Prozess in New York gegen „El Chapo“: Bis zum Tod im Gefängnis
In allen Anklagepunkten schuldig: Der Prozess gegen den mexikanischen Drogenboss Joaquín „El Chapo“ Guzmán ließ von Heldenverklärung nichts übrig.
Auch andere Verbrechen, die sich der Chef des Sinaloa-Kartells zu Schulden hat kommen lassen, wird er in Zukunft nicht mehr verüben können. Denn die zwölf Geschworenen eines New Yorker Gerichts, das drei Monate lang gegen den 61-Jährigen verhandelte, haben ihn in allen Anklagepunkten schuldig gesprochen.
Dieses Urteil, das der Richter Brian Cogan am Dienstag bekanntgab, sieht eine lebenslange Haftstrafe vor. Formal wird Cogan das Strafmaß erst am 25. Juni verkünden. Aber außer Frage steht: „El Chapo“, der „Kurze“, wie Guzmán wegen seiner geringen Körpergröße genannt wird, muss bis zu seinem Tod in einem Gefängnis in den USA verbringen. Einen Antrag auf vorzeitige Entlassung kann er nicht stellen, Guzmáns Verteidiger wollen jedoch in Berufung gehen.
Die Staatsanwaltschaft hatte Guzmán zehn Delikte vorgeworfen, die mit Drogenschmuggel, Schusswaffengebrauch und Geldwäsche zu tun haben. Als schwerwiegendster Anklagepunkt galt die Beteiligung an einer verbrecherischen Organisation. 30 Jahre lang leitete El Chapo das Sinaloa-Kartell aus dem gleichnamigen mexikanischen Bundesstaat. 2016 wurde er in Mexiko gefasst und unter anderem unter der Bedingung ausgeliefert, das er nicht mit dem Tode bestraft werden darf.
Guzmán hat persönlich gefoltert und hingerichtet
Sechs Tage lang hatte die Jury beraten, bis sie zu ihrer Entscheidung kamen. Kurz bevor sie sich zu ihren Beratungen zurückgezogen hatten, waren die Kindersex-Eskapaden des Angeklagten bekannt geworden. Doch schon zuvor hatte der 61jährige durch die Zeugenaussagen in dem dreimonatigen Prozess den letzten Glamour verloren, der ihm durch die Netflix-Verfilmungen „El Chapo“ und Serien wie „Narcos“ sowie zwei spektakuläre Fluchten aus mexikanischen Hochsicherheitsgefängnissen angedichtet worden war.
Das Verfahren hat gezeigt: Guzmán hat einige seine Gegner selbst gefoltert sowie grausam hingerichtet und ist für den Tod unzähliger weiterer Menschen verantwortlich.
Die Killer des Sinaloa-Kartells haben zehntausende Menschen auf dem Gewissen. Manche wurden im Krieg gegen gegnerische Banden ermordet, andere verschwanden, weil sie im Weg standen. Auch der Journalist Javier Valdéz starb durch Schüsse von Sinaloa-Mördern.
Mindestens 155 Tonnen Kokain soll das Kartell laut Anklage unter Guzmáns Kontrolle in die USA geschmuggelt haben. Die Drogenhändler brachten darüber hinaus tonnenweise Marihuana, Heroin und andere Drogen in Flugzeugen, U-Booten, Lastwagen und eigens dafür angefertigten Tunneln auf die andere Seite des Rio Bravo. 14 Milliarden US-Dollar soll das Kartell damit verdient haben.
Yacht, Privatjet, schicke Häuser am Meer
Das US-Magazin Forbes hat Guzmán deshalb auf die Liste der weltweit Reichsten gesetzt. „Ich verteile so viel Heroin, Methamphetamin, Kokain und Marihuana wie kein anderer auf der Welt“, erzählte er einmal dem Schauspieler Sean Penn, der das Gespräch im Rolling Stone veröffentlichte.
56 Zeugen hatte die Staatsanwaltschaft laden lassen, um genau das zu beweisen. Manche lieferten Berichte über den schillernden Lifestyle eines Drogenbarons, der den traditionellen Klischees entspricht: viele Liebhaberinnen, schicke Häuser am Meer, Yacht, Privatjet und mehrere weitere Anwesen samt Tennisplätzen, Pools, Jaguaren, Panther und Krokodilen.
Andere bestätigten die Grausamkeit des Mafia-Chefs. So etwa Isaías Valdez Ríos, Ex-Soldat und späterer Leibwächter Guzmáns. Er berichtete, wie El Chapo zwei Kriminelle der gegnerischen „Zetas“ nach stundenlanger Folter auf einem Scheiterhaufen verbrennen ließ. Und wie er Kontrahenten mit dem Dampfbügeleisen den Körper quälte. Riós sollte bestätigen, dass El Chapo persönlich Menschen ermordete. Das habe er, so Jesús Esquivel vom mexikanischen Magazin proceso, detailliert getan.
Noch wichtiger für die Ankläger waren jene Männer, die auf höchster krimineller Ebene mit dem Sinaloa-Chef zusammengearbeitet haben. Dámaso López, der als Gefängnisdirektor die erste Flucht Guzmáns ermöglichte und später zu dessen rechter Hand wurde, berichtete über Tonnen von Kokain, die das Kartell mit Hilfe von Schmiergeldern in die USA brachte.
Nicht Teil des Prozesses: Schmiergelder an Politiker
Der als „el Licenciado“ bekannte Verbrecher sagte aus, dass die Organisation hohe Summen an mexikanische Beamte gezahlt habe, um den Drogentransport in die USA abzusichern. Die Generalstaatsanwaltschaft, das Militär und die Bundespolizei hätten Hunderttausende von US-Dollars bekommen.
Der kolumbianische Drogenhändler Alex Cifuentes, der jahrelang mit Guzmán Loera in den Bergen von Sinaloa gelebt hatte, berichtete von Millionenzahlungen an die mexikanischen Präsidenten Felipe Calderón und Enrique Peña Nieto. 100 Millionen US-Dollar soll Peña Nieto zur Unterstützung seines Wahlkampfes 2012 bekommen haben. „Das sagte mir Joaquín“, erklärte Cifuentes. Eine Dame namens „Comadre Maria“ soll das Geld weitergeleitet haben – jene Frau, die auch die Mädchen für El Chapos Vergewaltigungen besorgt hatte.
Richter Cogan und die Staatsanwältin Andrea Goldberg bemühten sich, das Thema Schmiergeld aus dem Prozess fernzuhalten, da es nichts mit der Anklage zu tun habe. So blieb es bei Vorwürfen, die zwar in Mexiko niemand verwundern, aber keine sichtbaren Folgen nach sich ziehen.
Nur El Chapos Staranwalt Jeffrey Lichtman griff die Schmiergeldzahlungen auf, um seinen Mandanten aus der Schusslinie zu nehmen: Nicht Guzmán, sondern Ismael „Mayo“ Zambada sei der Chef des Kartells. Lange Zeit haben die beiden die Organisation zusammen angeführt.
Zeugen, die etwas zu gewinnen haben
Im Prozess versuchte Lichtman, „El Mayo“ die Führungsrolle zuzuschieben und die Bedeutung des Kurzen als zweitrangig zu klassifizieren. Folglich sei es Zambada gewesen, der Schmiergelder an Peña Nieto gezahlt habe. Nicht zufällig sei sein Mandant wie ein Tier gejagt worden, während der 70jährige Mayo nie im Gefängnis gesessen habe und „frei wie ein Vogel ist“.
Guzmán selbst hat im Prozess nicht gesprochen, und Lichtman verzichtete weitgehend auf eigene Zeugen. Nur ein Mitarbeiter der US-Bundespolizei sollte Cifuentes Glaubwürdigkeit demontieren. Das FBI habe dem Kolumbianer vorab vorgeschrieben, was die US-Behörden im Prozess hören wollten, so der Anwalt.
Ganz von der Hand zu weisen sind solche Vorwürfe nicht. Die ehemalige Komplizen des Chapo plauderten alles aus, was für dessen Verurteilung nötig war. Und das nicht umsonst: Sie alle sitzen in US-Gefängnissen ein und dürften für ihre Aussagen erheblichen Strafnachlass bekommen.
So könnte die lebenslange Haft des „Licenciado“ auf 15 Jahre reduziert werden. Der Mann hat weitere Gründe, gegen den Kurzen auszusagen: Seine Fraktion kämpft gegen Chapos Söhne um die Macht im Kartell. Staatsanwältin Andrea Goldberg zweifelte dennoch nicht an den Zeugen: „Sie wissen, dass sie alles verlieren, wenn sie lügen.“
Abgehörte Gespräche mit Liebhaberinnen
Immer treu an Guzmáns Seite besuchte seine Frau Emma Coronel den Prozess. So blieb es der 29jährigen Schönheitskönigin aus den Bergen Sinaloas nicht erspart, all die Telefongespräche anzuhören, die das FBI dank eines Überläufers mitgeschnitten hatte. Dort ging es nicht nur um Crystal-Meth, sichere Verstecke oder Polizeikontrollen. Der Kurze führte neben den Gesprächen mit der Mutter seiner Zwillinge auch zahlreiche Telefonate mit seinen Liebhaberinnen.
Coronel dürfte das wegstecken, ebenso wie die Kindesvergewaltigungen und die Prostituierten, die ihr Mann früher in mexikanische Gefängnisse kommen ließ. Sie kenne ihn ganz anders, als er jetzt dargestellt werde, erklärte die Frau, deren Vater seit langem für Guzmáns Organisation tätig sein soll.
Für die Mexikanerin, die gerne in schicker Kleidung oder Bikini auf Instagram posiert, wird das Leben auch weitergehen, wenn ihr Liebster in seiner Zelle in einem US-Hochsicherheitsknast vergammelt. Das Sinaloa-Kartell schreibt auch ohne ihn schwarze Zahlen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag