Prozess gegen schwedische Journalisten: Bestrafte Humanität
Ein Journalist und sein Team halfen einem syrischen Jungen über die Grenze. Nun wurden sie wegen Menschenschmuggel verurteilt.
Einige Monate später wird diese Szene in der Dokumentarserie „Fosterlandet“ („Vaterland“) in Schwedens öffentlich-rechtlichem Fernsehen SVT ausgestrahlt. Der Film zeigt auch, wie Önnevall und sein Team sich entschließen, die Rückreise statt wie geplant per Flug mit einem Mietwagen anzutreten. Und mit Abed. Über Italien, Österreich, Deutschland und Dänemark bringen sie den Jungen nach Schweden. Unmittelbar nach der Ausstrahlung des Films zeigt eine Privatperson Önnevall wegen Menschenschmuggel an.
„Eine gemeinschaftliche, vorsätzliche und strafbare Handlung, mit der einer Person illegal ins Land geholfen wurde“, entschied am Donnerstag ein Gericht im südschwedischen Malmö. Mildernde Umstände gebe es nicht. Der Journalist, sein Kameramann Clas Elofsson und Dolmetscher Hanin Shakrah wurden zu je zwei Monaten Haft verurteilt. Die gelten als abgegolten, wenn die Verurteilten jeweils 75 Stunden gemeinnützige Arbeit ableisten.
Es gab in Schweden in den letzten Monaten mehrere Verurteilungen wegen Menschenschmuggel gegen Privatpersonen, die Flüchtlingen über die Grenze geholfen hatten. Noch eifriger als die schwedische war die dänische Justiz mit gleich mehr als 300 solcher Verfahren.
Berichten oder handeln?
Önnevall sei nicht zum ersten Mal in eine solche Situation geraten, „wo du dich entscheiden musst, ob du berichtest oder handelst“. Er habe sich immer für das Berichten entschieden. Doch dieses Mal nicht. „Soll ich einen moralischen Kompass als Mitmensch und einen anderen als Journalist haben? Das funktioniert nicht.“
Vor Gericht sagte er: „Wir hatten keine andere Wahl und ich bereue keine Sekunde, was wir getan haben.“ Diesen Satz wiederholt Önnevall auch am Donnerstag nach ergangenem Urteil. Und fügt hinzu: „Ich hatte gehofft, dass es mit unserem Rechtssystem vereinbar sein würde, einem Kind in einer Notsituation zu helfen.“
Journalist Fredrik Önnevall
Gegen das Urteil will er Berufung einlegen. Die Vorsitzende des Gerichts erklärte, sie hoffe ebenfalls, dass eine höhere Instanz eine Grundsatzentscheidung treffen werde: „Ich sah angesichts der Gesetzeslage jedenfalls keine Möglichkeit, anders zu urteilen.“
Und Abed? Der wurde zwischenzeitlich als Flüchtling anerkannt, konnte seine Familie aus Syrien nach Schweden nachholen, wie er als Zeuge vor Gericht erzählt. Er besucht derzeit ein Gymnasium und will die ganze Geschichte „endlich vergessen und nach vorne schauen“.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen