Psychiatrie in Bremen: Es hakt bei der Reform
Vor ein paar Jahren war sich die Bürgerschaft einig wie selten: Die Psychiatrie im Land gehört erneuert. Nun gerät dieser Prozess ins Stocken.
Am vergangenen Freitag befasste sich eine Veranstaltung der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie mit dem Thema Psychiatrie-Reform. In mehreren Vorträgen sollte es um „konkrete Vorschläge zur Umsetzung“ gehen, versprach jedenfalls das Programm. Was dann kam, war eher eine Chronik, gewissermaßen die Genese des Bürgerschaftsbeschlusses von 2013. Diese Chronik zeigt, dass die Diskussion schon Mitte der 1970er um exakt das Gleiche kreiste wie heute: mehr Ambulantisierung und Regionalisierung, weniger Zwang.
Der Ist-Zustand sieht aber so aus, dass Bremen bundesweit die meisten Betten in der Psychiatrie hat. Betten aber sind schlecht, man will ja weg von langen stationären Aufenthalten, bei denen das Lebensumfeld der Betroffenen in der Therapie keine Rolle spielt.
Dass die Umsetzung der Reform keinesfalls ins Stocken geraten sei, sondern sich im Gegenteil „schon einiges getan hat“, darauf weist die Sprecherin der Gesundheitsbehörde, Christina Selzer, hin. Arbeitsgruppen wurden gegründet, Modellprojekte angestoßen, Kooperationen eingegangen. „Mit der Bereitstellung der Modellmittel werden wesentliche Kernelemente der Psychiatrie-Reform und der Ambulantisierung unterstützt und angeschoben“, sagt Selzer.
Gefördert werden unter anderem ein aufsuchender Krisendienst in Bremerhaven, die Nachtcafés in Bremen und Bremerhaven und der bremenweite Kriseninterventionsdienst der Gapsy. „Diese Angebote werden von den Psychiatrie-Erfahrenen und in der Fachöffentlichkeit sehr begrüßt und gut genutzt“, sagt Selzer. Der große Wurf sieht anders aus.
Der Klinikverbund Gesundheit Nord hat mit der Medizinstrategie 2020plus einen Plan erarbeitet, wonach bis zum Jahr 2020 zunächst 50 Betten in teilstationäre und ambulante Angebote umgewandelt werden sollen. Die Strukturen, in die jene Patienten, die bislang stationär behandelt werden, entlassen werden sollen, müssen erst noch geschaffen werden. „In drei Bremer Regionen und in Bremerhaven bilden sich konkret Gemeindepsychiatrische Verbünde“, sagt Selzer. „Dies schafft die Grundlage dafür, Menschen schneller aus der Klinik entlassen zu können“ oder auch Klinikaufenthalte ganz zu vermeiden.
Dass es an diesen Strukturen immer noch fehlt, führte auch Olaf Kuhnigk, Chefarzt der Psychiatrie am Klinikum Bremen-Ost in seinem Vortrag unter dem Titel „Aus der Klinik raus – aber wohin?“ am Freitag aus. Sein oberstes Ziel sei, Versorgungsangebote für alle Betroffenen in der Stadtgemeinde zu schaffen. Dafür müsse es eine Versorgungsverpflichtung im ambulanten Bereich geben, genau so, wie es die Aufnahmeverpflichtung im stationären Bereich gebe.
Ein regelrechtes Feuerwerk der Empathie versprühte der Direktor des Psychiatrischen Behandlungszentrums in Bremen Nord, Martin Bührig, wo neben dem Soteria-Konzept auch das System der persönlichen therapeutischen Begleitung eingesetzt wird. „Wir gehen nicht von Stationen aus, sondern haben Behandlungsteams unter der Leitung eines Oberarztes“, sagte er in seinem Vortrag. Jeder Patient habe immer die gleiche Bezugsperson – selbst bei späterer Wiederaufnahme. Auch die Klinik in Bremen Nord hat stationäre Betten – allerdings liegt der Schwerpunkt in der ambulanten Behandlung.
Um eine solche Psychiatrie zu etablieren, sagte zum Schluss der Veranstaltung der Psychiater Klaus Praman, brauche es klinikintern einen „Promoter, eine Lichtgestalt“, der die Mitarbeiter mitnehme. Momentan sieht es zumindest am Klinikum Bremen-Ost nicht danach aus.
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