Prozess um Nato-Bomben in Kundus: Das Recht, zu klagen
Dürfen Hinterbliebene eines Nato-Angriffs gegen die Bundeswehr klagen? Ja, sagen die einen. Nein – im Krieg gelten besondere Gesetze, sagen die anderen.
BONN taz | Qureisha Rauf und Abdul Hannan sind nicht da. Ihre Anwesenheit hat das Bonner Landgericht für nicht nötig erklärt: „Die Kläger oder mögliche Zeugen sind zum Termin nicht geladen.“ Am Mittwoch begann der erste Schadenersatzprozess, den Hinterbliebene von Opfern des Nato-Bombardements am Kundus-Fluss angestrengt haben.
Zum Auftakt ging es noch nicht um das Schicksal der beiden afghanischen KlägerInnen, nicht um ihre Angehörigen, die sie bei dem von der Bundeswehr angeordneten Luftangriff auf zwei Tanklaster vor dreieinhalb Jahren verloren. Verhandelt wurde Grundsätzliches: Haben sie überhaupt das Recht, die Bundesrepublik zu verklagen?
Die Vertreter der Hinterbliebenen, die Bremer Rechtsanwälte Karim Popal und Peter Derleder, werfen dem verantwortlichen Oberst Georg Klein vor, seine Amtspflichten grob fahrlässig verletzt zu haben. Sie sprachen vor Gericht von einem Verstoß gegen das Völkerrecht.
Das Bundesverteidigungsministerium bestreitet das. Nach seiner Ansicht bestehen Rechtsansprüche einzelner Personen weder aus dem humanitären Völkerrecht noch aus dem Amtshaftungsrecht, auf das sich die KlägerInnen-Anwälte Karim Popal und Peter Derleder berufen. „Im Krieg gelten andere Gesetze“, sagte Beklagten-Anwalt Mark Zimmer. Die BRD sei nicht zu verklagen, der verantwortliche Oberst Georg Klein sei im Rahmen der Nato in internationale Befehlsstrukturen eingebunden gewesen. Das Gericht wies die Klage dennoch nicht direkt ab: Es sei „noch offen in der Diskussion“, sagte der Vorsitzende Richter Heinz Sonnenberger.
Prinzip der Verhältnismäßigkeit
Individualansprüche seien grundsätzlich zulässig, befand das Gericht. Jetzt will es prüfen, ob bei dem Luftangriff das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gewahrt – und ob durch den Luftangriff gegen humanitäres Völkerrecht verstoßen wurde. Geklärt werden müsse überdies, ob die KlägerInnen tatsächlich Angehörige verloren haben, was das Verteidigungsministerium „mit Nichtwissen bestritten“ habe.
Für die Anwälte steht fest, dass der Bauer Abdul Hannan bei dem Luftangriff zwei seiner vier Kinder verloren hat. 8 und 12 Jahre waren sie alt. Seit ihrem Tod seien er und seine Frau psychisch erkrankt und arbeitsunfähig, berichtet der Jurist Popal. Qureisha Rauf verlor ihren 40-jährigen Ehemann und damit ihren Ernährer, wie Peter Derleder sagt. Über Nacht seien sie und ihre sechs Kinder zu BettlerInnen geworden, die von Almosen leben müssen. Um sie über den Winter zu bringen, gab sie vier ihrer Kinder in ein Waisenhaus in Kabul.
Der deutsche Oberst Georg Klein bleibt bis heute dabei, in jener Nacht im September 2009 alles richtig gemacht zu haben: „Als Christ habe ich den Einsatz schweren Herzens, nach langer Prüfung und nach bestem Wissen und Gewissen befohlen – mit der festen Überzeugung, keine Zivilisten zu treffen“, hat Klein im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss erklärt.
Ungeklärt ist, wie viele Menschen bei dem Luftangriff am 4. September 2009 ums Leben kamen. Die Bundesregierung spricht von 91 Toten, die afghanische Regierung geht inzwischen von 179 Opfern aus. „Die genaue Zahl ist streitig und wohl auch nie richtig ermittelt worden“, sagte Richter Sonnenberger.
Geld bisher offenbar nur an Männer ausgezahlt
5.000 Dollar zahlte die Bundeswehr pro betroffene Familie - als „freiwillige Ex-Gratia-Unterstützungsleistungen“ und ausdrücklich ohne Anerkennung irgendeiner einer Rechtspflicht. Nach Angaben ihrer Anwälte hat jedoch Qureisha Rauf noch nicht einmal dieses Geld bekommen. Denn das Verteidigungsministerium orientierte sich bei der Abwicklung ihrer „humanitären Geste“ an den patriarchalischen Gepflogenheiten der stockkonservativen paschtunischen Gesellschaft und zahlte nur an Männer aus. Das Geld für Qureisha Rauf erhielt ein angeblicher Onkel, den die Familie nicht kennt. Nun fordern ihre Anwälte für Qureisha Rauf eine Entschädigung von 50.000 Euro und für Abdul Hannan 40.000 Euro.
Eineinhalb Stunden verhandelte das Gericht. Ein Appell Sonnenbergers, doch noch zu einer gütlichen Einigung zu kommen, schlug das Verteidigungsministerium aus. „Eine Einigung ist jedenfalls derzeit nicht möglich“, diktierte der Vorsitzende Richter zum Abschluss. Am 17. April wird weiterverhandelt.
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