Prozess wegen sexuellen Mißbrauchs: Der Kuscheltyp mit der Kamera
In Augsburg steht der Ex-Landtagsabgeordnete Linus Förster vor Gericht – wegen sexuellen Missbrauchs und Kinderpornografie.
In Wirklichkeit sind es Fotos und Videos. Sie heißen 00104.jpg, tr-408.jpg oder v81-15.avi. Insgesamt 1338 Dateien hat die Polizei beschlagnahmt, viele davon auf einer selbst gebrannten CD mit dem skurrilen Titel „Erotic Met Art 15 Peter Safty!“. Doch das ist nicht alles: Schweren sexuellen Missbrauch, Körperverletzung, versuchte Nötigung und das heimliche Filmen von Frauen beim Sex wirft die Staatsanwaltschaft Förster vor.
Vor gut einem Jahr, da war er noch wer. Hier in seiner schwäbischen Heimat sowieso, aber auch in München. Manchen galt er als SPD-Hoffnungsträger, zumindest als politisches Talent. Seit 2003 war er im Bayerischen Landtag. Er war jugendpolitischer Sprecher seiner Fraktion, in seiner Freizeit betätigte er sich auch gern als Musiker.
Am Montag nun steht er im Schwurgerichtssaal 101 im Landgericht Augsburg, schwarzes Sakko, graues Hemd, das Gesicht zerknittert, Haarsträhnen hängen in die Stirn. Die Stimme jedoch ist fest. Förster räumt die schweren Vorwürfe „weitestgehend“ ein, spricht auch sehr freimütig über sein Intimleben. Nur: So ganz vermag das Geständnis nicht zu überzeugen. Was Förster einräumt, ist vor allem das, was angesichts der Beweislage kaum abzustreiten ist.
Laufende Kamera entdeckt
Dass der einzige Missbrauchsfall, den Förster bestreitet, einer von nur zweien war, bei denen keine Kamera lief, mag zumindest Fragen aufwerfen. Besonders eigenartig nehmen sich aber auch die Erklärungsversuche Försters aus, als es um die Kinderpornos geht. Er habe halt einen „Archivierungsspleen“, sagt Förster dem Gericht. Er habe keine pädophilen Neigungen, empfinde Kinderpornografie als widerlich. Sein Anwalt spricht von einem Spiel mit dem Feuer, von der Lust am Verbotenen. Er habe sich übermäßig mit sexlastigen Themen befasst, sagt Förster, und wahllos Dateien heruntergeladen. „Ich kann keine befriedigende Antwort geben.“ Das stimmt.
Der Anfang vom Ende der Karriere des Heinrich F., wie Förster auf dem Aushang vor dem Saal genannt wird, lässt sich auf den 9. September 2016 datieren: In Augsburg besucht er eine Prostituierte. 15 Minuten Sex für 50 Euro hat er mit ihr vereinbart. Doch bevor es dazu kommt, entdeckt die Frau eine laufende Kamera, die Förster zu verstecken versuchte. Empört gibt die Prostituierte Förster sein Geld und seine Kamera zurück – den Speicherchip behält sie. Es gibt ein Gerangel, doch als eine weitere Prostituierte dazukommt und mit der Polizei droht, verschwindet Förster. Am nächsten Tag geht die Frau zur Polizei, die Ermittlungen beginnen.
Es dauert einige Wochen, bis Förster identifiziert wird. Dafür ist das Ergebnis der Razzien in der Wohnung des Politikers wie auch in seinen Büroräumen beim SPD-Unterbezirk in Augsburg umso ergiebiger: Die beschlagnahmten Bild- und Videoaufnahmen geben Anhaltspunkte für weitere Ermittlungen, an deren Ende sich in den Augen der Staatsanwalt folgendes Bild ergab: Schon 2012 soll Förster zweimal mit seiner damaligen Freundin geschlafen haben, als diese ein Schlafmittel eingenommen hatte und deshalb in einem Dämmerzustand gewesen sei. Bei den Gelegenheiten filmte er sie heimlich.
2014 soll er nach einer Geburtstagsparty eine andere Frau ebenfalls im Schlaf missbraucht haben. Ein paar Wochen später soll er dasselbe in seiner Wohnung mit einer Freundin versucht haben. Weitere Frauen wurden heimlich von F. gefilmt, als sie einvernehmlichen Sex mit ihm hatten, eine 20-Jährige auch bei einem „erotischen Fotoshooting“.
Den Opfern Fragen ersparen
Ob die Filmerei so etwas wie „Trophäensammeln“ gewesen sei, will der Vorsitzende Richter wissen. „Wahrscheinlich muss man es so verstehen“, antwortet Förster. Sein Sexualleben bezeichnet er jedoch überraschenderweise als „eher unspektakulär“. Er sei mehr so der zärtliche Kuscheltyp und auch nicht krankhaft sexsüchtig, gibt aber zu, dass er Sex als Bestätigung gebraucht habe.
Als die Anerkennung irgendwann ausblieb, seien die Depressionen gekommen. Da habe er dann auch begonnen, „mit Grenzüberschreitungen zu arbeiten“. Wegen seiner narzisstischen Störung sei er auch schon mehrfach in ambulanter und stationärer Therapie gewesen. Als er am 15. Dezember 2016 festgenommen wurde, befand sich Förster in einer psychosomatischen Klinik im niederbayerischen Bad Griesbach.
Das Gericht hofft, den Fall in nur fünf Verhandlungstagen abzuhandeln, Försters Opfern möglichst viele Fragen zu ersparen. Das ist auch im Interesse des Expolitikers, der durch sein Geständnis auf stark strafmildernde Umstände hoffen kann. Von knapp vier statt rund sechs Jahren Haft ist die Rede. An manche der Frauen hat Förster bereits zwischen 4.000 und 20.000 Euro im Rahmen eines Täter-Opfer-Ausgleichs gezahlt.
Einmal sagt er während des Verfahrens: „Ich habe mich immer dagegen gewehrt, ein ganz normaler Landtagsabgeordneter zu sein.“ Dieses Schicksal ist Linus Förster erspart geblieben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag