Prozess: Das Grauen der Erniedrigung
Ein Mann wird zu zehn Jahren Haft verurteilt, weil er Frauen zur Prostitution zwang und sie vergewaltigte. Aber er ist nur Teil eines funktionierenden Marktes
Ein Prozess ist gestern am Bremer Landgericht zu Ende gegangen, der vieles zu Tage gefördert hat, was erschütternd ist; mehr als das. Für einen Teil dessen, was Gegenstand der sich über fünf Monate hinziehenden Hauptverhandlung war, wurde der Angeklagte, ein 50-jähriger Bulgare, zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Der andere Teil des Grauens muss ungesühnt bleiben, weil es für das, was geschehen ist, einen Markt gibt, der schier nicht kaputtzukriegen ist - mitten in unseren Städten, in Wohnungen, deren Vermieter viel Geld kassieren - wohl auch dafür, dass sie nicht so genau hinschauen, was dort getrieben wird -, und in Clubs auf dem Land, von denen jeder weiß, was dort vor sich geht, aber das wahre Ausmaß nur selten offenbar wird.
Es ging in diesem Prozess um Zwangsprostitution, um Menschenhandel, um Vergewaltigung und um die Erniedrigung dreier junger Frauen, die schwer verletzt wurden von einem sadistischen Mann, der sich als ihr Zuhälter aufspielte und sie als reine Objekte betrachtete. An ihnen meinte er seine Macht erproben zu können, indem er sie zum Sex zwang und sie heftigst prügelte, wenn sie nicht wollten wie er. Waren sie wehrlos aus Angst vor weiterer Prügel, vergewaltigte er sie.
Beinahe ein Jahr hielt sich der nun Verurteilte - so muss man es wohl nennen - die drei Frauen, gab ihnen ab und zu fünf Euro Taschengeld, kassierte aber ansonsten das, was sie in den Bordellen einnahmen - in einer angemieteten Wohnung in der Bremer Neustadt, einem als "Villa" bezeichneten Bordell in Delmenhorst und dem Club 72 in Lemwerder, der noch heute unter anderen Betreibern Sex verkauft. Drei Orte, an denen sich die Frauen prostituierten und auch immer wieder auf ihren Peiniger trafen.
Dass sie sich durch ausführliche Aussagen der Polizei offenbarten und vor Gericht den Schrecken auch auf bohrende Nachfragen wieder und wieder ausbreiten mussten, rechnete ihnen der Vorsitzende Richter in der Urteilsbegründung hoch an. Es sei sehr selten, das das so geschehe, und dazu gehöre großer Mut, sagte er. Durch die Hinweise kamen die Ermittler dem Tatverdächtigen auf die Spur, in Österreich konnte er schließlich im Spätsommer 2008 festgenommen werden. Mit einem einschlägig Vorbestraften hatten die Behörden es zu tun, in seiner Heimat saß er wegen versuchten Totschlags neun Jahre im Gefängnis und baute Anfang der 1990er Jahre entlang der tschechisch-deutschen Grenze ein "breit angelegtes Bordellsystem" auf, wie es der Vorsitzende Richter nannte. 54 Frauen arbeiteten unter schlimmsten Bedingungen für ihn, Strafen mit dem Prügelstock gehörten dazu, wie sie auch die drei Frauen im jetzigen Prozess schilderten. Einer zehnjährigen Freiheitsstrafe in Tschechien entzog er sich durch Flucht und stieg in Tunesien und Thailand ins Geschäft mit der Prostitution ein, wurde 1998 in Polen festgenommen und verbüßte bis 2006 die Freiheitsstrafe. Danach eröffnete er in seinem Heimatort eine Bar, verlegte seine Tätigkeit 2007 nach Österreich und kam schließlich nach Bremen.
Im Prozess, so schilderte es der Vorsitzende Richter, bestritt der Angeklagte die Anschuldigungen. Die Belastungszeuginnen seien von seiner Ex-Frau animiert worden, gegen ihn auszusagen, damit sie das Geschäft in Bremen und Umgebung allein betreiben könne. Anhalte dafür fand das Gericht nicht, die Aussagen der Frauen seien glaubhaft und widerspruchsfrei gewesen. Der Vorsitzende Richter äußerte sich entsetzt über das Frauenbild des Verurteilten. Er habe sie als Freiwild betrachtet, jederzeit verfügbar - und habe auch im Gerichtssaal jedes Mitgefühl vermissen lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Gespräche in Israel über Waffenruhe
Größere Chance auf Annexion als auf Frieden
Krieg in der Ukraine
USA will Ukraine Anti-Personen-Minen liefern