde, die ja ausschließlich über Männer bestimmt. Ich glaube auch, dass Leo das weiterführen wird, was Franziskus mit Blick auf queere Personen vorgelebt hat. Das heißt freundliche Zuwendung und pastorale Nähe. Was er lehramtlich oder moraltheologisch für die Anerkennung queerer Menschen in die Wege leiten wird, weiß ich nicht. Dazu kenne ich seine Positionen zu wenig.
taz: Was bedeuten mehr Frauen mit Verwaltungsmacht für die Prävention von sexualisierter Gewalt im Raum der Kirche?
Zollner: Das spielt insofern eine Rolle, dass sich natürlich das Miteinander anders gestaltet, wenn ein Geschlechtermix besteht im kirchlichen Raum. Aber mehr Frauen in derselben, überkommenen Struktur würden an den Risikofaktoren meines Erachtens nichts ändern. Da müssen wir wirklich tiefer ansetzen. Da müssen wir schauen, wie zum Beispiel Kontrollmechanismen funktionieren, wie Supervision geht, welche Fortbildungsmaßnahmen verbindlich eingeführt werden und wie nachhaltig Rechenschaftspflicht abgelegt werden muss. Das liegt nicht so sehr an den Personen oder am Geschlecht der Personen, sondern es liegt daran, ob die Mechanismen eingehalten werden und funktionieren.
Zollner: Im Lauf der Jahre wurde für mich immer unklarer, was die eigentliche Aufgabe dieser Kommission sein soll. Also: was ist eigentlich ihr Ziel und Zweck? Die Kommission kann sich ja eigentlich nicht um die Aufarbeitung von Fällen kümmern. Dazu gibt es andere Organe im Vatikan oder auf regionaler Ebene. Das ist ein Missverständnis, das von Anfang an auch in der Öffentlichkeit geherrscht hat.
taz: Was ist aus Ihrer Sicht die eigentliche Aufgabe der Kommission?
Zollner: Was die Kommission tun sollte, ist aus meiner Sicht die Etablierung von Safeguarding-Maßnahmen weltweit und der Kontakt zu Betroffenen. Und da kamen im Laufe der Zeit viele andere Dinge dazu, die nicht abgesprochen waren und Kompetenzen, die nicht geklärt waren. Und dann hat in der Kommission auch eine Personalauswahl stattgefunden, die intransparent war. Also genau das, was wir an anderer Stelle bemängeln: dass die Zuständigkeitsbereiche nicht klar sind und damit auch die Verantwortlichkeiten leicht hin- und hergeschoben werden können. Rechenschaft wird damit schwierig. Der Tropfen, der das Fass für mich aber zum Überlaufen brachte, war, dass die Verteilung der Gelder in der Kommission intransparent war. Das konnte ich nicht mehr mittragen.
taz: Was muss sich jetzt konkret in der Kommission tun?
Zollner: Ich glaube, dass sich die Struktur und Aufgabenstellung der Kommission ändern muss. Dazu ist seit damals auch meines Wissens nichts wirklich Grundlegendes passiert. Kardinal Seán O’Malley ist immer noch im Amt als Kommissionspräsident, obwohl er letztes Jahr als Erzbischof von Boston aus Altersgründen abgelöst wurde. Da ist jetzt zu erwarten, dass sich da etwas strukturell und inhaltlich tut und klärt.
taz: Auch personell?
Zollner: Natürlich.
taz: Kardinal O’Malley muss also weg. Was ist mit dem Kölner Skandalbischof? Soll der neue Papst nicht endlich das Rücktrittsangebot von Kardinal Rainer Maria Woelki annehmen?
Zollner: Es ist eine Frage der Transparenz und Fairness gegenüber allen Beteiligten, dass überhaupt eine Entscheidung getroffen wird und man sich nicht ständig in einem Graubereich bewegt. Das nämlich vermittelt den Eindruck der Verweigerung von Verantwortungsübernahme auf allen Seiten. Wie die Entscheidung ausfallen wird, ist Sache des Papstes.
taz: Was ist zentral, um sexualisierte Gewalt in der Kirche zu verhindern?
Zollner: Dass alle Menschen so vorgehen, wie es menschlich angemessen und christlich geboten ist: jenen beizustehen, die verletzt worden sind oder besonders verwundbar sind. Dass alle, die in der Kirche an verantwortlicher Stelle sind, die Normen gegen Missbrauch erfüllen, besonders jene, die nach dem internationalen Kinderschutzgipfel im Vatikan 2019 eingeführt wurden. Es geht darum, wie eine Verletzung der Amtspflichten geahndet werden kann und wie der entsprechende Prozess abläuft. Das liegt eben gerade nicht nur beim Papst, sondern muss auch schon auf der lokalen Ebene beginnen. Die Bischöfe stehen in Mitverantwortung und bei den Ordensgemeinschaften gilt das analog für die Oberen. Wir haben die Vorschriften, wir wissen aber nicht, wie und wie oft sie angewandt werden. Da brauchen wir mehr Transparenz und mehr Nachhaltigkeit.
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