Prozess gegen mutmaßlichen Agenten: Signal des AKP-Regimes
Ein türkischer Mann soll als Agent Kurden ausspioniert haben. Nun beginnt der Prozess. Betroffene klagen über Lethargie bei deutschen Behörden.
Was nicht angeklagt ist: Dass S. die gewonnenen Erkenntnisse offenbar nutzen wollte, um Koc und einen anderen hohen Kurdenfunktionär zu ermorden. „Angeklagt ist die Gefährdung des Staates, nicht der einzelnen Personen“, sagt der Bremer Rechtsanwalt Rainer Ahues, der Koc vertritt.
Am Mittwoch gab Koc in Hamburg eine Pressekonferenz. „Dass es den Prozess überhaupt gibt, ist nicht den Behörden, sondern vor allem unseren eigenen Bemühungen zu verdanken“, sagt er. Tatsächlich hatte die Freundin des Angeklagten S. bereits im Mai 2016 kurdische Politiker und Medien darauf aufmerksam gemacht, dass ihr Freund offenbar plante, unter anderem Koc zu töten. Sieben Monate sammelten Kocs Anwalt und kurdische Organisationen weitere Informationen und gaben diese an die Polizei weiter.
Erst im Dezember 2016 wurde S. in Hamburg von der Bundesanwaltschaft festgenommen. „Nur weil der öffentliche Druck groß war, musste der Agent verhaftet werden“, sagt Koc. Ihn mache skeptisch, dass er nicht als Nebenkläger zugelassen ist, sagt Koc. „So wissen wir überhaupt nicht, wie im Prozess vorgegangen wird.“
AKP-Gegner sind in Deutschland unsicher
Unter anderem aus Dokumenten, die die Freundin von S. fand, aber auch aus Gesprächsmitschnitten und anderen Quellen ergebe sich, dass S. nicht bloß spionierte, sondern Teil eines Todeskommandos war, erklärt der kurdische Dachverband Nav-Dem. Den Vorwurf des geplanten Mordes ließ die Bundesanwaltschaft aber zwischenzeitlich fallen, sagt Anwalt Ahues. Er hat dagegen Widerspruch eingelegt, ebenso wie gegen den Ausschluss von Koc als Nebenkläger.
Bemerkenswert ist, dass sich anders als sonst die türkische Regierung bislang jeden öffentlichen Kommentars zu der Sache enthalten hat. „Ich habe Zweifel, was bei dem Prozess rauskommt“, sagt Koc dennoch. „Die Vergangenheit hat uns gezeigt, dass die Türkei und die Bundesrepublik eng zusammen arbeiten. Und am Ende wurden die Kurden dabei immer verraten und verkauft.“
Koc glaubt, dass der türkische Präsident Erdoğan über die in Deutschland operierenden MIT-Agenten – deren Zahl die deutschen Behörden auf 6.000 schätzen – Stärke zeigen und die Opposition einschüchtern wolle. „Wir sollen auch hier Angst haben und uns nicht betätigen.“
„Wir unterschätzen immer wieder, wie weit der Arm von Erdoğan reicht“, sagt auch der Linken-Abgeordnete Jan van Aken. Der Fall des in Spanien vorübergehend festgenommen Schriftstellers Doğan Akhanlı habe dies erneut gezeigt. Gegner der AKP seien auch in Deutschland „konkret gefährdet“, so van Aken. Er fordert deshalb ein Ende der Zusammenarbeit mit der Türkei im Sicherheits- und Militärbereich.
Signal des AKP-Regimes an Kurden im Ausland
„Der Kern unserer Kritik am AKP-Regime ist doch dessen Repression, im Innern und nach Außen“, sagte van Aken. Keine Kooperation bei Polizei, Geheimdienst und Militär sei deshalb eine weitaus dringlichere und sinnvollere Maßnahme als allgemeine Wirtschaftssanktionen, wie Außenminister Sigmar Gabriel sie nun offenbar erwäge – oder das Ende der EU-Beitrittsverhandlungen, sagte van Aken.
Deutschland habe eine „lange Geschichte der Sicherheitskooperation“ mit der Türkei. „Wenn ich daran denke, wie der Menschenrechtler Peter Steudtner in der Türkei festgenommen wurde, frage ich mich: Wurden die Beamten vielleicht in Deutschland ausgebildet?“ Waffenlieferungen müssten genauso eingestellt werden, wie die Zusammenarbeit mit dem MIT, sagt van Aken. „52 Deutsche wurden in der Türkei festgenommen und sitzen dort derzeit in Haft“, sagte van Aken. „Woher kamen wohl deren Namen?“
Operationen wie die gegen Koc seien ein Signal des AKP-Regimes an die Kurden und Türken im Ausland: „Wenn ich mich politisch betätige, kann ich nie mehr nach Hause.“ Deshalb brauche es nicht nur im Fall von Mehmet Fatih S. „ein ganz anderes Aufklärungsinteresse“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!